Der kurdische Aktivist Mustafa T. ist vor wenigen Tagen in Süddeutschland festgenommen worden. Das teilt AZADÎ e.V., der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, mit. Den Haftbefehl hatte das Oberlandesgericht München auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft am 16. Dezember 2020 ausgestellt.
Dem aus Duisburg stammenden und als asylberechtigt anerkannten 47-Jährigen wirft die Anklage vor, sich unter dem Decknamen „Mele“ oder „Mella“ als Kader an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a/b StGB) beteiligt zu haben und von Juli 2019 bis Mai 2020 für das „PKK-Gebiet“ Ulm und seit Juli 2020 für das Gebiet München/Südbayern verantwortlich gewesen zu sein. Zu seinen vornehmlichen Aufgaben hätten unter anderem die Durchführung von Demonstrationen, Spendenkampagnen oder die Organisierung von Fahrten zu kurdischen Veranstaltungen gehört. Wie in der „PKK-Hierarchie“ üblich, sei er gegenüber dem jeweiligen Regionsverantwortlichen berichtspflichtig gewesen.
Erkenntnisse aus Telefonüberwachung: Demokratisches Engagement
Die Anklage basiert hauptsächlich auf „Erkenntnissen“ aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) durch das bayerische Landeskriminalamt (LKA) 2019/2020 sowie des LKA Baden-Württemberg.
Zu den „Erkenntnissen“ gehört, dass Mustafa T. an Protestveranstaltungen unter anderem in Dortmund und Duisburg gegen Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Gebiete und später an Demonstrationen und Veranstaltungen in Süddeutschland teilgenommen haben soll. So wird ihm vorgeworfen, sich im Juli in München an der Solidaritätskundgebung gegen die Verurteilung der TKP/ML-Aktivist*innen beteiligt oder das vor dem OLG Stuttgart-Stammheim laufende PKK-Verfahren gegen vier Kurden und eine Kurdin besucht zu haben. Dass er im April dieses Jahres einem Aktivisten sein Beileid in einem Trauerfall ausgesprochen oder einem weiteren Kurden wegen eines Unglücksfalles in dessen Familie kondoliert habe, ist in den Anklagepunkten ebenso aufgeführt wie das Telefonat mit einem Unbekannten über eine Immobilie. Auch, dass er den Bericht eines „derzeit Unbekannten“ über eine Veranstaltung entgegengenommen und kommentiert habe. Oder seine Bemühungen, dass Jugendliche nach Paris mitfahren, um am 11. Januar dieses Jahres an der Demonstration zum Gedenken an die drei vom türkischen Geheimdienst getöteten kurdischen Politikerinnen teilzunehmen. Oder sein Aufruf an „457 Personen“, für den kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) und dessen humanitäre Projekte zu spenden.
U-Haft wegen Fluchtgefahr in die Türkei?
Weil sich – laut Haftbefehl – Mustafa T. möglicherweise durch Rückkehr „in die Heimat“ dem Strafverfahren hätte entziehen wollen und deshalb Fluchtgefahr bestehe, wurde gegen ihn U-Haft angeordnet. Eine sehr eigenartige Mutmaßung: wer sollte ernsthaft annehmen, dass Mustafa T. erwägen könnte, ausgerechnet in die Türkei (er stammt aus Mûş) zurückzukehren, aus der er vor Verfolgung hat fliehen müssen.
Elf Kurden als vermeintliche Terroristen in deutscher Haft
Mit Mustafa T. befinden sich nunmehr elf Aktivisten in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Angeklagt, aber nicht inhaftiert, sind eine Kurdin und zwei Kurden. Während derzeit Prozesse vor Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte in Koblenz, Stuttgart und Celle gegen acht angeklagte Aktivisten laufen, ist gegen drei Kurden noch keine Anklage erhoben worden.
Seit auch die PKK aufgrund eines Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom Oktober 2010 als terroristische Vereinigung im Ausland nach §§ 129a/b StGB eingestuft wird, waren/sind 45 Aktivist*innen mit entsprechenden Verfahren konfrontiert.
Azadî: Unerträgliche Skrupellosigkeit der deutschen Politik
Azadî e.V. kommentiert die jüngste Verhaftung mit den Worten: „Es ist unerträglich, dass die deutsche Politik und Justiz angesichts der Massenverhaftungen von kurdischen Politiker*innen, Medienschaffenden, Gewerkschafter*innen und Kritiker*innen des Regimes in Ankara, der völkerrechtswidrigen Invasionen der türkischen Armee, des provokativen Vorgehens von Erdoğan im östlichen Mittelmeer gegen Zypern oder angesichts des vernichtenden Zeugnisses, das die EU-Kommission der Türkei erst im Oktober ausgestellt hat, keine Skrupel haben, sich mit einem Despoten gemein zu machen und dessen schmutzige Politik gegen Kurdinnen und Kurden mitzutragen. Diese Haltung ist verantwortungslos.“