Vor dem Justizgebäude in Istanbul-Çağlayan haben Anwältinnen und Anwälte die sofortige Freilassung ihres hungerstreikenden Kollegen Aytaç Ünsal gefordert. An der Mahnwache nahm auch die HDP-Abgeordnete Züleyha Gülüm teil.
Rechtsanwältin Ayşegül Çağatay wies in einer Rede auf den Tod von Ebru Timtik hin und sagte: „Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat in der Türkei eine Anwältin ihr Leben verloren, weil sie Gerechtigkeit gefordert hat. In diesem Land gibt es keine Rechtsordnung und keine Gerechtigkeit. Wenn es sie geben würde, wäre Ebru heute bei uns.“
Ebru Timtik starb vergangene Woche nach drei Jahren Haft und einem 238 Tage andauernden Hungerstreik. Zusammen mit Aytaç Ünsal und anderen Anwält*innen der Kanzlei „Rechtsbüro des Volkes“ (HHB) war sie im September 2017 verhaftet und zwei Jahre später wegen Terrorvorwürfen zu einer dreizehneinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Angeklagten wurden aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen Verbindungen zur DHKP-C zur Last gelegt, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Die Istanbuler Gerichtsmedizin hat bei Ünsal und Timtik vor einem Monat eine Haftunfähigkeit festgestellt, trotzdem wurden sie nicht aus dem Strafvollzug entlassen, sondern zwangsweise im Krankenhaus untergebracht.
Çağatay bezeichnete die Unterbringung im Krankenhaus als „Folterzelle“, die schlimmer als der Strafvollzug sei. Aytaç Ünsal, der seit 214 Tagen mit der Forderung nach einem fairen Prozess die Nahrung verweigert, befinde sich auch wegen drohender Ansteckung mit dem Coronavirus in akuter Lebensgefahr. Wie die Rechtsanwältin weiter mitteilte, sind auch ihre hungerstreikenden Mandant*innen Didem Akman und Özgür Karakaya zwangsweise aus dem Gefängnis ins Krankenhaus verlegt worden. Über ihren Zustand habe sie keine Informationen. „Wir kämpfen dafür, dass nicht noch weitere Menschen sterben müssen. Sie sterben vor unseren Augen für eine Forderung, die ganz einfach zu erfüllen ist. Sie werden getötet“, so Ayşegül Çağatay.
Die HDP-Abgeordnete Züleyha Gülüm sagte: „Wir alle wissen, dass die Justiz in diesem Land nicht unabhängig ist, sondern den Befehlen des Palastes folgt. Wir wissen jedoch auch, dass wir dagegen kämpfen und für Gerechtigkeit in diesem Land sorgen müssen, um nicht selbst eines Tages zum Justizopfer zu werden.“ Die Politikerin forderte die Freilassung von Aytaç Ünsal und eine sofortige Entscheidung des Kassationsgerichtshofes, damit das Verfahren neu aufgerollt werden kann.