Schulstreik, Baggerbesetzung und eine andere Welt

An diesem Wochenende werden in Nordrhein-Westfalen zehntausende Menschen gegen Klimawandel und Kohlekraft auf die Straße gehen. Und nicht nur das: Mehrere tausend Menschen werden den Kohlekonzern RWE lahmlegen. Zumindest für einige Stunden oder Tage.

An diesem Wochenende werden in Nordrhein-Westfalen zehntausende Menschen gegen Klimawandel und Kohlekraft auf die Straße gehen. Und nicht nur das: Mehrere tausend Menschen werden den Kohlekonzern RWE lahmlegen. Zumindest für einige Stunden oder Tage. Warum? Und vor welchen Herausforderungen steht diese Bewegung?

In diesen Tagen spitzt sich in Nordrhein-Westfalen der Widerstand gegen die Kohleindustrie zu. Ein Jahr nach den letzten großen Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst und den letzten großen Blockadekationen gegen RWE, also den Energiekonzern, der in Deutschland die größte Verantwortung für den Klimawandel trägt, wollen tausende Menschen im Rheinland unter der Flagge des Anti-Kohle-Netzwerkes „Ende Gelände“ die Kohlegrube und die riesigen Bagger von RWE besetzen. Schon im vergangenen Jahr nahmen mehr als 6.000 Menschen an den Aktionen teil, dieses Jahr werden es wohl noch mehr. Parallel dazu werden am morgigen Freitag in Aachen bei einer Großdemonstration der Schulstreikbewegung „Fridays for Future“ zehntausende Jugendliche für den Schutz des Klimas und gegen die Unfähigkeit der Regierungen, Antworten auf die Klimakrise zu finden, demonstrieren. Viele von ihnen wollen sich nach der bundesweiten Demonstration den Blockadeaktionen von „Ende Gelände“ anschließen.

Doch worum geht es dabei genau? Konzerne wie RWE, die durch die Verbrennung von Kohle Strom herstellen, gehören zu den Hauptverursachers des Klimawandels. RWE ist der größte Klimakiller Europas, kein anderer Konzern stößt auf dem Kontinent so viel CO2 aus. Allein das Kraftwerk im Rheinland ist in Deutschland für rund 13 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb wollen so viele Menschen den Konzern aufhalten und ihn dazu zwingen, das Kohlebaggern zu beenden. Zwölf deutsche Braunkohle-Tagebaue sind aktuell aktiv. In ihnen werden rund 20 Prozent der weltweit geförderten Braunkohle abgebaut. Und problematisch daran ist nicht nur der Ausstoß des Treibhausgases CO2, sondern auch der Ausstoß von Feinstaub und Schwermetallen: Allein die vier großen RWE-Braunkohlenkraftwerke im Rheinland emittieren jährlich etwa 1.500 Kilogramm des Nervengifts Quecksilber und weitere Schadstoffe wie Cadmium, Arsen und Blei.

Parteien und Regierungen haben immer wieder signalisiert, die Kritik an Kohleverstromung ernst zu nehmen, und langfristig aus der Kohle auszusteigen. Doch passiert ist bislang wenig, weder unter der Rot-Grünen Regierung noch in drei Amtszeiten von Angela Merkel (CDU): In der Bundesrepublik ist die Menge der geförderten Braunkohle seit den 1990er Jahren nahezu unverändert groß. Die Bewegung „Ende Gelände“ hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, so viel Druck aufzubauen, sodass die Politik handeln muss. Das Bündnis fordert einen sofortigen Kohleausstieg. Was sich im ersten Moment utopisch anhören mag, wäre technologisch und gesellschaftlich umsetzbar, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden, die sich durch Energieeinsparung, erneuerbaren Energiegewinnung, sowie Konzepte zur Mobilitätswende ergeben. Zudem gibt es in der Bundesrepublik derzeit einen Stromüberschuss. Statt die Verstromung von Kohle herunterzufahren, exportieren Konzerne wie RWE Strom ins Ausland.

Die Konzerne dazu aufzurufen, ökologischer zu wirtschaften, macht natürlich wenig Sinn. Sie können nicht anders - die kapitalistische Konkurrenz und der Wachstumszwang drängen sie dazu, die Profitinteressen über die Natur und die Zukunft der Menschheit zu stellen. Die Klimakrise, und darüber sind sich verschiedenen Klimabewegungen wie „Ende Gelände“, „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ einig, erfordert radikale gesellschaftliche Veränderungen. Und gerade bei „Ende Gelände“ beschäftigt man sich schon länger damit, wie diese Veränderungen konkret aussehen können. Eine Lösung der Klimakrise, das zumindest ist in der Bewegung Konsens, kann nicht autoritär von oben, sondern nur demokratisch erarbeitet werden. Demokratie aber bedeutet auch, die Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Zu hinterfragen, wer die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel wie Fabriken, Rechenzentren und Boden hat. Und an dieser Stelle treffen sich die ökologische und die soziale Frage: Wer profitiert von der Zerstörung des Planeten, auf dem wir leben? Und wer leidet am meisten darunter? Und vor Allem: Wie können wir es anders machen?

Bei „Ende Gelände“ spricht man deshalb nicht nur von Klimaschutz, sondern von Klimagerechtigkeit. Die soziale und die ökologische Frage werden mit diesem Begriff zusammen gedacht. Und auch bei „Fridays for Future“ gibt es nicht wenige, die in diese Richtung denken und handeln. Die antikapitalistische Plattform „Change for Future“ versucht innerhalb der Schulstreikbewegung schon seit einigen Monaten, klassenkämpferische Positionen stark zu machen. Das ist auch wichtig, weil gerade rechte und konservative Kräfte immer wieder versuchen, die soziale und die ökologische Frage gegeneinander auszuspielen. Sie versuchen, den Leuten mit Warnungen vor den Kosten der ökologischen Wende Angst zu machen. Diese Ängste müssen ernst genommen und aufgefangen werden. Die Klimagerechtigkeitsbewegung versucht an dieser Stelle klar zu machen, dass es die Profiteure der Naturzerstörung sein müssen, die für die Kosten der Klimakrise aufkommen sollen. Teile der Klimabewegung fordern in diesem Zusammenhang auch die Vergesellschaftung von RWE und anderen Energiekonzernen. Sie folgern ganz richtig, dass die Klimakrise nur gelöst werden kann, wenn die Wirtschaft demokratisch kontrolliert und sozialen sowie ökologischen Fragen untergeordnet wird.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung greift bei der Verbindung von sozialen und ökologischen Kämpfen eine Tradition auf, die in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA in den 1980er Jahren begann. Schwarze Menschen waren und sind in den USA, zum einen wegen strukturellem Rassismus, zum anderem wegen der sich auch daraus ergebenden ökonomischen Benachteiligung, viel öfter von ökologischer Zerstörung betroffen als weiße Menschen. In den 80ern kam in der antirassistischen Bewegung der Begriff der „Environmental Justice“ auf, der die Verquickung vom Kampf der schwarzen Bevölkerungsschichten und der Arbeiter*innenklasse um Emanzipation mit ökologischen Widerständen herstellte. Daran kann heute wieder angeknüpft werden.

Die nächste große Gelegenheit dafür bietet der 27. September. Für diesen Tag rufen verschiedenen Bewegungen wie „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ zum Earth Strike auf. Und die Rede ist dabei längst nicht mehr nur von Schüler*innen und Studierenden. Die Rede ist längst nicht mehr nur vom Schul- sondern vom Generalstreik.