Ein Wochenende im widerständigen Hambacher Forst

Der Hambacher Forst und seine Abholzung ist zurzeit in aller Munde. Er ist für viele zum Symbol für die Ausbeutung der Natur durch das kapitalistische Patriarchat, für die Macht des Polizeistaats, aber auch für Widerstand und kollektives Leben geworden.

Dies ist ein kleiner Bericht über die letzten Tage und das Ausmaß der Zerstörung und auch des Widerstandes, aber vor allem über die Menschen im Hambacher Forst.

Zwischen Köln und Aachen, in einer von Industrie gekennzeichneten Gegend, liegt der Hambacher Forst als ein Überrest eines 12.000 Jahre alten Urwald, der in Deutschland sonst nicht mehr zu finden ist. Die Industrie, in diesem Fall der Energieriese RWE, beutet die Natur ohne Rücksicht auf Auswirkungen und Folgen aus. Der Klimawandel und der geplante Kohleausstieg werden ignoriert, die bedrohten Tier- und Pflanzenarten zählen nicht und die Meinung der Menschen ist ihnen egal, das Leben von Aktivist*innen traurigerweise auch. Am vergangenen Mittwoch starb der Journalist Steffen Meyn nach einem Unfall in dem von Rodung bedrohten Wald. Dieser Unfall wäre nicht passiert, wenn es die absurde Umweltzerstörung des RWE-Konzerns, die lobbyistische Politik der Landesregierung und den vor Gewalt und Presseeinschränkungen strotzenden Polizeieinsatz nicht gegeben hätte. Was bleibt, sind Trauer und Wut. Der ganze Wald strahlt das aus, es ist überall wahrnehmbar.

In Manheim wurde mit viel Hilfe innerhalb weniger Tage ein Widerstands- und Bildungscamp aus dem Boden gestampft. Es ist ein Ort des Austauschs und eines kollektiven und basisdemokratischen Zusammenlebens. Alle packen mit an und gestalten das Camp gemeinsam.

Nach einer stürmischen Nacht machen wir uns noch im Dunkeln auf den Weg in den Wald. Aktivist*innen führen uns vorbei an Lichtmasten, welche die Wunden der Natur ausleuchten, und vorbei an der überall patrouillierenden Polizei.

Als die Sonne wunderschön aufgeht, wirkt der Wald friedlich und ruhig.

Wenig später stoßen wir auf die Überreste einer der bereits geräumten Baumhaussiedlungen. Es ist ein komischer Ort: Überreste der faszinierenden Konstruktionen in luftiger Höhe baumeln in den Ästen, überall liegen Glasscherben und vereinzelte Gegenstände von der Räumung der Polizei, im Hintergrund hört man das Rattern von Maschinen. Vieles passt nicht zu diesem vorher idyllischen Ort. Die Räumkommandos hinterließen ein Chaos, zerschlugen sogar die Kompost-Toiletten, und auch einige Bäume wurden bereits gefällt. Die Wut in uns steigt. Wir stoßen auf Baumhaussiedlungen, Aktivist*innen und Besucher*innen. Wir streifen durch Wälder aus Farn und alten wunderschönen Bäumen, im Hintergrund Vogelgezwitscher. Auf den Wegen ist Totholz, von überall eingesammelt, zu hohen Barrikaden aufgebaut. Darauf wurde bislang verzichtet, denn eigentlich ist dieses verrottende Holz der Nährboden im natürlichen Kreislauf für alle neuen Pflanzen. Doch die Möglichkeit des Weiterlebens wird angesichts der politischen Entscheidung und polizeilichen Gewalt immer geringer, und so wird nun alles eingesetzt.

Am Waldrand auf den Einfahrtswegen stehen Tripods – drei Baumstämme mit einer Plattform, auf der sich Menschen aufhalten, um die Räumung zu verzögern.

Wir erreichen Lorien: eine kleine Stadt in den Bäumen, wunderschön ausgebaut mit einer eigenen kleinen Infrastruktur. Am Boden zelten einige Menschen und es herrscht trotz der Frühe bereits ein reges Treiben. Überall werden neue Baumhäuser und Plattformen gebaut und vieles weitere Nützliche – als stünde eine baldige Räumung überhaupt nicht im Raum. Hoffnungsvoll und zuversichtlich wirken alle – glücklich, hier in der Natur mit anderen Widerständigen zu sein. Es wird auf Müll geachtet und generell zählt die ökologische Herangehensweise an Probleme und Alltag. Denn der Protest ist auch Ausdruck von mehr: gemeinsames Leben in der Natur und viel Achtsamkeit stehen im Vordergrund.

Es gibt viel Solidarität und Hilfe, vor allem gegenüber den Menschen, die in der Höhe ausharren. Unterstützer*innen bringen Wasserflaschen, Essen, Schlafsäcke und Kleidung in den Wald. Lassen alles da, was gebraucht wird.

Eine Aktivistin teilt uns über die vielen Menschen mit: „In allem, was hier entstand, steckt der Ausdruck und die Kraft von unzähligen Menschen. Viele Menschen schaffen Materialien herbei, ob Verpflegung, Werkzeug oder Holz. Andere bauen und bauten die Häuser, die Wege, all die schönen Konstruktionen. Und wieder andere füllen diesen Ort mit Leben, singen, lachen und weinen. Und natürlich der Widerstand gegen die Bullen und gegen den Energiekonzern RWE. All das strahlt der Ort aus, die Verbindung und Zusammenarbeit von vielen unterschiedlichen Menschen mit einem gemeinsamen Ziel: Die Erhaltung des Waldes und eine Abkehr von der grausamen Politik eines unterdrückerischen und ausbeuterischen Systems.“

Der Wald hat einen Raum eröffnet, wie ihn sich die Menschen, die vor sechs Jahren mit der Besetzung anfingen, nie erträumt hätten, wird uns berichtet. „Ich hätte niemals erwartet, dass eines Tages 14.000 Menschen in diesen Wald kommen, wie es am vergangenen Wochenende geschah“, staunt ein Aktivist und führt fort: „Es gibt viele verschiedene Formen des Protestes und vielfältige Leute aus allen politischen Spektren. Dazu unzählige Menschen, die einfach diese Umweltzerstörung nicht mehr ertragen und genug haben. Genug von den Lügen der Politik und der Gier nach Profit. All das findet hier Ausdruck.“

Und so ist auch unser Eindruck. Die verschiedenen Orte sind Ausdruck dieser Vielfalt, aber alle arbeiten zusammen und haben ein gemeinsames Ziel.

Wir besuchen auch Beechtown, wo vor fünf Tagen das Unglück passierte. Während in der Nähe eine Räumungsaktion der Polizei lief, stürzte der Journalist Steffen Meyn von einer Hängebrücke. Er verstarb kurze Zeit später an den Verletzungen. Es ist klar, dass es ein Unfall war, aber ein Unfall nicht ohne Kontext. Der Journalist war in die Höhe geklettert, weil es nicht möglich war, vom Boden aus zu berichten. Denn die Polizei behinderte die Arbeit und ließ oftmals keine Presservertreter*innen durch. Steffen begleitete die Aktivist*innen schon eine längere Zeit und war auch persönlich mit ihnen verbunden.

Der Schock sitzt tief. Einige konnten mit der Besetzung so nicht weitermachen. Manche fahren an anderer Stelle mit dem Widerstand fort. Die Polizei ist weiterhin unbeeindruckt präsent. Sie lässt manchmal Trauer und Ruhe für einen Moment zu, oftmals jedoch nicht. Psychoterror durch Lichtmasten rund um die Uhr, überall Kontrollen und Festnahmen und generell ein massives Polizeiaufgebot – eines der größten der Nachkriegsgeschichte in NRW.

Für die Aktivist*innen bleibt kaum Zeit sich zu besinnen, zu trauern – denn es geht weiter. Die Räumung ist nicht vom Tisch.

Wir verlassen den Wald mit gemischten Gefühlen. Viel Trauer und Wut, aufgrund des Verlustes eines Freundes, aber auch aufgrund des Verlustes der Natur. Wir haben viele Menschen getroffen – unterschiedlich, aber alle widerständig. Neben uns strömten viele andere in den Wald. Auch in anderen Städten, teilweise aus aller Welt, kommt es zu Solidaritätsbekundungen.

Ob es reichen wird, die bevorstehende noch stärkere Umweltzerstörung aufzuhalten, ist ungewiss.

Klar ist, dass der Wald sich nicht wehren kann, aber wir Menschen können es und wir werden es weiterhin tun.