III. Internationales Treffen für Sozialökologie
Vier Tage lang versammelten sich Aktivist*innen in Belgien, um den Aufbau einer radikaldemokratischen, selbstverwalteten Gesellschaft nach den Prinzipien der Sozialökologie zu diskutieren.
Vier Tage lang versammelten sich Aktivist*innen in Belgien, um den Aufbau einer radikaldemokratischen, selbstverwalteten Gesellschaft nach den Prinzipien der Sozialökologie zu diskutieren.
Ab dem 26. September versammelten sich für vier Tage Aktivist*innen, Kommunard*innen und Sozialökolog*innen im belgischen Lüttich und diskutierten darüber, wie eine freie Gesellschaft auf der Grundlage einer radikalen demokratischen Selbstorganisation gegen die Unterdrückung von Natur und Mensch durch den Kapitalismus aufgebaut werden kann.
Es war das „Dritte Internationale Treffen der Sozialökologie”, das am Donnerstagabend mit einer Einführung in die Sozialökologie durch die Philosophin Annick Stevens begann. Auf dieses erste Panel folgten Workshops zu verschiedenen Aspekten der Sozialökologie: Die Frage von Kommunalismus und radikaler Demokratie, Selbstverwaltung, Autonomie und Jineolojî. Am Abend standen kulturelle Veranstaltungen wie Theateraufführungen und Konzerte auf dem Programm. Ein wichtiger Teil des Treffens war die Konferenz zum Modell Rojava, in der die Geschichte der Rojava-Revolution, die aktuelle politische Situation und das demokratische System vorgestellt wurden. Die ideologischen Grundlagen dieser feministischen und ökologischen Revolution wurden mit den Ideen der Wissenschaft der Frauen, Jineolojî und der ökologischen Kampagne der internationalistischen Kommune von Rojava, Make Rojava Green Again, vorgestellt.
Am Ende der Sitzung beschlossen die Teilnehmer*innen, dass eine vierte Sitzung stattfinden wird und dass in den folgenden Wochen auch die Diskussionen und die Ergebnisse des Treffens der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
ANF sprach mit einer internationalistischen Aktivistin über das Treffen, über ihre Erwartungen und die Ergebnisse:
Was waren Ihre Eindrücke von diesem Treffen?
Nun, es war das Dritte Internationale Treffen zur Sozialökologie in Europa und ich erwartete, dass Menschen aus verschiedenen Ländern und Projekten, Kollektive, politische Gruppen, Intellektuelle und Menschen, die nur daran interessiert sind, mehr über Sozialökologie zu erfahren, teilnehmen würden. Und das geschah, aber es gab vor allem Teilnehmer*innen aus dem französischsprachigen Raum. Der internationale Charakter des Treffens war also leider nicht so stark. Dennoch war die Atmosphäre geprägt vom Willen, neue Projekte zu starten, die den Ideen der Sozialökologie folgen und gleichzeitig die Bestehenden zu verbinden, um auch unsere Denkweisen herauszufordern. Besonders im Workshop über Jineolojî wurden grundlegende Wege und Methoden unseres Denkens und unseres Lebens hinterfragt.
Auf welche Weise hat die Kampagne Make Rojava Green Again an dem Treffen teilgenommen?
Wir haben am Workshop zur Frage der Autonomie im Kontext der Sozialökologie teilgenommen. Mit den Erfahrungen aus der Revolution in Rojava haben wir versucht zu unterstreichen, dass Autonomie nicht nur eine physische, sondern auch eine wirklich wichtige, metaphysische Sache ist. Das wird an der Frage deutlich, ob wir Autonomie gegenüber dem Staat in unserer Denkweise und in unserem Umgang mit der Geschichte leben? Oder reproduzieren wir die Geschichte, die vom Staat erzählt wird, durch uns selbst? Aber wir haben auch konkrete Erfahrungen ausgetauscht, wie zum Beispiel Genossenschaften in Rojava aufgebaut werden, welche Probleme auftreten und welche Lösungen die Selbstverwaltung findet. Und wir präsentierten die Kampagne und die internationalistischen Errungenschaften. Wir haben versucht, ein wenig vom Geist des Internationalismus, der in Rojava herrscht, mit den Teilnehmer*innen des Treffens zu teilen, und ich denke, das war auch erfolgreich.
Was haben Sie bei diesem Treffen der sozialökologischen Bewegung in Europa vermisst, oder noch weiter gefasst, was vermissen Sie bei der Bewegung für Sozialökologie in Europa?
Offensichtlich die Diskussion über die Organisationsformen. Ich meine, wir, die Menschen, die zu solchen Treffen und Konferenzen kommen, wollen Verantwortung beim Aufbau der Selbstverwaltung der Gesellschaft übernehmen. Aber wie können wir diese Verantwortung übernehmen und wie müssen wir uns für so etwas organisieren? Oftmals vergessen die Menschen in Europa, wie viele Menschen zum Beispiel in Rojava ihre Arbeit, Schulen und Familien verlassen haben, um ihr ganzes Leben für diese Revolution in all den verschiedenen Bereichen und Arbeiten einzusetzen. Und wir müssen uns auch bewusst sein, dass dies notwendig sein wird, wenn wir – jede und jeder von uns – beschließen, diese Verantwortung zu übernehmen. Die Diskussion in solchen Treffen sollte sich also nicht nur auf die praktische Ebene konzentrieren, wie man eine lokale, ökologische Gemeinde aufbaut oder wie man die lokale Stromversorgung übernimmt, sondern auch auf das, was sie für eine organisatorische und ideologische Stärke braucht, um diese verschiedenen lokalen Initiativen, Projekte, Gruppen und so weiter zusammenzubringen. Neben der Spontaneität der sozialen Dynamik bedarf es starker und klarer Organisationsstrukturen.
Aber vielleicht gibt es ein noch grundlegenderes Hindernis: die Schwierigkeit dieses Treffens, wirklich den Willen zu formulieren, eine echte Bewegung aufzubauen und die Verantwortung zu übernehmen, die ich oben erwähnt habe. Aber ohne stärkere organisatorische Rahmenbedingungen werden diese Treffen weiterhin keine Kontinuität aufweisen, jede Konferenz wird sich wie die erste anfühlen. Aber um das zu ändern, müssen die Menschen einen Schritt ab von ihrem individualistischen Ansatz gehen und sich selbst, ihr Denken und Handeln, wirklich in einen größeren Rahmen stellen.
Sie haben die Bedeutung der Geschichte angesprochen. Was meinten Sie damit im Zusammenhang mit dem Treffen?
Ohne unsere Vergangenheit zu verstehen, können wir die Gegenwart nicht verstehen und so können wir die Zukunft nicht gestalten. Wie sind wir in die Lage gekommen, in der wir uns gerade befinden? Ein wichtiger Punkt für den Kontext der Sozialökologie ist der große Aufstand in Europa, ausgehend von der 68er-Bewegung. Eine der Folgen dieser Bewegung war die ökologische und die antiautoritäre Bewegung, zum Beispiel im Bildungssystem und so weiter. Heute sprechen wir wieder über den Einfluss des Bildungssystems auf unsere Persönlichkeit, wie wir auf diese Weise in das System integriert werden. Und gleichzeitig diskutieren wir auch im Rahmen des Treffens Sozialökologie über die Notwendigkeit einer unabhängigen Bildung und so weiter. Was ist also schief gelaufen? Warum ist es der 68er-Bewegung nicht gelungen, die kapitalistische Moderne wirklich zu überwinden? Was waren die Fehler beim Aufbau alternativer sozialer Strukturen wie Schulen, Kindergärten, Wohnprojekte? Welche Art von Strategien der 68er-Bewegung haben sich bewährt und welche nicht? Ich denke, es ist notwendig, über langfristige und soziale Alternativen zu sprechen, anstatt sich nur auf den Bau eines neuen antiautoritären Kindergartens zu konzentrieren. Denn ohne die Misserfolge und Fehler der 68er-Bewegung zu verstehen, wird auch eine neue Sozialökologie-Bewegung in die Fallen des Kapitalismus fallen und nur eine Mode und eine Erneuerung der kapitalistischen Mentalität und Produktion bleiben.
Was waren die wichtigsten Dinge, die Sie aus der Konferenz mitnehmen?
Wirklich zu sehen, dass der Hauptgrund und die Hauptmotivation für Menschen teilzunehmen und andere Lebensformen zu leben, die Frage nach den Werten ist. Auf der Grundlage welcher Werte werden wir zusammenleben? Auf der Grundlage welcher Werte werden meine Handlungen von anderen beurteilt. Und das ist aus meiner Sicht wirklich grundlegend. Wir müssen die Werte der gesamten Gesellschaft verändern, nicht nur unsere eigenen. Das ist der Hauptpunkt der Sache, die wir Revolution nennen. Und das gilt für Rojava, Lüttich oder in einer ökologischen Gemeinde von Longo Mai.
Wie ist die Bewegung für Sozialökologie mit Rojava verbunden und wie kann diese Verbindung vertieft werden?
Im Moment ist Rojava – wie auch die Zapatistas – eine Art Beispiel für die Sozialökologie. Es sind Beispiele, die Hoffnung und Vertrauen geben, dass ein anderes System, das auf ökologischen Werten und radikaler Demokratie basiert, möglich ist. Aber wir brauchen mehr als das. Wir brauchen echte gemeinsame Projekte, echte Zusammenarbeit. Gemeinsame ökologische Projekte, in denen wir nicht nur die Theorie von Rojava lernen, sondern auch die Praxis. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass es vom Treffen für Sozialökologie eine Delegation nach Rojava geben wird. Diese Delegation kann sich auf drei Fragen konzentrieren: Wie ist die demokratische Struktur in der Gesellschaft Rojavas aufgebaut? Welche Organisationsstruktur und welches persönliche Engagement ist für einen solchen Prozess erforderlich? Und welche Projekte können gemeinsam realisiert werden?
Was waren die Ergebnisse dieses Treffens für Sie? Wie wird diese Arbeit fortgesetzt?
Nun, die Schlussfolgerungen und Ergebnisse aus den verschiedenen Workshops werden in den nächsten Wochen vom Vorbereitungsausschuss der Sitzung vorgestellt. Deshalb möchte ich die Ergebnisse nicht vorwegnehmen.
Aber ich halte es für wirklich wichtig, diese Treffen fortzusetzen, wenn auch in einem klareren Rahmen, mit klareren Methoden und formulierten Zielen. Wir müssen deutlich machen, ob und wann wir über die technischen, ideologischen oder strategischen Aspekte sprechen. Andernfalls sind die Debatten für die Zukunft nicht fruchtbar.
Ich denke, wir müssen uns bewusst sein, dass die Sozialökologie leicht missverstanden werden kann. Es ist, in die richtige Praxis umgesetzt, ein revolutionärer Wandel der Welt. Aber in eine falsche Praxis umgesetzt, wird es ein reformistischer Slogan sein, eine neue Mode. Unsere Aufgabe ist es, daraus eine revolutionäre Bewegung zu formen.