Im schweizerischen Lausanne trafen sich diesen Samstag hunderte Menschen zum Auftakt einer dreitägigen Demonstration der Initiative „Defend Kurdistan“ gegen Völkermord und Besatzung. Als Startpunkt der Veranstaltung, die das Motto „Kurdistan gegen die türkische Besatzung verteidigen“ trägt, wurde der Platz vor dem Schloss Ouchy gewählt. Hier wurde am 24. Juli 1923 der Vertrag von Lausanne beschlossen.
An der Demonstration beteiligen sich Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen aus Kurdistan, der Türkei, der Schweiz und Europa. Mit dabei sind Intellektuelle, Kunstschaffende und Mitglieder revolutionärer Bewegungen. Im Verlauf des Drei-Tages-Marsches mit dem Ziel Genf werden Seminare, Versammlungen und Konzerte stattfinden, auf denen der kurdische Widerstand gegen das türkische Besatzungs- und Völkermordkonzept thematisiert wird.
Türkei betreibt antikurdisches „ Konzept Besatzung und Genozid”
Eingeleitet wurde der erste Tag mit einer Schweigeminute für die Gefallenen des kurdischen Befreiungskampfes. Die Eröffnungsrede der Auftaktkundgebung hielt die genderparitätische Doppelspitze des kurdischen Dachverband in der Schweiz CDK-S und fasste darin die Ziele der Demonstration zusammen. Danach ergriff der Ko-Vorsitzende des Nationakongress Kurdistan (KNK), Ahmet Karamus, das Wort. Karamus hob hervor, dass das staatliche „ Konzept Besatzung und Genozid” der türkischen Führung mit dem Herannahen des Jahrestags des Lausanner Vertrags an Intensität gewinne. Die kurdische Gesellschaft würde auf immer aggressivere Weise ihren Errungenschaften beraubt, unterstrich der Politiker und verwies auf den aktuellen Angriffskrieg in Südkurdistan sowie andauernde Versuche der Türkei, ihre Besatzungszone in Westkurdistan (Nordsyrien) auszuweiten. „Europa leistet dem Regime in Ankara hierbei tatkräftige Unterstützung. Doch die Kurdinnen und Kurden sind bereit, Kurdistan gegen eine Neuauflage von Lausanne zu verteidigen”, sagte Karamus. Auch werde das Engagement kurdischer Organisationen für die Bildung einer nationalen Einheit weitergehen.
Aydar kritisiert Verbot von KCDK-E-Kongress
Zübeyir Aydar vom Exekutivrat der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) thematisierte am Beispiel Deutschlands die Kriminalisierung kurdischer Selbstbestimmung. Das Verbot des Kongresses des Europadachverbands KCDK-E durch Kölner Sicherheitsbehörden bezeichnete der Politiker als ein weiteres Glied in der Kette der Unterdrückung und Dämonisierung kurdischen Widerstands „im Sinne der faschistischen Erdoğan-Diktatur“. „Unsere Antwort auf den Vertrag von Lausanne und alle genozidalen Besatzunskräfte, die daran festhalten wollen, ist die kurdische Einheit. Diese werden wir in jedem Fall erreichen”, sagte Aydar.
Lausanner Politiker:innen solidarisch mit kurdischem Widerstand
Weitere Redebeiträge inklusive Solidaritätsbekundungen gab es von der Politikerin Franziska Meinherz von der linkssozialistischen Partei SolidaritéS, dem stellvertretenden Bürgermeister der Gemeinde Le Mont-sur-Lausanne Philippe Somsky, der grünen Kantonsabgeordneten Alice Genoud, den Lausanner Lokalpolitiker:innen Julien Eggenberger, Valentin Augsburger und Tobias Schnebli. Auch wurden Erklärungen im Namen der Initiative „Defend Kurdistan“, der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E), den kurdischen Parteien PYD und PDK-Iran sowie dem europaweiten „Bündnis der demokratischen Kräfte“ (ADGB) verlesen. Die Demonstration führte am ersten Tag über die westlich von Lausanne gelegene Gemeinde Renens und von dort weiter bis nach Morges. Dort geht es dann am morgigen Sonntag weiter.
Vertrag von Lausanne
Der Vertrag von Lausanne legte am 24. Juli 1923 nicht nur die heutigen Staatsgrenzen der Türkei fest, sondern auch die Teilung Kurdistans. Das Abkommen wurde zwischen der Türkei sowie den Alliierten des Ersten Weltkrieges Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen geschlossen. Mit einem Federstrich wurden die Kurden zu Türken, Iranern, Irakern und Syrern. Wie sich schnell herausstellte, standen selbst die ihnen zugebilligten Bürgerrechte nur auf dem Papier. Denn tatsächlich betrieben die Regierungen aller vier Staaten gegen die kurdische Minderheit eine Politik der Umsiedlung und Vertreibung, der gewaltsamen Unterdrückung, Türkisierung und Arabisierung. Auch fast ein Jahrhundert später hält dieser Zustand vor allem in der Türkei und im Iran weiter an.