Tausende Menschen haben in der südwesttürkischen Provinz Muğla mit einer Menschenkette gegen die Abholzung des Akbelen-Waldes zugunsten einer Braunkohlemine protestiert. Die Teilnehmenden reisten am Sonntag aus verschiedenen Teilen des Landes nach einem Aufruf des Umweltkomitees Ikizköy nach Milas an die Ägäis und versammelten sich entlang einer Landstraße zu einer rund drei Kilometer langen Reihe. Anlass war ein „Großes Akbelen-Treffen“ in dem von Vernichtung bedrohten Forst, wo die Menschenkette nach einem Fest begann.
Besonders einfach gestaltete sich die Anreise in den Wald jedoch nicht. Auf der weniger als zwanzig Kilometer langen Strecke zwischen Milas und Ikizköy waren mehrere Kontrollpunkte wie Pilze aus dem Boden geschossen, Polizei und Gendarmerie führten bei den Demonstrierenden bis zu vier Abfragen ihrer im GBT-System gespeicherten Daten durch. Viele Menschen drückten ihren Unmut dagegen mit Parolen wie „Überall ist Akbelen, überall ist Widerstand“, „Mörder Limak, Kollaborateur AKP“ und „Die Barrikaden den Banden statt dem Volk“ aus. Als das Widerstandscamp im Wald erreicht wurde, skandierte die Menge: „Von Akbelen bis Cûdî: Êdî bese!“ („Es reicht!“).
Im Protestlager war eine Bühne für politische und musikalische Statement aufgestellt worden. Die erste Rede wurde von Necla Işık, Sprecherin des Umweltkomitees Ikizköy, gehalten. „Seit mehr als zwei Wochen schreitet das Massaker im Akbelen-Wald bereits voran. Doch die große öffentliche Unterstützung motiviert uns, nicht aufzugeben. Wir werden diesen Ort nicht dem Braunkohle-Tagebau überlassen. Seit 2019 kämpfen besonders wir Frauen aus Ikizköy bereits für den Erhalt unserer Heimat und Natur. Sollte dieser Widerstand unser Leben einfordern, sind wir bereit, es zu geben. Wir sind entschlossen, unsere Bäume zu verteidigen. Koste es, was es wolle“, sagte Işık.
Auch Nurşen Ataman, Ko-Vorsitzende des Bezirksverbands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Buca bei Izmir, war nach Milas gekommen. In einer Rede thematisierte sie den Ökozid in Kurdistan und sprach die jüngsten Brandrodungen in Waldgebieten am Cûdî in Şirnex (tr. Şırnak) an. Die Vernichtung des Baumbestands auf dem Massiv findet unter anderem für Steinbrüche und Ölfirmen statt, als Brandstifter agiert die türkische Armee. „Dieser Fleck Erde, der da gerade zerstört wird, ist mein Zuhaue“, sagte Ataman. „Ich appelliere an euch alle, mein Zuhause zu verteidigen. Lasst uns gemeinsam kämpfen – für Akbelen und für den Cûdî.“
Der Istanbuler EMEP-Abgeordnete Iskender Bayhan, der im Mai über die Liste der Grünen Linkspartei (YSP) ins türkische Parlament gewählt wurde, bezeichnete die Abholzung des Akbelen-Waldes als „Abschlachten“, für das Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen Ein-Mann-Regime verantwortlich sei. „Die Herrschenden sind unfähig, die Bevölkerung mit Brot zu versorgen. Für einen gerechteren und würdevollen Umgang mit den Menschen und der Natur muss diese Ordnung der Vergangenheit angehören“, sagte Bayhan.
Nach weiteren Reden gab es ein musikalisches Bühnenprogramm mit den Bands Siya Siyabend und Praksis sowie dem Solokünstler Tolga Çandar. Zum Ende des Fests wurde mit einer Schweigeminute der Bäume gedacht, die zugunsten der türkischen Energiepolitik bis heute der Rodung in Milas geopfert wurden. Auf einem Platz war ein in ein Leichentuch gewickelter Baum aufgestellt worden, der das „Naturmassaker“ im Akbelen-Wald symbolisierte. Daran anschließend startete hinter einem großen Fronttransparent, auf dem „Wir geben den Akbelen nicht her“ zu lesen war, die Menschenkette Richtung Milas. Aus vollem Halse wurde erneut „Von Akbelen bis Cûdî: Êdî bese!“ gerufen.
Akbelen-Wald soll für Braunkohle verschwinden
Der an das Dorf Ikizköy grenzende 740 Hektar große Akbelen-Wald im Kreis Milas soll abgeholzt werden, um das von der „Limak Holding“ betriebene Heizkraftwerk Yeniköy-Kemerköy weiter mit Braunkohle zu versorgen. Das Kraftwerk wurde Ende des 20. Jahrhunderts nach polnischen Plänen gebaut und ist eigentlich am Ende der Lebensdauer angekommen. Der türkische Staat verlängerte die Laufzeit auf weitere 25 Jahre, ohne dringend nötige umwelttechnische Renovationen zu verlangen. Mehrere Dörfer in der Region wurden bereits zerstört und damit auch die Lebensgrundlagen von vielen Kleinbäuer:innen. Laut den Plänen der Limak Holding sollen weitere 40 Dörfer den Schaufeln der Kohlebagger weichen.
Zivile Klagen gegen die vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft erteilte Rodungsgenehmigung führten zunächst dazu, dass bis zur gerichtlichen Klärung keine Fakten geschaffen werden dürfen. Im Juli 2021 schickte die Generaldirektion für Forstwirtschaft trotzdem mehrere Fälltrupps in den Akbelen aus – unter dem Deckmantel, Waldbrände zu bekämpfen. Tatsächlich zielte das mit der Kraftwerksfirma koordinierte Vorgehen auf Rodungen im Akbelen-Wald an, die nur durch direkte Aktion der Bevölkerung unterbunden werden konnte.
Nach dem Verlust der ersten 30 Bäume entstand ein Zelt- und Hüttendorf im Wald. Durch diesen Widerstand konnten zunächst weitere Abholzungsversuche verhindert und eine permanente Besetzung aufgebaut werden. Seit ein Gericht den Beschluss über den Rodungsstopp im vergangenen Dezember aufgehoben hat, rechnete das Widerstandskomitee Akbelen mit dem Beginn der Rodungen nach den Wahlen im Mai. Seither haben Dorfbewohner:innen und Unterstützer:innen die Abholzung des Waldes mehrmals gestoppt. Seit zwei Wochen sind sie jedoch mit einem polizeilichen und militärischen Großaufgebot konfrontiert, das nach den Worten eines Ökoaktivisten „wie eine Besatzungsmacht agiert“.
Limak Holding Teil der „Fünferbande“
Die Limak Holding ist Teil der sogenannten „Fünferbande“, einem Unternehmenskomplex engster Verflechtung zwischen AKP/MHP-Regime und Konzernen, die massiv aus sogenannten Public-Private-Partnership-Projekten profitieren. Diese fünf Megafirmen haben einen Großteil der Wirtschaft in der Türkei unter sich aufgeteilt und erhalten die Mehrheit der Staatsaufträge. Ob in Akbelen, im Ida-Gebirge, in Wan oder den Nordwäldern, die Fünferbande gilt als größter Zerstörer des ökologischen und sozialen Gleichgewichts in Kurdistan und der Türkei und war auch am Untergang von Heskîf (Hasankeyf) beteiligt.