Mit einer bewegenden Trauerfeier haben sich Familie, Weggefährt:innen und Menschen aus der Politik am Sonntag in Hamburg von der Shoah-Überlebenden Esther Bejarano verabschiedet. Die Musikerin und Antifaschistin war am 10. Juli nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 96 Jahren in ihrer Wahlheimat Hamburg gestorben. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf neben ihrem bereits 1999 gestorbenen Ehemann Nissim Bejarano beerdigt.
„Heute wollen wir innehalten. Und schweigen und trauern. Um dann Esther Bejaranos Auftrag zu erfüllen: ‚Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!‘“, hieß es in einer Erklärung zur Trauerfeier, die von der Familie Bejarano, dem deutschen und dem internationalen Auschwitz-Komitee unterzeichnet wurde.
Nur wenige Gäste konnten direkt an der Trauerfeier in der Kapelle des Friedhofs teilnehmen, die Ansprachen wurden jedoch vor die Friedhofstore und auf eine nahe Kundgebung übertragen, welche vom Auschwitz-Komitee und dem Bündnis gegen Rechts Hamburg organisiert worden war. Am Eingang des Jüdischen Friedhofs konnten Kränze und Blumen abgegeben werden. Auch die kurdische Community übergab einen Kranz und trug sich in ein bereitliegendes Kondolenzbuch ein.
Auf der Kundgebung wurde Esther Bejaranos Appell an die Jugend verlesen. Darin heißt es:
„1945 war es für uns unvorstellbar, dass Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. (…) Wir hoffen auf euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpasst, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist“.
Zu Beginn sprach Joram Bejarano, Esthers Sohn, einige Worte auf hebräisch und deutsch und begrüßte die Trauergäste. Der erste Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher, sprach im Namen des Hamburger Senats. Er erklärte, Esther Bejarano habe vier Jahrzehnte Impulse für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gegeben, was ein großes Geschenk für die Stadt Hamburg sei.
„Warum hat er dann so wenig davon umgesetzt“, kommentierte eine Besucherin der Trauerfeier diese Rede. „Er hätte besser geschwiegen.“ Damit spielte sie auch darauf an, dass Esther Bejarano, obwohl sie seit den 1960er Jahren die Politik in Hamburg mitgestaltet hat, niemals Ehrenbürgerin geworden ist, sowie darauf, dass die reiche Stadt Hamburg anders als von Esther Bejarano gefordert, viele Menschen ausgrenzt.
Rolf Becker: Forderungen von Esther Bejarano unerfüllt
Der Schauspieler und enge Freund von Esther Bejarano, Rolf Becker, ging auf viele der Forderungen und Kämpfe von Esther Bejarano ein, die die Stadt Hamburg niemals erfüllte: Die Forderungen nach einer menschlichen Obdachlosenpolitik, hier zitierte der 86-jährige Becker Esther Bejarano: „Sie sind obdachlos, weil sie im Konkurrenzkampf des Kapitalismus nicht standhalten konnten, es ist das System, das menschenverachtend ist.“ Becker ging auf Esthers Forderung nach bedingungsloser Aufnahme der Lampedusa-Gruppe ein, die nach acht Jahren immer noch ohne Aufenthaltsrecht ist. Zudem zitierte er aus ihren Briefen an die überlebenden Familienmitglieder der Anschläge von Mölln und Solingen, in denen sie kritisierte, dass sich Nazis in Verfassungsschutz und Justiz ausbreiten konnten, es keine Konsequenzen gab und Toleranz gegenüber den Tätern geübt wurde.
Sie wünschte sich, dass sich Russen und Amerikaner wie damals in den Armen liegen
Rolf Becker erinnerte daran, wie Esther bei ihrer Befreiung durch die Alliierten in Lübz Akkordeon gespielt und sich gewünscht hatte, dass sich Russen und Amerikaner wie damals in den Armen liegen würden, um den Frieden zu feiern. Soldaten der Roten Armee kamen in das Dorf und schrien, Hitler sei tot und der Krieg sei aus. „Russische und amerikanische Soldaten feierten gemeinsam und verbrannten ein großes Bild von Hitler; ich spielte dazu Akkordeon. Es war fantastisch“, hatte Esther Bejarano über die Befreiung berichtet.
Becker erinnerte auch daran, dass Esther das brutale Besatzungsregime gegen die Palästinenser:innen und die mehr als fragwürdige Israel-Solidarität der Antideutschen kritisiert habe, dass Deutsche sich nicht darüber zu entscheiden hätten, wozu Jüd:innen sich äußern dürften. Sie erklärte sich solidarisch mit Moshe Zuckermann, der immer wieder von Antideutschen angegriffen wurde, da er Israel kritisierte und sich für konföderative Strukturen einsetzte.
Ihre letzte große Reise 2017 sei nach Kuba gegangen, wo sie gegen den 60 Jahre andauernden Boykott durch die USA protestierte. Esther sei Kommunistin gewesen, die viele Aufgaben an uns weitergereicht habe, so Becker.
Rabbiner Bistritzky: Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft
Die jüdische Schauspielerin und Autorin Peggy Parnass, deren Familie in Treblinka ermordet wurde und die eine langjährige Freundschaft zu Esther Bejarano pflegte, sprach sehr persönliche Worte. Sie erinnerte daran, dass Esther einen wunderbaren Ehemann gehabt habe und von vielen wunderbaren Menschen umgeben war. Sie habe eine wunderbare Freundin verloren und eine Genossin.
Der Rabbiner Shlomo Bistritzky erklärte, dass es ohne Erinnerung keine Zukunft gebe. „Esther Bejarano wurde zum Symbol, zur Lehrerin für uns alle, entschlossen für das Leben zu kämpfen“. Es sei ihre Rache an den Nazis gewesen, hier in Hamburg zu leben und auf diesem jüdischen Friedhof begraben zu werden.