Sapan: Wir fürchten uns nicht

Mısra Sapan von der Organisation „Anarchistische Jugend“ ist bei Protesten von Studierenden der Istanbuler Boğaziçi-Universität von der Polizei misshandelt worden. „Wenn die Herrschenden glauben, uns so einschüchtern zu können, irren sie“, betont sie.

Mısra Sapan ist Studentin an der renommierten Boğaziçi-Universität in Istanbul und Aktivistin der Organisation „Anarchistische Jugend”. Sie gehörte zu einer Gruppe von Studierenden, die vergangene Woche bei einem Sit-in gegen die Festnahme von Kommilitonen von der Polizei überfallen, verprügelt und ebenfalls in Gewahrsam genommen wurden. Die Proteste der Studierendenschaft richteten sich gegen die Ernennung von Naci Inci als neuen Rektor der Hochschule. Inci war im August nach der Absetzung des alten Rektors Melih Bulu von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zum Leiter der Boğaziçi-Universität ernannt worden. Als „Zwangsverwalter des Regimes“ wird er nicht nur von den Studierenden, sondern auch von 95 Prozent des Lehrkörpers abgelehnt.

Mit Enis Berke Gök und Caner Perit Özen sind inzwischen zwei der Studierenden, die am Dienstag festgenommen wurden, nach einer Anzeige des Rektors wegen Beleidigung seiner Person verhaftet worden. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Im Gespräch mit ANF hat sich Mısra Sapan zu den Geschehnissen an ihrer Universität geäußert.

Die Protestaktion gegen die staatliche Repression gegen ihre Mitstudierenden hatte am Donnerstag auf dem Südcampus stattgefunden, erinnert die 20-jährige Mısra Sapan. Noch bevor eine Presseerklärung abgegeben werden konnte, wurde die Mahnwache bereits von der Polizei eingekesselt. Diese wollte offenbar eine GBT-Abfrage der staatlich gespeicherten Daten durchführen, die Studierenden lehnten ab.

„Den Belagerungsring um uns hatte die Bereitschaftspolizei gezogen, die eigens dafür angefordert worden war. Ohne eine Angabe von Gründen standen wir für gut fünf Minuten im Kessel. Als wir dann in Richtung Fakultät aufbrechen wollten, sind wir sofort angegriffen worden. Es war sehr heftig. Wir waren zu acht, die Polizisten verprügelten und misshandelten alle von uns”, schildert Sapan. Und fährt fort: „Einer der Zivilbeamten, die zur Festnahme hinzukamen, verpasste mir umgehend einen Knietritt ins Gesicht. Als ich zu Boden ging, traten sie mich und schlugen mit Fäusten auf mich ein. Sie strengten sich besonders an, mein Gesicht zu treffen.”

Später im Gefangenentransporter sei die Gewalt weiter eskaliert, sagt Sapan. „Mehrere Studierende bluteten aus der Nase. Sie packten den Kopf einer Freundin und schlugen ihn gegen das Fenster des Fahrzeugs. Anschließend schlugen sie uns in den Rücken und unseren ganzen Körper. Unter Anwendung weiterer Gewalt wurden uns Handschellen am Rücken angelegt. Auch danach gingen die Prügel weiter, Kleidung wurde zerissen. Nach der medizinischen Untersuchung im Bayrampaşa-Krankenhaus griffen sie uns am Ausgang erneut an. Zuvor hatten wir erklärt, die erneute Anlegung von Handschellen zu verweigern.”

Auf dem Polizeipräsidium Vatan im Istanbuler Bezirk Fatih sei den Studierenden dann stundenlang die Ausgabe von Essen und Getränken verweigert worden. Sie wurden in einem stickigen Raum festgehalten und nicht einmal das Wasser, das ihnen ihr Rechtsbeistand zukommen lassen wollte, kam bei den Studierenden an.

Vom stellvertretenden Innenminister auf Abschussliste gesetzt

Mısra Sapan wurde noch am Abend auf freien Fuß gesetzt, sie hat Blutergüsse an beziehungsweise um beide Augen. Aktuell bereitet sich die junge Frau auf eine Anzeige vor. Sapan klagt an, vorsätzlich angegriffen worden zu sein. Der stellvertretende Innenminister habe die Studentin am Tag vor der Festnahme im Netz diffamiert und auf eine Abschussliste gesetzt, nachdem sie auf dem Campus eine Rede gegen die Polizeipräsenz hielt. Ihre erste Festnahme war dies aber nicht. Bereits als Gymnasiastin war Sapan „aktiv gegen Unrecht und Unterdrückung”, geriet mehrfach ins Visier staatlicher Stellen und wurde vorübergehend in gewahrsam genommen. Sie gehöre zu jenen Menschen, die in der Türkei aufgrund ihres Widerstands gegen das Regime als „Terroristen” verunglimpft und kriminalisiert werden. So gingen autoritäre und antidemokratische Regierungen überall auf der Welt gegen ihr Feindbild vor.

„Das Regime greift marginalisierte Identitäten, die Jugend und die Frauen an. Es geht dabei darum, die Menschen zu formen, sie anzupassen und ihr Denken in das System zu integrieren. Deshalb werden gerade junge Menschen und Gruppen angegriffen. Die Herrschenden wollen nicht, dass wir unsere Kämpfe ausweiten. Denn wenn wir als die jüngere Generation unseren Widerstand verstärken, nimmt die Zahl der Menschen, die sich in die Systeme des Staates integrieren und sich der Degeneration hingeben, ab. Daher handelt es sich um einen Angriff auf alle marginalisierten Identitäten, Völker, LGBTI+.“

Wächst Widerstand, schwankt der Thron der Herrschenden

Zu den Festnahmen und den Misshandlungen sagt Mısra Sapan: „Wir wissen, dass diese Festnahmen auf die Angst der Herrschenden zurückzuführen sind. Wenn unser Widerstand wächst, schwankt ihr Thron. Sie wollen ihre Macht mit Repression oder anderen Mitteln zeigen, um die Gesellschaft zu unterdrücken und gefügig zu machen. Um dies zu rechtfertigen, schaffen sie einen Feind und versuchen, die Öffentlichkeit mit der Behauptung, es handele sich um ‚Terroristen‘, in die Irre zu führen. Aber überall, wo wir hingehen, sehen wir, dass sie diejenigen sind, die den wahren Terror ausüben.“

Es gebe nichts anderes zu verlieren als den Kampf, sagt Sapan abschließend. Die vom Staat gegen sie und Gleichgesinnte eingesetzten Methoden beeindruckten nicht, ganz im Gegenteil. „Aufgeben ist keine Option”, sagt sie. „Wir holen uns Berke und Pelit zurück und werden unseren Widerstand fortsetzen.”