Studierende: „Wir können nicht überleben“

Die Proteste der Studierenden gegen die steigenden Mieten und die Wartezeiten auf Wohnheimplätze und die dortigen Bedingungen dauern an. Mittlerweile werden die Protestierenden vom Regimechef bedroht und als „Lügner“ beschimpft.

Der türkische Regimechef Erdoğan versucht, jede Form von Protest zu verhindern. So beschimpfte Erdoğan die Studierenden, die gegen ihre katastrophale Lage und Obdachlosigkeit protestieren, als „Lügner“ und machte sie zum Ziel staatlicher Repression. Erdoğan erklärte: „Das hat nichts damit zu tun, Student zu sein. Das sind nur Pseudostudenten. Das ist einfach eine neue Version der Gezi-Park-Angelegenheit.“ Damit trifft Erdoğan möglicherweise den Nagel auf den Kopf. Das Regime hat Angst vor einer ähnlich breiten Protestbewegung, die heute wahrscheinlich sogar in der Lage wäre, der wankenden Erdoğan-Administration ein Ende zu bereiten. Trotz der Drohungen setzen die Studierenden ihre Proteste fort. Im ANF-Gespräch reden Mitglieder der Studierendengewerkschaft, die im Yoğurtçu-Park in Istanbul-Kadıköy protestieren, über ihre Situation.

Ungenutzte öffentliche Gebäude sollten den Studierenden gegeben werden“

Armağan studiert an der Boğaziçi-Universität und wohnt in einer Studierendenwohngemeinschaft in Hisarüstü. Die Mieten in Hisarüstü sind besonders hoch, da das Viertel in der Nähe der Universität liegt. Armağan erzählt: „Da Hisarüstü ein Ort ist, an dem vorwiegend Studierende leben, meinen die Hausbesitzer, jederzeit Mieter finden zu können. Deshalb sind die Preise so hoch. Für Wohnungen mit zwei oder drei Zimmern werden etwa 4.000 TL (ca. 400 Euro) verlangt. Wir zahlen für eine Zweizimmerwohnung 2.500 Lira (250 Euro), und wir leben dort zu dritt. Da es eine Dachgeschosswohnung ist, fällt ohnehin die Hälfte der Fläche weg. Im Haus gibt es Ungeziefer und sogar Skorpione. Auch der Preis für die Studierendenwohnheimplätze ist gestiegen. Letztes Jahr waren es hier 500 Lira (50 Euro) jetzt sind es 750 Lira (75 Euro). Dort sind die Kapazitäten außerdem sehr begrenzt. Aufgenommen werden nur diejenigen, die aus weit entfernten Städten oder aus sehr armen Familien kommen. Wir wollen so schnell wie möglich einen Mietendeckel. Wir fordern auch eine Unterstützung für Studierende ohne Stipendium bis zu einem Viertel des Mindestlohns. Die nichtbenutzten öffentlichen Gebäude sollen den Studierenden als Wohnheime gegeben werden.“

Es gibt keine Wohnungen“

Ceren studiert an der Maltepe-Universität Englisch auf Lehramt. Sie steht kurz vor dem Abschluss und hat von Anfang an an den Aktionen teilgenommen. Sie sagt: „Für mich ist das Wohnungsproblem im letzten Monat akut geworden. Ich bin bei meiner Familie ausgezogen und versuche, als 23-Jährige in der Türkei zu überleben. Das Problem ist, auch wenn man irgendwoher Geld auftreiben kann, es gibt einfach keine Wohnungen. Aufgrund der Senkung der Schwelle für den Zugang zu den Universitäten gibt es nun viel mehr Studierende. Es gibt mittlerweile sogar Probleme, einen Platz in einem privaten Wohnheim zu bekommen. Wir müssen ständig arbeiten. Während wir versuchen zu studieren, kommt nun hinzu, dass uns unser absolutes Grundrecht, ein Dach über dem Kopf zu haben, verweigert wird. Das hat uns alle tiefgreifend erschüttert.“

Wir haben ohnehin nichts mehr zu verlieren“

Ceren berichtet, dass die Polizei wenige Tage zuvor Familien angerufen und ihnen gesagt hat, dass ihre Kinder an Aktionen teilnehmen. „Als Studierendengewerkschaft agieren wir an vielen Orten gleichzeitig. Vor ein paar Tagen wurden die Eltern der meisten von uns von der Polizei angerufen, die ihnen sagte: ‚Ihr Kind befindet sich in einem sehr schlechten Umfeld und nimmt an Aktionen teil.‘ Unsere Eltern waren natürlich besorgt. Mein Vater rief mich um 22.30 Uhr an und fragte, in was für einer Umgebung ich mich befände. Er hatte richtig Angst. Ich sagte ihm, dass hierher die alten Frauen kommen und uns Tee und Suppe bringen. Was könnte daran schlecht sein? Aber die Polizei rief unsere Eltern erneut an und sagte ihnen, dass sie Fotos gemacht hätten und unsere Bildungslaufbahn in Gefahr sei. Die größte Angst der Familien ist, dass wir erfasst werden. Aber wir sagen, dass sie das machen können. Wir haben ohnehin nichts zu verlieren, wir sitzen auf der Straße und können uns nicht finanzieren.

Als Studierendengewerkschaft haben wir am 19. September einen Aufruf gestartet. In den verschiedensten Provinzen haben wir gleichzeitig diese Mahnwache begonnen. Auch in Istanbul gibt es an verschiedenen Orten Aufrufe. Wir haben unsere Forderungen gestellt. Die Heime müssen kostenlos sein und es muss eine Unterstützung geben. Darüber hinaus haben wir eine Unterschriftenkampagne, die sich an das Parlament richtet, gestartet. Bis zu einer Lösung werden unsere Aktionen weitergehen.