Urteilsverkündung im Münchner TKP/ML-Prozess

Im sogenannten „Münchner Kommunistenprozess“ wurden nach mehr als vier Jahren Verhandlung die Urteile gesprochen. Der Strafrahmen blieb meist nur geringfügig unter den skandalösen Forderungen des Generalbundesanwalts.

Nach rund 270 Verhandlungstagen wurden heute vom Staatsschutzsenat beim Oberlandesgericht München die Urteile im sogenannten „Kommunistenprozess“ gegen neun Männer und eine Frau verkündet. Die Anklagen lauten auf Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) bzw. Bildung des Auslandskomitees. Die TKP/ML ist nur in der Türkei verboten, nicht in Deutschland. Einzig aufgrund einer vom Justizministerium erteilten Verfolgungsermächtigung konnte der Prozess nach den Terrorismusparagraphen 129a/b eröffnet werden. Den Angeklagten werden keine konkreten strafbaren Handlungen vorgeworfen; allein ihre politische Arbeit, die in Organisierung von Veranstaltungen, Spendensammlungen sowie normaler Vereinsarbeit bestand, reicht aus, um sich in Deutschland als Beschuldigte in einem der größten „Terrorprozesse” wiederzufinden.

Der 60-jährige Hauptangeklagte Müslüm Elma war in der Türkei bereits rund 20 Jahre inhaftiert und schwerster Folter ausgesetzt. Er blieb als Einziger bis zum Ende des Prozesses in Untersuchungshaft. Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Heise, plädierte auf sofortige Haftentlassung, da mit der U-Haft die Strafe größtenteils abgegolten sei. Dass der Senat dem nicht nachkam, könne durchaus als „Geiselnahme“ zur Verhinderung einer Verfahrensverschleppung gewertet werden, meinten Beobachter des Verfahrens.

Heute erfolgten nun die Richtersprüche. Müslüm Elma wurde verurteilt wegen „Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“, die anderen Angeklagten wegen Mitgliedschaft. Die Freiheitsstrafen für die zehn Angeklagten, die in den meisten Fällen geringfügig unter den Forderungen des Generalbundesanwalts blieben, lauten (im Vergleich die Forderungen der Generalbundesanwaltschaft in Klammern):

Müslüm Elma: Freiheitsstrafe 6 Jahre, 6 Monate (6 Jahre, 9 Monate)

Erhan Aktürk: Freiheitsstrafe 4 Jahre, 6 Monate (4 Jahre, 9 Monate)

Dr. Sinan Aydin: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 6 Monate (4 Jahre)

Haydar Bern: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 4 Monate (4 Jahre)

Dr. Banu Büyükavci: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 6 Monate (4 Jahre)

Musa Demir: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 4 Monate (4 Jahre)

Deniz Pektas: Freiheitsstrafe 5 Jahre (5 Jahre)

Sami Solmaz: Freiheitsstrafe 3 Jahre (4 Jahre)

Seyit Ali Ugur: Freiheitsstrafe 4 Jahre, 6 Monate (4 Jahre, 9 Monate)

Mehmet Yesilcali: Freiheitsstrafe 2 Jahre, 9 Monate (3 Jahre, 6 Monate)

Politisch motivierter Schauprozess

Von Anfang an war der Münchner „Kommunistenprozess“ politisch motiviert. Er reiht sich ein in die lange Liste der Verfolgung linker Aktivist*innen, die für eine andere, eine gerechte Gesellschaft eintreten. Ihr Kampf zielt auf die Überwindung der Kapitalistischen Moderne und ist deshalb nicht „system-kompatibel“. Dass der Staat mit Repression reagiert, sollte nicht verwundern und ist auch nichts Neues. Vom Verbot der KPD 1956 über die Ausweitung der 1968 beschlossenen Notstandsgesetze bis zu den neuen Polizeiaufgabengesetzen reichen die Versuche, antisystemische Kämpfe zu kriminalisieren.

Schon 1871 wurde durch den §129 („Bildung einer kriminellen Vereinigung“) im damaligen deutschen Reichsstrafgesetzbuch ein Instrument geschaffen, um politisch Andersdenkende zu verfolgen. Dieser Paragraph wurde 2002 im Zuge der Verschärfungen der „Antiterrorgesetze“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgeweitet und als §129b StGB gegen Migrant*innen angewendet. Seitdem wird die Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ mit Strafe bedroht. Allerdings gibt es keine einheitliche Definition von „Terrorismus“. Jeder Freiheitskampf kann vom Gegner als „Terrorismus“ gewertet werden. Staaten wie die Türkei verwenden den Begriff inflationär zur Denunzierung jeglicher Opposition.

Neben dem Willen nach Bestrafung einer linken Gesinnung spielt bei den Verfahren, die der deutsche Staat gegen Kurd*innen und Türk*innen anstrengt, auch immer die Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen eine wichtige Rolle. Wiederholt hat Recep Tayyip Erdoğan von der Bundesregierung ein härteres Vorgehen gegen oppositionelle kurdische und türkische Organisationen gefordert, die er als „Terrorgruppen” bezeichnet. Da sich die Regierung in Berlin seit dem Deal mit Geflüchteten erpressbar machte, aber auch wegen lukrativer Waffenexportgeschäfte und vielfältiger Handels- und Militärbeziehungen mit der Türkei, wurde die Schraube der Repression gegen kurdische und türkische Migrant*innen im europäischen Exil in den letzten Jahren sukzessive angezogen. Ähnlich wie in den Verfahren gegen die PKK, die seit 1993 in Deutschland verboten ist und seit 2010 nach § 129b strafrechtlich verfolgt wird, soll nun juristisch gegen die TKP/ML vorgegangen werden.

Von Anfang an haben die Anwälte die Rechtmäßigkeit des Verfahrens angezweifelt: „…. die Aufrechterhaltung der Verfolgungsermächtigung [ist] als willkürlich anzusehen, weil es sich bei der Türkei nicht um ein geeignetes Schutzobjekt im Sinne des § 129b StGB handelt. Ein Staat, der ... nicht nur die eigene kurdische Bevölkerung bombardiert und zwei völkerrechtswidrige Angriffskriege beginnt, sondern auch die ethnische Säuberung des besetzten Gebietes anstrebt und vollzieht, stellt keine die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung im Sinne des § 129b StGB dar. Auch das friedliche Zusammenleben der Völker erfordert gerade, gegen diesen Staat Widerstand zu leisten.“

Protest vor dem Gericht

In den Schlussworten der Angeklagten und den Plädoyers der Verteidigung wurde immer wieder darauf verwiesen, dass das Verfahren von außenpolitischen Interessen der Bundesregierung geleitet ist. Durch die Übernahme der Erdogan‘sche Definition von „Terrorismus“ - und darunter fällt mittlerweile jegliche Kritik am Regime – akzeptiert das Bundesjustizministerium die türkische Sichtweise einer Rechtsauffassung, die selbst dem bürgerlichen Recht Hohn spricht.

So konnte das gesamte Verfahren inszeniert werden als „Antiterrorprozess”, wobei nicht der türkische Staatsterror Gegenstand der Verhandlung ist, sondern der Widerstand dagegen. Mit immensem Aufwand und Kosten sollte der Eindruck erweckt werden, als stünden „gefährliche Terroristen“ vor Gericht, die man mit Fußfesseln vorführt und in Isolationshaft hält. Das Regime in Ankara bekam seine Bilder und Schlagzeilen, um die eigene Hexenjagd gegen jegliche Opposition zu legitimieren.

Trotz aller Vorbereitung unterliefen dem Senat grobe Verfahrensfehler und Rechtsbrüche, die die Anwälte immer wieder monierten und bezweifelten, dass die Ermittlungsergebnisse rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Den Gerichtsdolmetschern wurden fehlerhafte Übersetzungen nachgewiesen und dennoch vom Vorsitzenden Richter Manfred Dauster ignoriert. Vertrauliche Prozessunterlagen landeten in Übersetzungsbüros in der Türkei. Vom türkischen Geheimdienst illegal beschaffte Beweismittel wurden zugelassen, wobei in der mündlichen Urteilsbegründung behauptet wird, „tatsächlich spielen Beweismittel aus der Türkei in diesem Verfahren nahezu keine Rolle.“ Vielmehr würden sich die Urteile vorwiegend auf Abhörprotokolle und Publikationen in frei zugänglichen Medien stützen.

Was bleibt am Ende dieses Mammutprozesses?

Durch einen Freispruch hätte dem türkischen Regime signalisiert werden können, dass die Bundesregierung nicht mehr bereit ist, als Handlanger einer Diktatur politisch und justiziell kurdische und türkische Regimegegner*innen zu verfolgen. Das Justizministerium könnte zur Auffassung kommen, dass in der Türkei keine „die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung“ herrscht. Eine Verfolgungsermächtigung als Geschenk für einen Staat auf dem Weg in den Faschismus käme nicht mehr in Frage. Wenn zugegeben würde, dass das AKP/MHP-Regime mit Dschihadisten kollaboriert und durch Angriffskriege und Besatzung das Völkerrecht bricht, wäre es vorbei mit der Partnerschaft. Dies einzugestehen und eine Kehrtwende in der Beurteilung des „Partners Türkei“ einzuleiten, dazu fehlt der Bundesregierung jedoch der Wille (und die Macht?).

Es ist zu befürchten, dass dieser Prozess in die Justizgeschichte eingeht als ein weiterer Versuch, gesellschaftliche Bewegungen im Widerstand gegen ein Unrechtsregime zu kriminalisieren. Diesmal traf es Aktivist*innen der TKP/ML. Immer wieder ist es auch die PKK, an der sich der Verfolgungseifer der deutschen Justiz die Zähne ausbeißt. An migrantischen Organisationen wird ausprobiert, welche Instrumente der Repression zur Aufrechterhaltung der Kapitalistischen Moderne am besten taugen. Doch im Visier sind längst auch andere, die als „Gefahr“ erkannt und benannt werden – siehe die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Ein Prozessbeobachter fasst zusammen: „Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir alle.“

Das vielleicht wichtigste Ergebnis am Ende der Prozesstortur: Alle zehn Angeklagten blieben unbeugsam in ihrer widerständigen Haltung. Dem deutschen Staat gelang es nicht, sie einzuschüchtern. Die prophetischen Worte von Müslüm Elma zu Beginn des Prozesses scheinen den Weg zu weisen, wie es weiter geht: „Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden.“

Protest auf der Straße

Auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich dann auch ca. 500 solidarische Menschen, die forderten „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ und Abschaffung der Paragraphen 129a/b sowie eine Umkehr der deutschen Außenpolitik, die Freiheitsbewegungen kriminalisiert und Diktatoren die Hand reicht. Vertreten waren außer TKP/ML, Partizan, ATIK auch die Rote Hilfe und das Münchener Solidaritätsbündnis für Kurdistan sowie weitere Gruppen und Einzelpersonen. Der österreichische Journalist Max Zirngast, der selbst in der Türkei mehrere Monate inhaftiert war, ließ solidarische Grüße ausrichten.