Aufarbeitung des Massakers von Dersim gefordert

Vor 84 Jahren begann in Dersim das „Tertele“ genannte Massaker an der alevitischen Bevölkerung. Die HDP fordert eine Aufarbeitung und den Schutz des kulturellen Reichtums der Region, DIE LINKE verweist auf die mögliche Mitschuld des Dritten Reiches.

Mit der Entscheidung des türkischen Ministerrats vom 4. Mai 1937 wurde in Dersim ein Massenmord in Gang gesetzt. Die Menschen in Dersim nennen die Massaker von 1937/1938 Tertele, was Untergang und Zerstörung bedeutet. Zwischen 1937 und 1938 tötete die türkische Armee hier etwa 70.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder. Überlieferte Erinnerungen von Militärs, die sich den Genozids mitschuldig machten, sprechen ungeschminkt von dem Auftrag, der ihnen die Vernichtung befahl: Frauen, Kinder und alte Menschen, die sich in Höhlen versteckt hatten, wurden eingemauert, ausgeräuchert und durch Giftgas getötet. Kinder wurden enthauptet und Schwangere mit Schwertern ermordet. Etliche Frauen stürzten sich aus Angst vor dem kriegerischen Mob von den Bergklippen in den Fluss Munzur hinunter, um nicht in die Hände der türkischen Soldaten zu fallen. Zahlreiche Dörfer wurden durch Bombenhagel und Artillerie in Schutt und Asche gelegt. Mehr als 100.000 Menschen wurden zur Deportation gezwungen. Unzählige Mädchen und Jungen wurden verschleppt. Dennoch hat sich die Bevölkerung Dersims, eines der Zentren der alevitischen Weltanschauung, niemals der türkischen Oberherrschaft gebeugt.

Anlässlich des Jahrestages fordert die Demokratische Partei der Völker (HDP) den Schutz des kulturellen Reichtums in Dersim. „Heute wird immer noch versucht, Dersim mit der Doktrin einer einzigen Sprache und Religion zu assimilieren. Für den gesellschaftlichen Frieden ist es unerlässlich, dass dieses Vorhaben aufgegeben wird. Alle ethnischen und Glaubensidentitäten in Anatolien und Mesopotamien müssen als unsere gemeinsamen Werte geschützt werden“, erklärtedie stellvertretende Parteivorsitzende Tülay Hatimoğulları. Die Politikerin forderte die Aufarbeitung des Massakers vor 84 Jahren. Dafür müsse eine offizielle Entschuldigung erfolgen. Der Staat müsse endlich den Ort der Grabstätten von Seyid Riza und seinen am 15. November 1937 hingerichteten Weggefährten öffentlich machen und den Zugang zu Archiven ermöglichen.

Das fordert auch der Aufbaukongress Dersim und ruft dazu auf, um 19.37 Uhr weltweit Kerzen im Gedenken an das Massaker anzuzünden.

Die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE verweist auf die deutsche Beteiligung an dem Massenmord. „Die Bundesregierung muss endlich die mögliche Mitschuld des Dritten Reiches am Dersim-Massaker 1937 in der Türkei aufarbeiten“, erklärt Helin Evrim Sommer, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

„Nazi-Deutschland und die Türkei kooperierten bei den Massakern in Dersim in den Jahren 1937 und 1938. Mehr als 70.000 Alevitinnen und Aleviten in der Dersim-Region wurden durch das türkische Militär erschossen oder verbrannt. Die unter ihnen, die flüchten und sich in der Bergregion verstecken konnten, wurden wahrscheinlich mit Giftgas aus Nazi-Deutschland ermordet. Das legen Dokumente aus türkischen Staatsarchiven nahe.

Trotz dieser Dokumente weigert sich die Bundesregierung, dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten. Stattdessen schiebt sie die alleinige Verantwortung der Türkei zu und verweist darauf, dass die Aufarbeitung vor Ort geschehen muss. Die Bundesregierung muss den NATO-Partner Türkei auffordern, Geheimakten aus staatlichen Archiven der Türkei unabhängigen Historikern zugänglich zu machen. Erst dann kann das Dersim-Massaker historisch und politisch aufgearbeitet werden. 84 Jahre nach den Verbrechen wäre das ein überfälliger Akt. Nur so kann die Würde der Opfer wiederhergestellt und ein Versöhnungsprozess in die Wege geleitet werden.“