Ökologie - eine andere Beziehung zur Erde

„In der Wurzel eines ökologischen Aktivismus liegt eine Beziehung zur Erde, die ihre Ressourcen mit Respekt behandelt. Auf praktischer Ebene bedeutet das, gegen den Kapitalismus zu kämpfen”. Ein Kommentar von Hêlîn Asî.

Derzeit gehen weltweit tausende Menschen, insbesondere Jugendliche, wöchentlich auf die Straßen, um gegen die Passivität der Herrschenden in Bezug auf den Klimawandel zu protestieren. Unter dem Motto Fridays for Future haben am globalen Aktionstag am 15. März weltweite Streiks und Großdemonstrationen stattgefunden. Besonders in Anbetracht der Statistiken und Prognosen der letzten Jahre über die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels ist die Klimafrage zu einer der dringendsten unserer Zeit geworden. Während auf der einen Seite die Verantwortung eines jeden einzelnen Menschen gesehen werden muss, ist klar, dass es nicht ausreicht, individuelle Lebensstile zu kritisieren, ohne die weltweiten politischen und ökonomischen Verhältnisse dahinter zu benennen. Den Klimawandel unabhängig vom Kapitalismus zu betrachten kommt einer Entpolitisierung des Themas gleich. Dabei können nahezu alle Umstände, die zur Klimaerwärmung beigetragen haben, auf das kapitalistisch-konsumistische System zurückgeführt werden. In diesem Sinne muss Ökologie mehr sein als nur „die Umwelt zu schützen”. Ökologie sollte stattdessen einen tiefgreifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wandel herbeiführen und neue Beziehungen zwischen Mensch-Natur und Mensch-Gesellschaft erschaffen.

Was ist der Klimawandel und was sind seine Auswirkungen? Kurz gesagt, besteht der Klimawandel in der Erhöhung der Durchschnittsemperatur unserer Erde durch einen vermehrten Ausstoß von sogenannten Treibhausgasen (wie z.B. Kohlendioxid oder Methan) in die Erdatmosphäre. Diese Gase sind natürlicherweise in der Erdatmosphäre enthalten. Durch ihr vermehrtes Auftreten jedoch wird die Erdatmosphäre zu einer Art Dach, welches die Wärme der Sonne in der Erde speichert. Aus diesem Grund spricht man vom Treibhauseffekt. Genau wie in einem Gewächshaus Wärme absorbiert wird, absorbiert die Erdatmosphäre Wärme aufgrund des vermehrten Vorkommens der Treibhausgase. Diese werden zu einem beträchtlichen Teil durch die Verwendung fossiler Brennstoffe freigesetzt, welche die derzeit weltweit meistgenutzten Energiequellen des Menschen sind. Kochen, Wohnung heizen, Handy aufladen, heiß duschen, Auto fahren - diese Dinge gehen momentan hauptsächlich auf fossile Quellen wie Erdöl oder Kohle zurück. Besonders das kapitalistische, konsumorientierte Wirtschaftssystem braucht fossile Energien, um sich selbst erhalten zu können. Die Produktion nahezu aller industriell hergestellten Waren ist momentan auf fossile Brennstoffe angewiesen.

Die aus diesen Prozessen resultierende Erhöhung der durchschnittlichen Erdtemperatur bedeutet nicht, dass es plötzlich überall heiß ist. Die Auswirkungen des Klimawandels sind komplexer und betreffen jede Region auf der Erde auf eine andere Weise. Teilweise sind es Hitzewellen, teilweise Trockenheit, manchmal vermehrter Niederschlag oder mehr Feuchtigkeit. Es kommt insgesamt zu mehr Naturkatastrophen und zu einem Anstieg des Meeresspiegels, was besonders die Existenz von Menschen in Küstenregionen bedroht. Außerdem sind viele Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume bedroht, viele von ihnen nicht in der Lage, sich dem Klimawandel anzupassen. Zusammengefasst: Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist dabei, die Natur trotz aller Warnsignale und Prognosen weiterhin grenzenlos auszubeuten und somit die Lebensgrundlage nicht nur von Menschen, sondern auch der Tier- und Pflanzenwelt zu zerstören. Besonders auffallend, eigentlich skandalös, ist hierbei die Tatsache, dass die Auswirkungen des Klimawandels insbesondere Regionen betreffen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben und über die wenigsten Mittel verfügen, sich dessen Auswirkungen anzupassen. Währenddessen sind es industrialisierte kapitalistische Staaten, die als „am besten auf den Klimawandel vorbereitet“ gelten, über die finanziellen Mittel verfügen sich zu schützen aber nichts nennenswertes unternehmen.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem basiert auf der grenzenlosen Ausbeutung der Erde und ihrer Lebewesen für die Produktion von immer absurder und unnötiger werdenden neuen Waren für den Markt. Dieser Überschuss dient nicht etwa dem Zweck, grundsätzliche Bedürfnisse der Gesellschaft zu decken oder die Lebensqualität von Menschen zu erhöhen. Im Gegenteil kann dieses System nur auf dem Rücken ausgebeuteter Arbeiter*innen und Frauen und auf der Basis extremer Ungerechtigkeit gegenüber Menschen in sogenannten „unterentwickelten” Ländern überleben, dessen Ressourcen schon im 15. Jahrhundert von Europäern geplündert und ausgebeutet wurden. Der Kapitalismus entstand maßgeblich auf dem Rücken von Kolonien, Arbeiter*innen, Frauen* und der Natur.

Wenn wir in die Geschichte zurückblicken entdecken wir, dass früher sogenannte holistische Weltbilder herrschten, in welchen die Natur als lebendig und die gesamte Erde als ein lebender, zusammenhängender Organismus galt. Kapitalistische Ideologien dagegen haben stark zu einer repressiven Beziehung des Menschen zur Natur beigetragen und die Natur allmählich als tot und unterworfen erklärt. Bereits im 16. Jahrhundert fingen Wissenschaftler an, die Aufgabe der modernen Wissenschaft in der Unterwerfung der Natur zu sehen. Die Natur, vorher als ein großes Gesamtes wahrgenommen, das auch den Menschen einschloss, wurde nun das „Andere”; eine zerstückelte, tote und unvernünftige Natur die kontrolliert werden muss. Wir können sagen, dass auch die heutige Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur besonders in industrialisierten Staaten in dieser Annahme wurzelt. Es herrscht der Irrglaube, dass der Mensch die Natur unbegrenzt ausbeuten und in seinen Dienst stellen kann und es sogar sollte. Auf diesem Verständnis hat sich das heutige Wirtschaftssystem entwickelt.

Wenn wir uns also heute organisieren, um unsere Lebensräume und Zukunft zu schützen, müssen wir uns in erster Linie von diesem Verständnis abwenden, welches die Natur als das tote, unvernünftige, unterworfene, auszubeutende Andere betrachtet. In letzter Konsequenz bedeutet das ein Bruch mit dem Kapitalismus. In letzter Konsequenz, weil klar ist, dass der Kapitalismus uns momentan noch überall und zu jeder Zeit umgibt, ob wir nun von ihm profitieren oder von ihm ausgebeutet werden. Ein aufrichtiger, organisierter Kampf gegen den Klimawandel muss aus diesem Grund schrittweise im Hier und Jetzt eine Alternative realisieren, um unabhängig zu bleiben. Denn ohne einen Bruch mit dem Kapitalismus wird dieser uns immer wieder in Irrwege führen, die am eigentlichen Kampf vorbeiführen. Wie sehen solche Irrwege konkret aus? Das immer größere Umweltbewusstsein in der Gesellschaft in den letzten Jahren erzeugt Druck - in der Politik wie in der Wirtschaft. Viele Unternehmen passen sich dieser Situation an und werfen z. B. Waren auf den Markt, die (oft nur vermeintlich) ökologischer sind und darauf abzielen, das Gewissen des Konsumenten zu beruhigen. Die Verpackungen sind mit grünen Symbolen und den Aufschriften vegan oder aus ökologischem Anbau versehen und vermitteln ein vermeintliches Umweltbewusstsein des Herstellers. Und auch Käufer*innen fühlen sich auf der sicheren Seite, mit den Bio-Kiwis, Soja-Yoghurt und veganem Zucchini-Aufstrich in seinem Stoffbeutel. Ohne Frage sind vegane/vegetarische Lebensweisen zu begrüßen, insbesondere in Anbetracht der Massentierhaltung, die für die Tiere extremst qualvoll ist und außerdem für mehr als ein Sechstel der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Doch selbst eine vegane Lebensweise ist nicht revolutionär, wenn das zugrundeliegende Verhältnis gegenüber der Natur und ihrer Ressourcen gleich bleibt. In den letzten Jahren ist das Vegansein zu einem Trend explodiert, und neue Märkte entstehen drumherum. Die wenigsten Unternehmen haben tatsächlich ökologische Ansätze, sie führen einen lediglich in die Lüge vom ethischen und ökologischen Konsum. Es gibt aber mindestens drei Haken: Weder kann eine Ausbeutung von Arbeiter*innen ausgeschlossen werden, noch eine immer noch vorhandene Ausbeutung der Erde. Drittens wird oft das konsumistische, gierige Verhalten im Gesamten nicht hinterfragt: Hier schließen sich viele dem Mainstream an, endlos auf der Suche nach neuen Geschmacksfusionen und „exotischen” Rezepten, ohne dabei die Ressourcen der Natur zu respektieren.

Das führt uns zurück zu der Annahme, die Natur sei zerstückelt und leblos. Solange wir uns im Rahmen der herrschenden Verhältnisse bewegen wollen, bleiben auch unsere kämpferischen Ansätze zerstückelt. Z.B. mit einer veganen Lebensweise sucht man sich ein „Stück” heraus, ignoriert aber oft die restlichen „Stücke”.

Aus diesem Grund gilt es, einen ganzheitlichen Kampf auf der Basis einer neuen Beziehung zur Erde zu entwickeln. Es muss ein Verständnis entwickelt werden, in welchem Menschen als Teil der Erde gelten, und nicht als rationale Herrscher über sie. Vor allem in Großstädten gibt es die Realität, dass die Natur als etwas externes gesehen wird, dessen Anwesenheit man bewusst irgendwo suchen muss. Wir müssen ein Stück Natur finden, um uns mit ihr eins zu fühlen. Wir müssen uns bewusst auf den Weg zu einem Park, einem Wald, einem Fluss, einem Meer machen, was sich für viele Stadtmenschen immer gezwungen anfühlt und ihnen bewusst macht, wie oft dieses Gefühl ihnen fehlt. Es macht ihnen ihre Entfremdung bewusst. Beispielsweise gehen wir in einen Wald, und haben oft keine Ahnung, welche Pilze und Pflanzen essbar sind. Wir wissen nichts darüber, wie die verschiedenen Bäume im Wald unter der Erde kommunizieren. Wir wissen nicht, welche Insekten, Vögel und Säugetiere hier ihren Lebensraum haben, wie ihre Beziehungen untereinander und ihr Verhältnis zu uns ist. Darüber zu lernen wird zu einem wissenschaftlichen Privileg, wo es nicht selten zum Nachteil der Natur genutzt wird. Auch sonst fehlt uns oft grundlegendes Wissen über Prozesse und Organismen der Erde. Seit Jahrhunderten haben etwa Frauen* ihr Wissen über ihren eigenen Körper und ihre Sexualität allmählich verloren, sowohl als Resultat patriarchaler Verhältnisse sondern auch als Resultat einer gesamtgesellschaftlichen Selbstentfremdung. Erstaunlicherweise wissen selbst viele erwachsene Menschen heute wenig über ihre eigenen Körper, ihre Geschlechtsorgane sowie die natürlichen Prozesse die bei der menschlichen Fortpflanzung beteiligt sind. Dieses Wissen muss immer erst gesucht und recherchiert werden. Wenn uns dieses Wissen als Gesellschaft fehlt, führt es uns zur ständigen Abhängigkeit. In diesem Sinne können wir sagen, dass selbstständige Gesellschaften immer welche sind, in denen das grundlegende Wissen, welches wir zum Leben brauchen, gemeinschaftlich ist. Eine Gesellschaft, die über die notwendigen praktischen Mittel und Erfahrungen verfügt, ist in der Lage, sich selbst zu erhalten und zu versorgen. Eine Gesellschaft auf der Basis von Selbstversorgung und radikaler Demokratie bildet den Rahmen für ein Leben, in welchem die Natur nicht Herrschenden und Reichen überlassen und ausgebeutet, sondern respektiert und geachtet wird.

In der Wurzel eines ökologischen Aktivismus liegt eine andere Beziehung zur Erde, ihrer Lebewesen, ihres Wassers und ihrer Luft; eine Beziehung, die die Ressourcen der Natur mit Respekt behandelt. Auf praktischer Ebene bedeutet das, gegen den Kapitalismus zu kämpfen, welcher schon immer auf Umweltzerstörung und Ausbeutung beruht hat, und eine Alternative zu erschaffen, die die Gemeinschaften der Welt auf den Weg zu einem selbstverwalteten und selbstversorgenden Leben führt.