Bei den türkischen Luftangriffen am Dienstagabend sind im Nordirak und in Nordsyrien neun Menschen ums Leben gekommen, darunter drei Zivilisten in Şengal, zwei Mitglieder der Selbstverteidigungskräfte im Flüchtlingslager Mexmûr und vier QSD-Kämpfer, die eine Elektrizitätsstation in Dêrik bewachten. Dutzende Menschen wurden verletzt.
Im ezidischen Siedlungsgebiet Şengal sind nach Angaben der YBŞ (Widerstandseinheiten Şengals / Yekîneyên Berxwedana Şengalê) 21 militärische Ziele bombardiert worden. Darüber hinaus wurden auch zivile Ziele angegriffen, drei Zivilisten sind ums Leben gekommen. Die YBŞ haben keine Verluste erlitten.
„Warum tut al-Kadhimi nichts für die Würde des Irak?“
In Şengal wird auch die irakische Regierung für die permanenten Angriffe der Türkei verantwortlich gemacht. Dayê Şemê (Şemê Remo) ist Mitglied der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ und hat sich an dem durch die Luftangriffe zerstörten Stützpunkt des in die irakische Armee eingegliederten schiitischen Milizenbündnisses Hashd al-Shaabi in Xanesor gegenüber ANF zu der grenzüberschreitenden Operation der Türkei geäußert. Die Aktivistin sagt, dass der türkische Staat das kurdische Volk auslöschen will und sich dabei mit der Barzanî-Partei PDK und dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi koordiniert. Wenige Tage vor der Bombardierung hätten Gespräche zwischen al-Kadhimi, Vertretern des türkischen Staates und der PDK stattgefunden.
Dayê Şemê zeigt auf eine bei dem Bombenangriff zerfetzte irakische Fahne und sagt: „Warum lässt der Irak sich das gefallen? Warum erlaubt er Erdogan diese Angriffe? Al-Kadhimi hat vor kurzem das Randgebiet von Şengal besucht. Direkt nach diesem Besuch ist unser Kommandant Seîd Hesen bei einem gezielten Drohnenangriff gefallen. Wir sehen doch diese zerrissene irakische Fahne, warum tut al-Kadhimi nichts für die Würde des Irak? Wie kann er als Ministerpräsident dazu schweigen, wenn irakisches Territorium bombardiert wird?“
Türkei, IS, USA: Ihr Plan beinhaltet auch Şengal
Die Aktivistin sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der gescheiterten Erstürmung des Sina-Gefängnisses in Nordsyrien durch den IS und den türkischen Luftangriffen: „Erdogan hat den IS das Gefängnis in Hesekê angreifen lassen. Weil er damit keinen Erfolg hatte, hat er Dienstagabend unsere Region mit Kampfjets bombardieren lassen. Auch bei dem Angriff in Hesekê ist die Zusammenarbeit mit den USA eindeutig, denn die USA hätten diesen Angriff verhindern können. Das haben sie nicht getan und ihr Plan beinhaltet auch Şengal. Mit den irakischen Militärbewegungen in Şengal sollte dem IS der Weg freigemacht werden. Warum öffnet die irakische Regierung den Luftraum für die Türkei? Soll das Land nur am Boden verteidigt werden? Ein Ministerpräsident, der einem anderen Staat den Luftraum für Angriffe öffnet, wird nur dabei zusehen, wenn sein eigenes Land besetzt wird. Wenn al-Kadhimi zu den Angriffen schweigt, soll er sich nicht Ministerpräsident nennen, denn das macht keinen Sinn.“
„Wir können uns selbst verteidigen“
Für Dayê Şemê sind die YBŞ und die Fraueneinheiten YJŞ die einzigen legitimen Verteidigungskräfte in Şengal, weil Kämpferinnen und Kämpfer selbst aus der Region stammen: „Solange wir leben und es die YBŞ-YJŞ gibt, werden wir niemandem die Orte überlassen, an denen im Kampf gegen den IS unser Blut vergossen wurde. Wir werden weiter Widerstand leisten und nicht zulassen, dass unsere Feinde Erfolg haben. Die Frauen und die Jugend in Şengal kann sich inzwischen selbst verteidigen. Wir werden nicht erlauben, dass die Würde der ezidischen Gemeinschaft mit Füßen getreten wird.“