Kommentar: Was hört die Fledermaus?

Widerstand gegen die Räumung und Rodung der Leinemasch. In Hannover sollen für die Ausweitung des Südschnellwegs auf mindestens 13 Hektar Bäume und Büsche vernichtet werden.

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist (nach Brecht)

Wenn über der Leine der Mond scheint, auf den gleichnamigen Fluss und die Teiche, dann schnellt manchmal lautlos ein schwarzer Fleck über den gelben Kreis. Der Flug der Fledermäuse ist vielleicht das Einzige, was das ständige Störgeräusch des Südschnellwegs gleichgültig zur Kenntnis nimmt. Blitzschnell passen die Königinnen der Nacht ihre Ultraschallgeräusche dem Lärm der Autos an, um ihr Echo auch aus dem Lärm heraus wahrzunehmen. Doch die Autos kommen näher. Und ihr Zuhause, die Baumhöhlen, sind zerstört, verschlossen. Wenn die Fledermäuse einen anderen Ort zum Landen ausfindig machen konnten, dann ist da jetzt ein neues Geräusch, ein fremdes zwischen diesen Bäumen. Wie klingt das Gleichschritt-Joggen einer behelmten Polizei-Einheit aus NRW vor ihren großen Wannen mit Fernlicht, wenn man bis zu 212 Kilohertz hört? Die da joggen, jedenfalls, sind gekommen, um die Zerstörung ihres Lebensraums durchzusetzen. Es ist das Geräusch, dass die Zeitlosigkeit aufhebt, den man dem lautlosen Flug der Fledermaus nachsagt.

Wie gut, dass Fledermäuse Winterschlaf halten. Vielleicht ist alles nur ein böser Traum, und wenn sie aufwachen, dann stehen die Bäume noch und die Autos sind nicht einmal mehr ein fernes Störgeräusch.

Dabei soll dies die letzte Nacht in der Leinemasch sein, wie die Fledermäuse sie kennen. Für die Ausweitung der Bundesstraße, dem Südschnellweg, sollen mindestens 13 Hektar Bäume zerstört werden. Die Straße soll von 10 auf 25 Meter verbreitet werden. Ein weiteres Verkehrsprojekt, welches breiten SUVs und ökonomischen Interessen dient, nichts weiter. Und es ist nicht verwunderlich, aber schockierend, dass politische Verantwortungsträger:innen tagsüber mit Gummistiefeln durch Hochwassergebiete waten und vom Klimaschutz sprechen, um abends im Trockenen Handlanger mit Helm und Knüppel in den Matsch der Leinemasch zu schicken, der Masch eines Flusses.

Denn die Fledermäuse haben Verbündete:

Seit 2021 protestieren verschiedenste Gruppen als Bündnis „Leinemasch Bleibt“ gegen die Rodung. Im Barrio „Tümpeltown“ entstand eine Besetzung mit mehreren Baumhäusern, seit kurzem verstärkt durch das Barrio „FKK“. Ständige Mahnwachen und Protestspaziergänge zeigten vor allem in den Rodungssaisons, wie groß und übergreifend der Protest gegen die am heutigen Montag beginnend Räumung und Rodung ist. Doch Runde Tische, Petitionen, Großdemos mit 6.000 Menschen, und ständige Demonstrationen vor Ort änderten nichts an der Entscheidung, den Straßenausbau durchzusetzen.

Dann tauchten die Fledermäuse aus der Dunkelheit hervor: Als streng geschützte Arten bedrohten sie die Fällarbeiten, die Bäume mit ihren Höhlen dürften nicht entfernt werden. Also füllte man ebendiese mit Bauschaum auf, der die Tiere zu verätzen droht. Es ist eines von vielen Beispielen aus der „Chronologie des Irrsinns“, wie das Bündnis die Entwicklungen rund um die Pläne zum Schnellwegausbau auf ihrer Website zusammenfasst.

Beim letzten Protestspaziergang „mit Bäumen“, der am 14. Januar am Tag vor dem erwarteten Räumungsbeginn stattfand, liefen über 1.500 Menschen durch den Matsch der Leinemasch. Und vielleicht sind da morgen ja doch noch Bäume. Kurz vor dem Ende des Spaziergangs stürmten Polizei-Einheiten in Richtung „FKK“-Barrio. Man hatte es gewagt, die seit 50 Stunden von Sanitäter:innen, Betreuer:innen und Lebensmitteln abgeschirmten Menschen in den Bäumen Essen und Trinken zu versorgen. Doch da sind mehr Protestierende als Polizisten, und so schnell, scheint es, kriegen sie die Verbündeten der Fledermäuse auch nicht aus den Bäumen. Und wenn wir unbesiegbar bleiben, weil wir eine Armee der Träumer sind, dann wachen die Fledermäuse aus ihrem Winterschlaf auf und hören keine nahen Rodungsarbeiten – und auch keinen fernen Schnellweg mehr.

Die Mahnwachen in der Leinemasch sind angemeldete Versammlungen und den gesamten Montag über erreichbar, unterstützt den Protest vor Ort oder per Spende – alle Informationen auf: https://leinemaschbleibt.de/

LEINEMASCH BLEIBT!