Antifa Enternasyonal vor dem Landgericht Lüneburg

Am 18. November 2020 findet die Berufungsverhandlung im Lüneburger Fahnenprozess vor dem Landgericht statt. Es geht um eine Antifa-Enternasyonal-Fahne, die auf einer Demonstration gegen die völkerrechtswidrige Efrîn-Invasion der Türkei mitgeführt wurde.

Am 18. November 2020 findet die Berufungsverhandlung im Lüneburger Fahnenprozess vor dem Landgericht statt. Ein Lüneburger Antifaschist ist angeklagt, eine Antifa-Enternasyonal-Fahne, die die Staatsanwaltschaft als „verbotenes Symbol“ bewertet, auf einer Demonstration am 24. März 2018 in Lüneburg mitgeführt zu haben.

Nach einem Freispruch vor dem Lüneburger Amtsgericht am 7. Juli 2020 hat die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Strafrichters am Amtsgericht eingelegt und will diese Niederlage nicht akzeptieren. Der Anklagevorwurf - ein angeblicher Verstoß gegen das Vereinsgesetz - soll nochmals verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft erhofft sich damit eine Verurteilung in ihrem Sinne, teilt die Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen mit:

„In Lüneburg wird auf Initiative der regionalen Staatsanwaltschaft und eines einzelnen Polizeibeamten der Staatsschutzabteilung das Verwenden der grünen Antifa-Fahne seit Monaten kriminalisiert. Die Antifa-Enternasyonal-Fahne kann mit Ausnahme von Lüneburg, Celle und der Türkei überall auf diesem Planeten problemlos gezeigt werden. Indem die Lüneburger Staatsanwaltschaft das PKK-Verbot immer maßloser ausdehnt, wird es jetzt auch auf Antifa-Gruppen und deren Symbole angewendet.

Das Ermittlungsverfahren beruht auf bloßen Vermutungen und einer Hypothese der Staatsanwaltschaft. Die Fahne wird seit Jahren in der BRD verwendet, sie ist frei verkäuflich, ist nicht in den Listen des Innenministeriums der verbotenen Symbole aufgeführt und ein Verbot ist nicht bekannt. Vielmehr ist die Staatsanwaltschaft Lüneburg für ihren Verfolgungseifer gegen die kurdische Freiheitsbewegung berüchtigt und versucht die deutsche Verbotspolitik mit ihren Repressionsmaßnahmen noch weiter auszudehnen. Ein weiteres Symbol soll offenbar verboten werden.“

Zum Hintergrund des Verfahrens hat die Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen eine ausführliche Erklärung veröffentlicht, die wie folgt ungekürzt dokumentiert wird:

Kämpft für Frieden und Freiheit!

Es ist der 24. März 2018 im niedersächsischen Lüneburg. Rund 500 Menschen sind zu einer Demonstration unter dem Motto „Frieden für Afrin“ zusammenkommen. Sie wollen gemeinsam gegen die türkische Militäroffensive auf Afrin auf die Straße gehen. Im Januar 2018 begann diese Aggression unter dem Namen „Operation Olivenzweig“ auf Befehl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ziel der Operation war es, die kurdischen Milizen im Norden Syriens zu zerschlagen und insbesondere die Volksverteidigungseinheiten aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Die Invasion endete im März 2018 mit der Einrichtung einer von der Türkei kontrollierten „Sicherheitszone“. Nach Einschätzung verschiedener Jurist*innen ist der türkische Angriff als völkerrechtswidriger Angriffskrieg zu werten.

Begleitet wurde die Militäroffensive durch eine Welle des Protests gegen das türkische Regime. Die Lüneburger Demonstration am 24. März 2028 wurde überschattet von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz. Schon vor Beginn der Veranstaltungen werden die Menschen kontrolliert, aufgefordert verschiedene Fahnen einzurollen und mit Strafverfahren bedroht. Die Polizei ging mit einer langen Liste von Symbolen der kurdischen Freiheitsbewegung durch die Veranstaltung und entschied danach, was verboten oder nicht verboten sei. Dies führte zu solch skurrilen Situationen, dass auch die Nationalfahne Kameruns eingezogen werden sollte, weil diese ebenfalls Grün-Rot-Gelb ist. Nach einiger Zeit konnte die Demonstration starten und zog lautstark durch die Innenstadt. Begleitet von der Polizei, die die Menschen fast die ganze Zeit filmte. Einige Male mussten noch die Flaggen der YPG eingerollt werden, die trotz alledem immer wieder gezeigt wurden.

Unter den Demonstrationsteilnehmern befand sich ein Antifaschist, der eine Antifa-Enternasyonal-Fahne bei sich trug. Er wurde vor und während der Demonstration nicht ein einziges Mal von der Polizei behelligt und nicht aufgefordert, die grüne Antifa-Fahne zu entfernen. Auffällig war, das er während der Demo immer wieder von der Polizei gefilmt wurde. Sofort nach Beendigung der Veranstaltung traten dann mehrere Polizeibeamte auf ihn zu und eröffneten ihm, das gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, da er mit der Fahne gegen das Vereinsgesetz (PKK-Verbot) verstoßen haben soll. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde dann noch die Fahne beschlagnahmt. Hintergrund für die Maßnahme sollte ein mittlerweile eingestelltes Ermittlungsverfahren in ähnlicher Angelegenheit sein. Dabei ging es um das Zeigen des Antifa-Enternasyonal-Symbols auf der Internetseite der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen.

Das Ermittlungsverfahren und Anklage gegen den Fahnenträger wurden damit begründet, dass die Antifa-Enternasyonal-Fahne ein abgewandeltes Symbol der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bzw. der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) darstellen würde. Beide Organisationen sind in der BRD mit einem Betätigungsverbot belegt. Die inkriminierte Fahne zeigt auf grünem Grund ein Antifa-Logo mit der türkischen Beschriftung „Antifa Enternasyonal“, welches durch gelbe Sonnenstrahlen eingefasst ist.

In einem Beschluss des Landgerichts Lüneburg zu einer Beschwerde gegen die Beschlagnahme der Fahne durch das Amtsgerichts Lüneburg, wurde dem Träger der Fahne und „der Antifa“ allgemein nicht nur die Unterstützung der PKK vorgeworfen, sondern die Verwendung der Fahne sei sogar Werbung für die PKK und ihrer Unterorganisationen. Auch das Lüneburger Landgericht will ein verbotenes Symbol sehen. In ihrem Beschluss verstieg sich dann das Gericht in die sehr krude These, dass das vollständige Überdecken des Roten Sternes in der originären KCK-Fahne durch das Antifa-Enternasyonal-Logo, wegen des verbleibenden Hintergrundes genauso zu werten sei wie eine nicht vollständige Überdeckung eines Hakenkreuzes.

Um die Verfolgung und ein Verbot der Fahne fortzuführen bzw. zu erreichen, wurde durch Staatsanwaltschaft und das Landgericht eine eigene Begründung konstruiert. Sie behaupten eine Übereinstimmung mit wesentlichen Vergleichspunkten des verbotenen Originalkennzeichens der KCK. Dabei geht es den Verfolgungsbehörden darum, die Antifa-Enternasyonal-Fahne als ein symbolträchtiges Kennzeichen zu deuten, welches dazu diene, das Verbot der PKK zu unterlaufen und den Anschein einer ungehinderten Vereinsbetätigung zu erwecken. Dieser Gefahr sei vorzubeugen und dafür dürfe der Ähnlichkeitsbegriff großzügiger ausgelegt werden. Ignoriert wird dabei, dass das Symbol bzw. die Fahne nicht in die Bergen Kurdistans entstanden ist, sondern aus der internationalistischen, antifaschistischen Bewegung Deutschlands.

Nachdem fast sämtlich Symbole der kurdischen Freiheitsbewegung verboten wurden, nimmt die Lüneburger Staatsanwaltschaft sich jetzt eins der antifaschistischen Bewegung vor. Die grüne Fahne mit dem Antifa Logo soll verboten werden, weil es für eine antifaschistische Bewegung steht, die internationalistisch, feministisch, ökologisch, antikapitalistisch und solidarisch ist. Die eine Perspektive formuliert hat, die sich am Schwur von Buchenwald orientiert und eine Welt des Friedens und der Freiheit zum Ziel hat.

Unbedingter Verfolgungswille

Am 29. Juni und 7. Juli 2020 fand dann die Hauptverhandlung vor dem Lüneburger Amtsgericht statt. Der angeklagte Antifaschist wurde freigesprochen! Der Richter sah in der Antifa-Enternasyonal-Fahne kein verbotenes Symbol, sondern ein Symbol der Antifa. Nachdem zwei Jahre zuvor die Fahne beschlagnahmt wurde und ein Ermittlungsverfahren gegen den Träger eingeleitet wurde, endete die erste Etappe in einem absurden Verfahren. An den beiden Prozesstagen stellte sich heraus, das nur im Bereich der Polizeidirektion Lüneburg gegen die grüne Antifa-Fahne vorgegangen wird und das sämtliche Beschlagnahmungen und Verfahren auf Initiative der regionalen Staatsschutzabteilung durchgeführt wurden bzw. werden. Schon am ersten Prozesstag machte ein Polizeibeamter aus Hannover deutlich, dass dort eine andere Rechtsauffassung vorherrscht und sie keine Gründe sehen, gegen die Fahne vorzugehen. Diese Feststellung deckt sich mit der Situation im restlichen Bundesgebiet. Nur die örtliche Polizei und Staatsanwaltschaft sieht hier eine „strafbare Fahne“.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg betonte bis zum Schluss, dass die Antifa-Enternasyonal-Fahne ein „symbolträchtiges Kennzeichen“ sei, welches dazu diene, das Verbot der PKK zu unterlaufen und den Anschein einer ungehinderten Vereinsbetätigung zu erwecken. Andere Wertungen ließen sie nicht zu, um hier einen Präzedenzfall zu schaffen und ein internationalistisches Antifa-Symbol zu verbieten.

Der vorsitzende Richter machte in seiner Urteilsbegründung allerdings deutlich, dass mensch die Fahne nicht mit der KCK-Fahne gleichsetzen könne, sondern das er ein Symbol der Antifa sieht. Auch wenn eine Ähnlichkeit zur KCK-Fahne besteht, so ist das Symbol der Antifaschistischen Aktion doch zentral und somit Ausdruck der Fahne. Auch würden unbefangene Beobachter*innen hier ein Symbol der Antifa sehen. Auch wenn die Symbole ähnlich seien, wäre die Antifa-Enternasyonal-Fahne nicht strafbar, weil unbefangene Menschen hier kein verbotenes Symbol erkennen können. Die Staatsanwaltschaft hat dann Berufung gegen das Urteil eingelegt und will eine anders lautende Entscheidung erzwingen.

Den unbedingten Verfolgungswillen der Lüneburger Staatsanwaltschaft und Polizei zeigt auch, dass alleine in diesem Jahr schon vier weitere Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang gegen einen weiteren Lüneburger Antifaschisten eingeleitet wurden. Einmal wieder wegen der Verwendung des Symbols auf der Internetseite der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen, dann wegen einem Interview im Kurdistan Report, ein weiteres wegen einer Solidaritätsaktion am ersten Prozesstag, bei der 15 Fahnen beschlagnahmt wurden und dann noch wegen einer beschlagnahmten Fahne während einer Kundgebung anlässlich des weltweiten Aktionstags für Rojava im Juli 2020.

Weg mit dem PKK-Verbot!

Am 26. November 1993 hat der damalige Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, das Betätigungsverbot gegen die „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK verhängt. Es folgte eine Welle der Kriminalisierung gegen Kurd*innen mit Ausgrenzung aus dem sozialen und politischen Leben. Aktuell befinden sich, legitimiert durch den Paragraphen 129b (StGB), mehrere kurdische Aktivisten, deren Engagement ausschließlich einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage und der Etablierung einer Demokratiekultur galt, als politische Gefangene in deutschen Haftanstalten. Die Kriminalisierung von Kurd*innen in Deutschland wird weiter fortgesetzt. Durchsuchungen von Privatwohnungen, Vereinen, Beschlagnahmungen und Inhaftierungen waren und sind immer wieder an der Tagesordnung. Die Gewalt und Repression gegen Sympatisant*innen der PKK ist auch ein Angriff auf die demokratische Gesellschaft hier und betrifft uns alle.

Auch wenn die Zeiten sich seitdem grundlegend geändert haben, steht dieses Verbot seit 27 Jahren gegen den Traum von Demokratie, Freiheit und Frieden. Die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei stehen an der Spitze der Länder, die global gegen demokratischen Protest und Freiheitsbewegungen kämpfen. Doch die PKK und ihr Projekt des Demokratischen Konföderalismus haben in dieser Zeit deutlich an Bedeutung gewonnen. Nicht umsonst titelte eine Zeitung im September 2014: ‚Die PKK gehört zu Deutschland‘.

Unsere Utopie gegen ihre Repression

Die Ideen der PKK und ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan inspirieren heute mehr Menschen denn je. In Deutschland identifizieren sich seit dem Widerstand von Kobanê und Afrin viele Menschen mit dem Projekt des Demokratischen Konföderalismus und seiner gelebten Utopie in der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien. Die gesellschaftliche Akzeptanz des PKK-Verbots in Deutschland bröckelt. Denn Millionen von Menschen in Deutschland wissen, dass es die bewaffneten Kräfte der PKK waren, die im Sommer 2014 durch ihren Einsatz gegen den Islamischen Staat einen Völkermord an der ezidischen Bevölkerung in Shengal verhinderten.

Die kurdische Befreiungsbewegung ist Inspiration und Modell für die Linke weltweit. Sie bildet ein solides Fundament für nachhaltige Veränderungen in der Region sowie eine demokratisch-pluralistische Gesellschaft jenseits von nationalistischen, patriarchalen und religiös-fundamentalistischen Vorstellungen. Die kurdische Freiheitsbewegung hat sich zu einer immer größer werdenden Alternative zu den Regimen von Erdogan in der Türkei, Assad in Syrien, den korrupten Machthabern in Bagdad oder den islamistischen Terroristen des IS entwickelt. Sie steht wie keine andere Bewegung für Demokratie, Frauenrechte, Ökologie und Frieden.

Es gilt, diese demokratischen Strukturen und Erfahrungswerte auszubauen und fortschrittliche Kräfte zu stärken. Der Angriff auf diese, ist auch ein Angriff auf die fortschrittlichen Kräfte der globalen Linken. Die Menschen in Rojava schließen sich nicht nur aus Gründen der militärischen Selbstverteidigung zusammen. In einem Kriegs- und Krisenherd wird dort praktisch erprobt, was es heißt eine neue Gesellschaft zu errichten, die den Maßstab der Freiheit in radikaldemokratischen Prinzipien sieht und in der Frauen* tatsächlich mal Macht über die Organisierung einer Gesellschaft haben.

Gemeinsam stehen wir auf gegen Faschismus und Krieg und für Demokratie, Geschlechterbefreiung, Frieden und Freiheit überall auf der Welt. Der Weg dahin ist nur gemeinsam feministisch, antifaschistisch und internationalistisch zu bestreiten. Gegen ihre Kriminalisierung und Repression stellen wir unseren gemeinsamen Traum von einem demokratischen, feministischen und ökologischen Leben – in Deutschland, Kurdistan und überall auf der Welt.

Wir müssen deutlich machen, dass wir uns die grüne Antifa-Fahne nicht nehmen lassen werden! Was auch immer die Staatsanwaltschaft in ihr sehen will, für uns ist sie eine Antifa-Fahne, die nicht nur schön aussieht, sondern besonders gut unsere Perspektive antifaschistischer Arbeit ausdrückt.

Zur Zeit wird das Antifa-Enternasyonal-Symbol in der BRD nur durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg verfolgt. Neben den beschlagnahmten Fahnen aus Lüneburg, gab es nur im benachbarten Celle einen vergleichbaren Fall. Überall sonst kann die Fahne problemlos mitgeführt werden. Auch in Lüneburg wurde vor und nach der Demo und Beschlagnahmung der Fahne im März 2018, das Zeigen der Fahne bis zum ersten Prozess im Juli 2020 nicht verfolgt. Hier soll ein Präzedenzfall geschaffen werden, um ein Antifa-Symbol zu verbieten. Es kann der Fall eintreten, dass die Antifa-Enternasyonal-Fahne auf der Liste der verbotenen Symbole landet und nicht mehr öffentlich gezeigt werden darf. Um dies zu verhindern und den Angeklagten zu unterstützen, rufen wir zu einer solidarischen Prozessbegleitung auf und wollen damit verdeutlichen, dass wir uns unsere Symbole nicht verbieten lassen.

Solidarität hilft siegen: Kommt zum Prozess

Unsere Antwort auf die Kriminalisierung und den Prozess ist die Solidarität mit dem Angeklagten. Am 18. November treffen wir uns um 8:45 Uhr vor dem Landgericht (Am Ochsenmarkt) in Lüneburg. Der Prozess soll um 9.30 Uhr beginnen.

Aufgrund der Maßnahmen wegen Corona, finden Prozesse zur Zeit unter besonderen Bedingungen statt. So ist die Anzahl der Besucher*innen in den Räumen eingeschränkt. Außerdem sind alle verpflichtet einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.

Für den Prozess und mögliche Verhandlungen bei weiteren Instanzen wird neben Solidarität auch viel Geld benötigt:

Solidaritätskonto:
Solidarität (Kontoinhaber*in)
Volksbank Lüneburger Heide
IBAN: DE90 2406 0300 0125 3816 00
Stichwort: „Flagge zeigen“ (bitte angeben)