Keleş: Krieg ist gleichzeitig auch eine Umweltkatastrophe

Asrın Keleş vom Ökologierat des HDK in Ankara betrachtet das anthropozentrische Denken und die ökonomischen Systeme als Hauptgrund für den Zusammenbruch der Ökosysteme. Vor allem Krieg hat fatale Folgen für die Umwelt.

Asrın Keleş ist Mitglied im Ökologierat des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), einem Dachverband der radikaldemokratischen Selbstorganisierung und emanzipatorischer Bewegungen in der Türkei. Im Gespräch mit ANF hat er sich zu den ökologischen Konsequenzen von Kriegen und die Ursachen für das Kollabieren der Ökosysteme geäußert.

Umweltauswirkungen des Krieges

Keleş teilt die Folgen von Kriegs in drei Gruppen auf und fasst diese in Umweltauswirkungen in der Vorbereitungsphase des Krieges, während des Krieges und nach dem Krieg zusammen. Er beschreibt insbesondere die Flughäfen und Militärbasen als umweltzerstörerisch. So wird ökologisch wichtiges Land ohne jegliche Einbeziehung der Regionalbevölkerung dem Militär zur Verfügung gestellt und Wälder, Ackerland und die gesamte Fauna werden zerstört.

Verschmutzung durch die Kriegsindustrie

Die Rüstungsindustrie stellt nach Aussagen von Keleş eine ernstzunehmende Quelle von Umweltverschmutzung dar. Ihre Abwässer bedrohen sowohl die Gesundheit der Bevölkerung als auch die Umwelt und sind eine wesentlich größere Bedrohung als vermeintliche Feinde. Der Umweltaktivist warnt wegen der langfristigen Zerstörungen durch Produktion, Lagerung und Tests von chemischen, biologischen, nuklearen und konventionellen Waffen und fährt fort: „Die im Krieg verwendeten modernen Waffen, der Sprengstoff und die Treibsätze können auch durch ihre toxischen Inhaltsstoffe tödlich sein. Diese sind nicht nur für das Land, in dem der Krieg stattfindet, gefährlich, sie können alle später lebenden Völker negativ beeinflussen.

Boden für hunderte Jahre zerstört

Wenn eine schwere Bombe einschlägt, entsteht eine Hitze von etwa 3.000 Grad. Die gesamte Flora und Fauna wird vernichtet und die obersten Bodenschichten verglühen. Damit dieser Boden wieder fruchtbar wird, sind zwischen hundert und mehreren tausend Jahren notwendig. Das stellt eine ökologische Katastrophe dar, welche einen zerstörerischen Einfluss auf die Fauna und Flora der betroffenen Regionen hat.

Die Menschheit zahlt den Preis

Die kriegführenden Staaten sind im Allgemeinen mit den menschlichen Verlusten der Kriege beschäftigt und denken nicht über die ökologischen Folgen dar. Das ist in gewisser Hinsicht verständlich – es handelt sich aber trotzdem um einen Fehler, denn Kriege bedeuten totale Zerstörung der Umwelt. Wenn die Umwelt leidet, zahlen wir als Menschen den Preis dafür.“

Staudämme als Mittel des Krieges

Keleş betrachtet insbesondere die Staudämme in Nordkurdistan als einen Teil einer Kriegsstrategie: „Die Wälder, Bäume und der natürliche Lebensraum werden vollkommen vernichtet. Gleichzeitig wird der Zugang zu gesunder Nahrung und Trinkwasser verunmöglicht. Es ist offensichtlich, welche Zerstörung des Ökosystems der Ilisu-Staudamm verursacht hat. Dieser Staudamm wird gleichzeitig auch als Mittel der Repression benutzt. Es wird versucht, die Menschen in Rojava und Syrien mit der Kontrolle über das Wasser zu disziplinieren. Immer wieder werden die Schleusen geschlossen und ganze Landstriche der Dürre ausgesetzt. Dann werden die Schleusen plötzlich geöffnet und die Regionen vollkommen überschwemmt. Es wird mit dem Leben aller Lebewesen gespielt, auch der Menschen dort. Das Ökosystem wird zerstört.“

Eine neue Perspektive ist notwendig

Keleş beschreibt das anthropozentrische Denken und die ökonomischen Systeme als Hauptgrund für den Zusammenbruch der Ökosysteme. Er erklärt: „Wir sind uns dessen bewusst, dass die Umweltzerstörung Folgen auf globaler Ebene hat. Das Aussterben von Arten ist Ausdruck einer Entwicklung, die bis zum Aussterben des Menschen führt. Überall werden Täler, Flüsse und Schluchten im Namen der Kapitalakkumulation vernichtet. Die Menschen werden durch Gentrifizierung aus ihren Vierteln, in denen sie jahrzehntelang gelebt haben, vertrieben. Vom Ida-Gebirge nach Hasankeyf, vom Salda-See bis zu den Munzur-Bergen, überall findet dieser Angriff auf die Natur statt. Neben der Produktion materieller Werte zielt das System darauf ab, die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu ändern, das historische Gedächtnis auszulöschen und kulturelle und spirituelle Werte zu zerstören. Ausdruck dieses Prozesses ist auch der Erdrutsch in Samsun, unter dem an einem Hang gebaute staatliche Wohnungen begraben wurden. Der Bau eines Wasserwerks in Giresun zerstört ebenso wie der Staudamm von Hasankeyf sowohl Geschichte als auch Natur. Es ist unser aller historische Aufgabe, das Leben und die Umwelt zu verteidigen und eine auf dem Gebrauchswert basierende Politik zu entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch organisierten Kampf erfolgreich sein werden.“