„Reförmchen gehen an den Ursachen der Klimakrise vorbei“

Nach mehr als 18 Stunden Verhandlungen hat sich die Koalition am Freitag auf ein „Klimaschutzpaket” geeinigt. Ein breites Bündnis der Bewegung für Klimagerechtigkeit übt scharfe Kritik an den Plänen des Klimakabinetts.

Für mehr Klimaschutz in Deutschland soll künftig eine CO2-Bepreisung fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas verteuern. Auf dieses zentrale Element haben sich die Spitzen von Union und SPD am Freitag geeinigt. Der Start der Bepreisung des klimaschädlichen Kohlendioxids soll 2021 mit einem niedrigen Einstiegspreis erfolgen. Konkret sind demnach für die Jahre 2021 bis 2025 Preise pro Tonne Kohlendioxid von jeweils zehn, 20, 25, 30 und 35 Euro vereinbart worden.

Im Gegenzug soll es Entlastungen geben. So soll die Pendlerpauschale ab 2021 um fünf Cent pro Kilometer angehoben werden. Wer eine alte Ölheizung gegen ein klimafreundlicheres Modell auswechselt, soll danach mit bis zu 40 Prozent der Kosten gefördert werden. Der Einbau neuer Ölheizungen soll ab 2026 verboten sein.

Ein breites Bündnis der Bewegung für Klimagerechtigkeit übt scharfe Kritik an den heute präsentierten Plänen des Klimakabinetts. Die Vorschläge der Regierung gingen an der Realität der Klimakrise vorbei. Das Bündnis kündigt mehrere große Aktionen zivilen Ungehorsams an und fordert einen grundlegenden Wechsel hin zu einer Wirtschaft, die sich an den planetaren Grenzen und sozialer Gerechtigkeit orientiert.

Beispielloses Versagen der Politik

„Im entscheidenden Moment verheizt die Regierung unsere Zukunft. Die vorgeschlagenen Reförmchen gehen an den Ursachen der Klimakrise vorbei. Wer die Erderhitzung mit noch mehr wirtschaftlichem Wachstum stoppen will, bekämpft Feuer mit Feuer“, sagt Sina Reisch von „Ende Gelände“. Luca Werth von der Kampagne „Free the Soil“ ergänzt: „Das beispiellose Versagen der Politik zeigt, dass wir selbst gefordert sind. Gemeinsam werden wir uns mit zivilem Ungehorsam der Zerstörung unserer Zukunft entgegenstellen und selbst an Lösungen für Klimagerechtigkeit arbeiten.“

„Schritte hin zu einer klimagerechten Welt sind längst möglich: Kostenloser ÖPNV und autofreie Städte, bäuerlich-ökologische Landwirtschaft, dezentrale Energie in der Hand der Bürgerinnen und Bürger, Arbeitszeitverkürzung, die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen, die Umverteilung von Reichtum und legale Fluchtwege nach Europa. Es geht um Kooperation statt Konkurrenz, ein gutes Leben für alle statt Profit und Wachstum. Doch die Bundesregierung ermöglicht, dass sich die fossile Industrie mit Emissionszertifikaten ein ‚Weiter so‘ erkauft. Mit unseren Aktionen zivilen Ungehorsams stellen wir uns dem entgegen“, so Marie Klee von „Sand im Getriebe“.

FFF: Kein ‚Durchbruch', sondern ein Eklat

Auch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future übte scharfe Kritik am Klimapaket der Bundesregierung: „Wenn man jahrelang nichts für den #Klimaschutz tut & dann nach massivem monatelangem Druck aus der Bevölkerung Maßnahmen diskutiert, die mit 1,5 Grad rein gar nichts zu tun haben, ist das kein ‚Durchbruch', sondern ein Eklat”, twitterte der deutsche Ableger der internationalen Bewegung am Freitag nach Bekanntwerden erster Eckpunkte. FFF hatte für heute zum globalen Klimastreik aufgerufen. Deutschlandweit waren 500 Aktionen und Demonstrationen angemeldet. Allein in Berlin sind mehr als 270.000 Menschen auf der Straße. In Köln und Hamburg nehmen jeweils rund 70.000 Menschen an den Protesten teil. Weltweit finden heute Aktionen in 2600 Städten in fast 160 Ländern statt.

Am morgigen Samstag findet um 17:30 Uhr eine Podiumsdiskussion auf dem „We4Future-Camp“ vor dem Bundestag in Berlin statt, auf der unter anderem Vertreter*innen von Ende Gelände, Sand im Getriebe, Extinction Rebellion, Am Boden bleiben und den Gastivists die Klimapläne der Bundesregierung analysieren und über Strategien für klimagerechte Politiken beraten.

Angesichts des Versagens der Parteienpolitik rufen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung dazu auf, sich in den kommenden Monaten an der Erarbeitung eines „Klimaplan von unten“ zu beteiligen. In einem breit angelegten basisdemokratischen Prozess sollen Maßnahmen entwickelt werden, die soziale Gerechtigkeit schaffen und die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen.

#UngehorsamfürAlle

Bereits heute starten Aktionen zivilen Ungehorsams unter dem Motto #UngehorsamfürAlle in zahlreichen Städten, darunter Berlin und Hamburg. In der kommenden Woche werden hunderte Menschen unter dem Motto „Free the Soil“ eine CO2-intensive Düngemittelfabrik in Brunsbüttel bei Hamburg blockieren. Das Bündnis „DeCOALonize Europe“ plant vom 4. bis 6. Oktober Aktionen gegen klimaschädliche Steinkohlekraftwerke. Und das Aktionsbündnis Ende Gelände wird noch in diesem Jahr Kohleinfrastruktur im Lausitzer Braunkohlerevier blockieren. Vergangenes Wochenende hatte „Sand im Getriebe“ mit 1000 Menschen die Internationale Automobil-Ausstellung in Frankfurt gestört und eine radikale Verkehrswende gefordert.