Gedenkfeier im Hambacher Wald

Im Hambacher Wald hat eine Veranstaltung im Gedenken an verstorbene Freund:innen aus verschiedenen Zeiten der Besetzung stattgefunden.

Am 23. September 2023 kamen im Gedenken an verstorbene Freund:innen aus verschiedenen Zeiten der Hambacher Waldbesetzung an die einhundert Personen, darunter auch Familienmitglieder, an der Gedenkstätte Beechtown zusammen.

Wie schon in vergangenen Jahren fand das Gedenken zum Todestag von Steffen Meyn, genannt „Sonne“, statt, welcher am 19. September 2018 während der laufenden Räumung der Baumhäuser bei seiner Tätigkeit als Medienstudent und Journalist tödlich verunglückte. Steffen hatte die Waldbesetzung über zwei Jahre mit zahlreichen Interviews und Begegnungen eng begleitet. Am 11. September wäre er 32 Jahre alt geworden. Der Herbst war seine liebste Jahreszeit.

Ende Juli wurde bekannt, dass Eva-Maria Steiger (Elefteria Hambi), die 2017 und 2018 im Hambi aktiv gewesen war und dort „Lobo“ genannt wurde, ums Leben gekommen ist. Im Jahr 2018 schloss sie sich den Frauenverteidigungseinheiten YPJ in Westkurdistan (Nordsyrien) im Kampf gegen den IS an, 2019 verlor sie ihr Leben bei einem türkischen Luftangriff auf die PKK in Südkurdistan (Nordirak). Am 26. September wäre sie 35 Jahre alt geworden.

Auch wurden Einblicke in das Leben von Elf und Waka (Şehîd Şahîn Qereçox / Farid Medjahed), Mogli, Mike und Anna Campbell (Şehîd Hêlîn Qereçox), Camil, Moss und Rebe und ihren Widerstand im Wald und darüber hinaus geteilt. In anschließenden Gesprächen ergänzten Anwesende, dass sie auf der diesjährigen Gedenkfeier u.a. auch Arielle, Rio, Petra und Andy aus länger zurück liegenden Zeiten der Waldbesetzung in das Gedenken einschlossen.

Ihre Tode bewegten viele, im Wald und weit über den Waldrand hinaus. Nachdem es die vorherigen Tage teils heftig geregnet hatte, glitzerten zur Gedenkminute die Sonnenstrahlen durch die nahe Rodungskante ganz nah am Tagebau und tauchten die Gedenkfeier in warmes Licht.

In der Rede einer Waldbesetzerin wurde über das Gedenken an sich reflektiert: „So viele kämpfen und kämpften auf ganz unterschiedliche Arten gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegen Ausbeutung von Mensch und Natur. Viele, die die Verhältnisse nicht akzeptierten, bezahlten ihren Widerstand mit ihrem Leben. Warum ist es wichtig, an unsere Freund:innen und an noch viel mehr Menschen zu erinnern? Einerseits wollen wir niemanden im Schmerz allein lassen. Du und ich, ihr und wir sollten nicht alleine sein mit der Frage nach dem Warum.“

Zu oft werde das Wirken der Freund:innen in Erzählungen über den Hambacher Wald gar ausgeblendet, es werde vergessen gemacht. „Doch wir wollen erinnern“, hob die Rednerin hervor. „Zugleich wollen wir nicht, dass Hetze gegen unseren Widerstand das Wirken der Freund:innen diskreditiert. Dass Politiker uns öffentlich als Terroristen oder Medien uns als Öko-Taliban bezeichnen, ist grausam. Selbst vor Toten wird keinen Halt gemacht, sondern Schlechtes und Lügen über sie verbreitet. Dem stellen wir uns entgegen und erschaffen hiermit selbst unsere wertvolle, liebende und kreative kollektive Erinnerung in tiefer Anerkennung ihres Lebens. Es ist an uns, eigene Formen des Erinnerns und Gedenkens zu entwickeln.“ Dabei wurde außerdem klar, dass nicht nur das Vorbereitungskomitee sich die Frage stellte: Wie denn erinnern? Was ist ein Gedenken, das unseren Freund:innen, ihren Ideen, Idealen, Kämpfen und Hoffnungen, gerecht wird?

Mehrere derjenigen, an die erinnert wurde, kannten einander. Steffen etwa filmte sowohl Elf als auch Waka. Waka und Lobo trugen Annas zweiten Kampfnamen. Mike bezog sich auf Elf. Nicht nur der Ort, sondern auch die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt habe sie vereint. Neben den vielen Unterschieden in den Geschichten der verstorbenen Freund:innen und Gefährt:innen wurde klar: Sie alle teilten eine tiefe Verbundenheit mit dem Wald. Dies sei es, was neben ihrem Mut und der Entschlossenheit sowie ihrem Verantwortungsbewusstsein wertgeschätzt wird und wovon sich anwesende Freund:innen auch in Zukunft leiten lassen wollen.

„Dass unsere Freund:innen nicht mehr unter uns sind, ist mehr als die Verkettung tragischer Einzelfälle. Ich bin mir sicher, dass alle von ihnen auf ihre verschiedene Art und Weise sagen würden: Wir müssen uns als Hinterbliebene der gesellschaftlichen Relevanz bewusst werden, wie Herrschaft und Unterdrückung diese Welt prägen, und zu welchen Schandtaten, zu welcher Gewalt Herrschende und der Staat mit seinen Handlanger:innen bereit sind, um ihre Herrschaft zu sichern. Nicht, um aufgrund der Ausmaße von Zerstörung, Krieg und Gewalt in Hilflosigkeit, Ohnmacht und Vereinzelung zu verfallen, sondern um aus der gemeinsamen Analyse der Verhältnisse, vielleicht aus gemeinsamem Zorn auf selbige, zu dem Punkt zu gelangen zu sagen: So nicht weiter. Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzen ob der Verhältnisse verzweifeln oder gar aufgrund ihrer Widerständigkeit für ein freies, ökologisches, geschlechtergerechtes Leben ermordet werden. Wandeln wir Wut und Trauer zu Widerstand. Die Erinnerungen an unsere verstorbenen Freund:innen begleiten unsere Wege. Wir gehen weiter mit ihnen in unseren Herzen“, so die Rednerin.

Auch zwei Rednerinnen von der Frauenbewegung Kurdistans sowie vom Verein der Familien Gefallener begrüßten die Anwesenden und sprachen den Familien ihr Mitgefühl aus. Die jahrzehntelangen Errungenschaften gerade der organisierten Frauen in Kurdistan seien auch für Internationalist:innen aus Europa, wie Hêlîn Qereçox/Anna, Elefteria Hambi/Lobo und Şahîn Qereçox/Waka, eine große Inspiration, die Verbindung der Kämpfe zugleich unglaublich bedeutend. Die internationalistische Beteiligung auf unterschiedlichen Ebenen sei wichtig und stärkend für die Gesellschaften Kurdistans. In der Geschichte seien der Aufteilung Kurdistans durch den Vertrag von Lausanne vor hundert Jahren viele Massaker gefolgt. Gerade die Frauen seien jedoch dabei, ihre Rechte wiederzugewinnen, was deutlich werde durch die massive Ausbreitung der Idee und Ideologie von Abdullah Öcalan, welche hinter dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) stehe. In der Rede wurde darauf hingewiesen, dass zu Öcalan, der seit 1999 auf einer Gefängnisinsel menschenrechtswidrig inhaftiert ist, seit über zweieinhalb Jahren keinerlei Kontakt besteht.

„Unsere im Krieg gegen Daesh, den selbsternannten Islamischen Staat, und die türkische Armee gefallenen Freund:innen gingen ihren Weg auf der Suche nach Befreiung gemeinsam mit den kurdischen Kämpfer:innen und der kurdischen Gesellschaft. Im kollektiven Miteinander der Frauenrevolution und den inspirierenden Schriften Öcalans suchten und fanden sie Antworten auf Fragen, die sie bereits hier gestellt hatten“, hieß es in der Rede. Es gehe um Befreiung dort vor Ort aber auch international. Die vielen tausenden Gefallenen seien ein großer Preis für die Gesellschaften Kurdistans im Kampf um Befreiung, sie hätten gleichzeitig jedoch eine besondere Rolle inne und dem Gedenken an sie werde große Bedeutung beigemessen.

Da Lobo (Eva-Maria Steiger) das Lied „Berxwedan xweş doze“ sehr gerne sang, wurde es auf der Gedenkfeier zusammen gesungen. Ein weiteres Lied, in dem ihr gleich zwei parallel entstandene Strophen gewidmet wurden, trug die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie“ vor. Mit allen gemeinsam wurde auch die italienischsprachige Originalversion von Bella Ciao gesungen, da Lobo der Meinung war, alle revolutionär lebenden Menschen müssten dieses Lied auf italienisch singen können.

Katha, eine ehemalige Waldbewohnerin, zitierte Lobo mit den Worten: „Wir müssen die Mauern zwischen uns Menschen einreißen, überall auf der Welt. Wir müssen verstehen, dass wir Verantwortung übernehmen müssen, für alles was wir tun und was wir nicht tun. Das ist das wichtigste. Um das herrschende System zu überwinden müssen wir als Menschen zusammenkommen und unsere Ängste überwinden.“

Lobo sei ihr als eine starke Frau mit großem Kampfeswillen und Zielstrebigkeit in Erinnerung. Sie habe eine Art in der Welt zu leben gehabt, die schon damals sehr konsequent war. Mit ihrer herzlichen und manchmal positiv dickköpfigen Art habe sie Andere zum gemeinsamen Arbeiten und zu kreativen Aktionen auch außerhalb des Waldes animiert. Von Polizeigewalt und Konsequenzen ließ sie sich dabei nicht abschrecken. Eine weitere Freundin berichtete, sie habe sich beispielsweise bereits damals mit Sekundenkleber festgeklebt, um Räumfahrzeugen den Weg zu versperren. Auch persönlich brachte sie Menschen durch ihre Kritik voran, was viele an ihr als mutig und solidarisch bewerteten und stark schätzten.

Eine weitere Rednerin thematisierte aus Perspektive einer langjährigen Wald- und Wiesenbewohnenden den Umgang mit Tod, aber auch mit Gewalt und Repressionen – dass betroffene Menschen in diesen „schwierigen und verrückten Zeiten allzu schnell vereinzeln und Mauern um ihre Seelen bauen: „Dies ist aber nicht gut für uns als Menschen, denn wir als Menschen sind generell soziale Wesen. Daher ist es richtig und wichtig, dass wir heute hier sind, mit unseren individuellen Verlusten und individuellen Beziehungen zu den Toten, und uns bewusst sind, dass dies uns als Community trotz allem heute eint.“ Besondere Aufmerksamkeit schenkte die Rednerin den verstorbenen Punks Moss und Camil, mit denen sie die Perspektive jener Menschen teile, welche am Rand oder außerhalb der Gesellschaft lebten. „Wir haben alle jemanden verloren. Freunde, Familie, Baumhausnachbar:innen, Bekanntschaften und vielleicht auch eine anstrengende Person, mit der wir immer auf dem Plenum diskutiert haben.“ Diese Erfahrung des gemeinsamen Kämpfens und Trauerns verbindet. Die Rednerin betonte, dass ehrliche Trauer durch persönliche Annäherung über geteilte Geschichten jenseits von glorifizierenden Statements ermöglicht werde und auch bedeute, sich mit der eigenen Hilflosigkeit auseinanderzusetzen: „Für mich soll Trauer eine Transformation unserer Erinnerung zur lebendigen Geschichte werden.“

Die Gedenkstätte in Beechtown wurde durch die verschiedenen Reden, Musik von Akkordeon, Bassklarinette, Cello und Gitarre sowie vielfältige Liedbeiträge und ein gemeinsames Buffet mit veganer Mayo nach Steffens Rezept zu einem Raum, um gemeinsam zu trauern, zusammen zu singen, zu essen, Geschichten zu erzählen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Großer Dank wurde an die Freund:innen gerichtet, die Gedanken und Erinnerungen an die Verstorbenen, teils berührend, teils lustig, teilten.

Zwei Besucher:innen der Gedenkfeier drückten zudem ihre Dankbarkeit über die Begegnungen und den Austausch mit den Familien der verstorbenen Freund:innen aus: „Besonders gefreut haben wir uns, die Familienangehörigen von Steffen/Sonne und Eva-Maria/Lobo/Elefteria Hambi, und in vorherigen Momenten auch von Waka, im Wald begrüßen zu dürfen – dem Ort, der ihren Kindern und Geschwistern so viel bedeutete.“ Und: „Allen Angehörigen und nahen Freund:innen sagen wir: Ihr seid in eurer Trauer nicht allein! Ich bin dankbar, so viele Angehörige und Bezugspersonen aus verschiedenen Lebensphasen unserer verstorbenen Freund:innen begrüßen zu dürfen. Dass sich so viele einander vorher unbekannte Menschen nach dem Tod der gemeinsamen Menschen kennenlernen, erachten wir als ein großes Geschenk und Anlass, uns im Sinne der Verstorbenen zu unterstützen und verbünden.“

Eine Waldbesetzerin schloss die Reden mit den Worten: „Die Trauer, der Schmerz und die Wut über die Tode sind groß. Wir wollen uns gemeinsam der Stärke, Hoffnung und Liebe unserer Freund:innen erinnern und werden ihre Kämpfe für eine lebenswerte Zukunft weiterführen.“

Nachdem Steffens Freund und Mitbewohner Sanji das Lied „Sonne“ vortrug, wurde es auch zum Lied „Bei Lorenz im Café“ sehr bewegend. Manche Besucher:innen blieben bis nach Sonnenuntergang an der Gedenkstätte, als in der Dunkelheit die Lichter der Kerzen die vielen Fotos und Blumen nochmal ganz neu eindrucksvoll beleuchteten.

Die Gedenkstätte in Beechtown im Hambi kann jederzeit besucht werden und ist momentan vom Bahnhof Buir (Kerpen) aus gut ausgeschildert. Steffen Meyns Filmmaterial ist von seinen drei Freund:innen Fabiana, Jens und Kilian zu einem Kino-Dokumentarfilm namens „Vergiss Meyn Nicht“ gemacht worden, der aktuell in den Kinos läuft. Steffens Eltern, Elisabeth und Horst Meyn, sind sehr dankbar für diesen bewegenden Film und rufen auf, ins Kino zu gehen und sich weiter für die Rettung des Hambacher Waldes und gegen das Vergessen einzusetzen.

Infos: https://hambacherforst.org/blog/2023/09/14/vergissmeynnicht-filmstart-kinotour-hambidoku/ 

Kinotermine: https://www.wfilm.de/de/vergiss-meyn-nicht/kinotermine/

Steffen Meyns Eltern Elisabeth und Horst Meyn sind postalisch erreichbar über: Meyn, c/o Herbertz Bestattungen, Kirschstr 18, 40764 Langenfeld