Im Hambacher Forst ergrünt der Widerstand
„Der Hambacher Forst ist klein, aber fein. Denn da leben großartige Menschen; das Gewissen der sonst schweigenden Gesellschaft.“ Ein Erfahrungsbericht aus dem Hambacher Wald vom letzten Wochenende.
„Der Hambacher Forst ist klein, aber fein. Denn da leben großartige Menschen; das Gewissen der sonst schweigenden Gesellschaft.“ Ein Erfahrungsbericht aus dem Hambacher Wald vom letzten Wochenende.
Ich schweige im Angesicht der Polizisten, die uns umzingelt haben. Keine Kommunikation, kein Eingehen auf ihre blöden und provokanten Sprüche. Sie sind leider so zahlreich, dass wir nicht sie umfließen können. Noch vor einer halben Stunde haben wir sie mehrmals umflossen. Die auf einer Linie verteilten Polizisten bewegten sich nach links und rechts, um uns Hunderte einzufangen. Sie breiteten ihre Arme aus. Doch wir gingen in die Breite und liefen an ihnen vorbei! Das war ein großartiges Gefühl. Das Sinnbild der Staatsmacht war hilflos gegenüber der Masse und die normalerweise geltende Ohnmacht ihr gegenüber war für einen Moment überwunden. Warum sollte es nicht immer so sein?
In demokratisch organisierter Form etwas erreichen
Da kam mir der bekannte Spruch aus Lateinamerika in den Sinn: „El Pueblo unido jamas sera vencido“ (Die vereinigte Bevölkerung kann nicht besiegt werden). Beim Camp der sozialen Bewegung „EndeGelände“ am Hambacher Forst waren es gerade rund 6000 engagierte Menschen, die umfließen und blockieren wollten. Mit gut ausgewählten Methoden konnten sie viel erreichen, was bei den Teilnehmer*innen am Ende trotz aller Mühen und den 1000 Festnahmen ein positives Gefühl hinterließ. Sie erlebten, was es heißt, in demokratisch organisierter Form etwas zu erreichen können. Die von Staat, Regierung, Konzernen und den Mainstream-Medien lange verbreiteten Meinungen (eigentlich Lügen) über Kohle und Energie wackelten mehr denn je.
Was ist Ignoranz?
„Ja, erzählen Sie doch, was Ignoranz ist“, sagte der Polizist zu uns. Der Freund neben mir war dabei, eine schöne Geschichte über Tugenden und Laster zu erzählen. Wir waren aus dem Kessel herausgetragen worden und warteten auf den nächsten freien Bus, mit dem wir zur Gefangenensammelstelle gebracht werden sollten. Der Freund war aus dem Erzählrhythmus herausgekommen und in diesem Moment voller Wut. Das sehend, sagte ich ihm, dass er doch erzählen sollte. Der Polizist fügte hinzu, dass er der Geschichte zuhöre und wissen wolle, was Ignoranz sei, was nicht stimmte, da er mehrmals zwischendurch mit anderen Polizisten sprach. Es war klar: Er wollte nur provozieren. Ich wollte dem Polizisten sagen, dass sein Verhalten ein Paradebeispiel der Ignoranz sei. Doch das verkniff ich mir, da ich mir vorgenommen hatte, mit den Polizisten nicht zu sprechen. Wichtig war, dass der ebenfalls festgenommene Freund die Geschichte zu Ende erzählte. Mit ihr sollte verständlich gemacht werden, warum die Liebe schön, aber schmerzvoll sei.
Einzementierung der Hoffnung
Der Blick am frühen Morgen des 27. Oktober 2018 hat mich sehr beeindruckt. Ich kroch aus dem Zelt am östlichen Ende des Camps von EndeGelände heraus und schaute zum anderen Ende. Es war kurz vor Sonnenaufgang, ich konnte die hunderte Zelte sehr schön erblicken. Im Hintergrund waren die großen Zelte und das Zentrum des Camps. Ein unheimlich schönes Gefühl war es, mit Tausenden Menschen für ein gemeinsames Ziel, nämlich das einer sozialeren, solidarischen, befreiten und ökologischen Gesellschaft, Aktionen des zivilen Ungehorsams durchzuführen. Vor allem junge Menschen – oft Anfang der 20er – waren gewillt, in der Kälte bis zu zwei Tagen auf den Beinen zu sein. Vergessen wir nicht, dass wir in einem der ökonomisch reichsten und – aus Sicht der Herrschenden – politisch stabilsten Staaten leben. Einem Staat, in dem allein die Möglichkeit der Widersetzung gegen die Staatsgewalt von fast niemandem geteilt wird und vor allem die Hoffnung auf eine andere und freiere Gesellschaft praktisch verloren gegangen ist. Der weitere Abbau von Kohle in Zeiten des auch in der Bundesrepublik angekommenen Klimawandels dient unter anderem zur Einzementierung dieser Hoffnung.
Politisierung junger Menschen
„Auf geht‘s, ab geht‘s, Ende Gelände“ und „We are unstoppable, another world is possible“ sind die zumeist gerufenen Parolen an diesem Tag. Sie sind Ausdruck dessen, was nicht nur die 6000 Anwesenden bewegt, sondern auch Millionen Menschen in diesem Staat: Es kann und muss anders und besser werden, gerade in Zeiten der politischen Instabilität und Veränderungen, wie wir sie zurzeit erleben. Sehr viele junge Menschen erfahren eine Politisierung, die sich noch weiter gegen fossile und monopolistische Energiewirtschaft, die Vereinnahmung der herrschenden Politik durch Konzerne und geldreiche Lobbys, Rassismus und undemokratische Entscheidungsstrukturen auswirken wird. Dazu trägt der Widerstand gegen Kohle und für den Erhalt des Hambacher Forstes bei.
„Eure Kinder werden so sein wie wir“
Ich begegne auch Aktivist*innen der „Make Rojava Green Again“-Kampagne. Sie sind im gleichen orangenen „Finger“, der kleinsten beweglichen Gruppe. Hinterher wird uns bewusst, dass wir auch zur Ablenkung dienten. Doch das ärgert uns nicht, denn wir haben ja zum Erfolg beigetragen und das ist wichtig. Übrigens ist orange eine schöne und lebendige Farbe. Sie ist der Gegensatz zur Farbe der Kohle und allem Dreckigen, das dahinter steckt. Nachmittags, während wir im Kessel der Polizei sitzen, lesen und hören wir, dass die anderen Finger die Hambach-Bahn erfolgreich besetzt haben. Das erleichtert uns. Der dreckige Konzern RWE kann nicht mehr seine ausgebeutete Kohle zu den Kraftwerken transportieren, zumindest nicht bis zum Abend des Folgetages. Also eineinhalb Tage ist die Versorgung blockiert. Die Bilder geben uns ein Gefühl der Erleichterung und dann ist es nicht mehr so ganz schlimm, dass um uns hunderte Polizisten stehen und im Dienste des Staates, besser der Konzerne, agieren. Wir rufen den Polizisten zu: „Auch eure Kinder werden so sein wie wir“. Jetzt zeigt sich bei einigen von ihnen eine kleine Regung. Sonst schauen sie – wie wohl geschult – uns nicht ins Gesicht und zeigen kaum eine Reaktion. Die einzige gezeigte Reaktion ist das Erteilen von Befehlen und die physische Intervention in unsere Freiheit. Das ist Obrigkeit, wie sie auch Heinrich Mann in seinem besten Buch beschrieben hat.
Über die Bundesrepublik und Kohle hinaus
Als während des Kessels zeitweise nichts mehr ging, wurde ein Transparent der „Make Rojava Green Again“-Kampagne auf den Boden gelegt, um aktive Solidarität zu zeigen. Das erfreute viele der Aktivist*innen, einige von ihnen hatten schon davon gehört. Wir schießen Bilder damit und freuen uns. Es ist wichtig zu erwähnen, dass EndeGelände über die Bundesrepublik und Kohle hinaus schaut und seit 2017 einige Veranstaltungen zur ökologischen Dimension der Revolution von Rojava organisiert hat. Das ist das Gute bei EndeGelände, die Kampagne ist nicht nur auf den Ausstieg aus der Kohleindustrie fokussiert und denkt weiter. Es ist nicht einfach eine linksradikale Struktur, sie ist breiter aufgestellt, agiert anders und zwar so, dass sie junge Menschen aktivieren kann. Dabei bleibt sie sehr gesellschaftskritisch, was erfreulich ist. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine soziale Bewegung geworden.
Der Hambacher Forst ist klein, aber fein. Denn da leben großartige Menschen; das Gewissen der sonst schweigenden Gesellschaft. Menschen, die nach der Zerstörung ihrer Baumhäuser neue Baumhäuser gebaut haben.