„Mesopotamien steht vor einer Apokalypse“ – davor hatte die Tevgera Ekolojiyê ya Mezopotamyayê, die Ökologiebewegung Mesopotamiens, vor genau einem Jahr gewarnt und in einem eindringlichen Appell zur Teilnahme an einer Aufforstungskampagne aufgerufen. „Kriege um Nationalstaaten in der Region, in der das globale kapitalistische System die Macht ausübt, verwandeln sich in Konflikte um Territorien und natürliche Ressourcen“, erklärte die Bewegung damals und machte auf die Umweltzerstörung in der kapitalistischen Moderne und ihre Auswirkungen im Nahen Osten, besonders in Kurdistan aufmerksam.
Neue Wälder schaffen und Monokulturen in artenreiche Mischbestände umwandeln
Mit der Kampagne „Ein Baum fürs Leben“ ermutigt die Ökologiebewegung die kurdische Bevölkerung seither, der Zerstörung ihrer Umwelt kollektiv und solidarisch entgegenzuwirken. Durch die Aufforstungskampagne sollen neue heimische Wälder geschafft oder Monokulturen in artenreiche Mischbestände umgewandelt werden. So leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag gegen das Waldsterben und die ökologische Zerstörung von Kurdistan, aber auch der Türkei, und für ein besseres Klima. Neben der Schaffung neuer Lebensgrundlagen für Mensch, Tiere und Pflanzen wird durch die Wiederaufforstung CO2 gebunden und ein wichtiger Beitrag zur CO2-Kompensierung geleistet.
Pflanze einen Baum und bringe das Leben zum Blühen
Wie im vergangenen Jahr startete das Projekt der mesopotamischen Ökologiebewegung auch 2023 wieder zum 1. April. Einen Unterschied gibt es aber: Die diesjährige Aufforstungsaktion, an der maßgeblich auch der in Amed (tr. Diyarbakır) ansässige Verein Komeleya Ekolojiyê beteiligt ist, findet im Gedenken an die Opfer der verheerenden Erdbebenserie in der türkisch-syrischen Grenzregion vor rund zwei Monaten, deren Epizentrum in Kurdistan lag, statt. Die Losung hierfür lautet: „Tu jî darekê biçîne, jiyanê şîn bike“ – zu Deutsch: Pflanze einen Baum und bringe das Leben zum Blühen.
Systematischer Ökozid, überall im Land
Wie die Bewegung erklärt, geht der Projektzeitraum bis zum 10. April. „Unser Aufruf richtet sich nicht nur an die Bevölkerung. Wir appellieren auch an Umweltverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Gruppen, sich an der Aufforstung unseres Landes zu beteiligen. Wir sind mit dem Versuch des Systems konfrontiert, das Leben in seiner Gesamtheit durch eine Politik der Abholzung zu vernichten“, betont die Organisation. Sie spricht von einem systematischen Ökozid, den der türkische Staat überall im Land, besonders jedoch in den kurdischen Regionen betreibe. Dort vernichtet das Regime bereits seit Jahrzehnten die Umwelt.
Systematisches Übel, das sich von Krieg und Profit ernährt
Ob Brandstiftungen in Wäldern und Dörfern, irrationale Staudammprojekte oder die Ausbeutung natürlicher Ressourcen als politisches Zwangsmittel: Die Republik Türkei hat seit ihrer Gründung bis heute vor keiner Maßnahme Halt gemacht, um „erfolgreich“ bei der „Aufstandsbekämpfung“ zu sein. Neben der massiven Zerstörung von Waldbeständen, die größtenteils in der heißen Phase des Krieges in Kurdistan einhergehend mit einer systematischen Vertreibungspolitik vernichtet worden waren, mussten in den vergangenen Jahren zusätzlich abertausende Bäume für den Ausbau der militärischen Infrastruktur weichen. „Unsere Lebensräume und Wälder werden für die Sicherheit eines systematischen Übels, das sich von Krieg und Profit ernährt, kahlgeschlagen. Das Rad der Vernichtung ist ständig in Bewegung. Doch genauso wie in die Wälder eingegriffen wird – und dies inzwischen überall im Land – wird auch in Städten, ländlichen Regionen und landwirtschaftlichen Gebieten gehandelt.“
Sozialer Mord an Erdbebenopfern
Es habe sich eine Staatspraxis etabliert, die Regierungen wie Konzerne agieren lasse, die über die Natur und damit das Zuhause von Millionen bestimmten, betont die Ökologiebewegung Mesopotamiens. „Damit wird der Versuch unternommen, unser kollektives Gedächtnis auszulöschen. Durch hierarchische Entscheidungen, die sich diesseits der von Konzernen und Staaten geschaffenen Umweltrealität bewegen, durchdringt das hässliche Gesicht des Kapitalismus alle Bereiche des Lebens. Die Erdbebenserie vom 6. Februar ist ein Paradebeispiel dafür, wie kapitalistische Profitgier und mangelnde Kontrolle das menschliche Leben missachten und wie ein ganzes System dies zulässt. An zehntausenden Menschen und Tieren, die unter den Trümmern eingeschlossen einen vermeidbaren Tod gestorben sind, wurde ein sozialer Mord verübt. Statt Erdbebensicherheit haben sich die korrupten Herrschenden die Interessen Interesses der profitgierigen Bau-Lobby auf die Fahne geschrieben. Und auch jetzt, bei den von der Regierung eiligst angekündigten Wiederaufbaumaßnahmen, die weder demokratisch noch ökologisch, und schon gar nicht sozial sein können, erkennen wir: Der Feind ist nicht das Erdbeben.“