6. Februar – 30 Jahre Nationalfeiertag der Sámi
Heute wird in Sápmi gefeiert - mit Gesang, Tanz und Kultur. Auch die Initiative Geschichte & Widerstand gratuliert anlässlich des 126. Jubiläums der ersten samischen Nationalversammlung.
Heute wird in Sápmi gefeiert - mit Gesang, Tanz und Kultur. Auch die Initiative Geschichte & Widerstand gratuliert anlässlich des 126. Jubiläums der ersten samischen Nationalversammlung.
Vor über 100 Jahren, im Jahre 1917, initierte Elsa Laula Renberg im Auftrag des Brurskanken samiske kvinneforening (Samischer Frauenverein Brurskanken) die erste Sámi-Nationalversammlung in Tråante, an denen 150 Menschen aus Sápmi (samische Siedlungsgebiete, aufgeteilt auf Schweden, Finnland, Norwegen und Russland) teilnahmen. Das Datum dieses Treffen, der 6. Februar, stellte einen Wendepunkt in der Organisierung der indigenen Sámi dar und wird heute als offizieller Nationalfeiertag gefeiert.
Bereits 1904 verfasste Elsa Laula ihre berühmte Abhandlung „Inför li eller död?“ (Sind wir tot oder lebendig?), in welcher sie schrieb:
„Die Lappen müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen. ,Auf welche Weise?' fragen viele. Es gibt nur einen Weg: einen vereinigten Lappenverband aufzubauen, der überall in der lappländischen Bevölkerung Wurzeln schlägt... Euch, jungen Männern und Frauen, sage ich eines: Die Zukunft unseres Volkes liegt in euren Händen! Mit eurer Kraft werden unser Volk und unser Land überleben.“
Laula hatte die Vision einer pan-Sámi-Bewegung, welche über die kolonialen Grenzziehungen in Sápmi hinaus reichen sollte. Seit den 1950er Jahren gibt es nun bereits einen Sámi-Rat, in welchem Sámi aus allen Landesteilen vertreten sind.
Elsa Laula Renberg
Kolonisierung in Europa
Mit der Niederschlagung der Bauernaufstände im späten Mittelalter und der massiven Privatisierung von Land in allen Teilen Europas entstand eine Welle der Einhegung, die weit über die Grenzen Europas hinausging: mit der Entsendung spanischer Flotten nach Abya Yala (Lateinamerika) und der Ankunft portugiesischer Seefahrer in Westafrika sollten immer weitere Wohlstandsquellen erschlossen werden, indem Land und Leute unterworfen, versklavt, kolonisiert und beraubt wurden. Was viele nicht wissen: auch in Europa kam es mit Beginn der Frühen Neuzeit zu Kolonisierung indigener Gesellschaften.
Die Sámi
Die Geschichte der Kolonisierung der Sámi im heutigen Nordskandinavien beginnt mit dem Bau einer Silbermine bei Árjepluovve in Schweden im Jahre 1635, zu einer Zeit also, als das englische Königreich gerade seine erste Kolonie in Nordamerika gegründet hatte. Der Bergbau zog immer mehr Siedler auf indigenes Territorium. Die Folge: Vertreibung. Wer Widerstand leistete, war starker Repression ausgeliefert, wurde gefoltert. Viele Sámi flohen in dieser Zeit und endeten meist als unterbezahlte Arbeiter:innen oder landlose Bettler:innen. Der später von Marx und Engels eingeführte Begriff des „Lumpenproletariats“ (lappproletariat) soll auf die Sámi-Arbeiter:innen jener Zeit zurückgehen.
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts kamen immer mehr Siedler, Verwalter, Missionare nach Sápmi. Sie folgten dem Versprechen nach freiem Land und Steuer Privilegien. Den Preis dafür mussten die Sámi zahlen. Christianisierung, Beschlagnahmung von Besitz, Zerstörung der sieidi (heilige Stätten) und die Ermordung der noaidis (spirituelle Führer), welche auf Scheiterhaufen verbrannt wurden, waren an der Tagesordnung.
All dies raubte den Sámi die spirituelle und materielle Grundlage ihrer Kultur.
Im 18. Jahrhundert waren die kolonialen Strukturen bereits fester Bestandteil in Sápmi. Zwangsumsiedelung und Landraub waren an der Tagesordnung. Im 19. Jahrhundert sollte es zu den ersten Aufständen kommen, die jedoch brutal niedergeschlagen wurden. Die Aufständischen wurden verhaftet, ihre Anführer:innen hingerichtet. Lediglich in den gehobeneren Schichten der schwedischen Gesellschaft bekamen die Sámi daraufhin eine gewisse Aufmerksamkeit, die zu „wohltätigem Engagement“ führte – an der tagtäglichen Unterdrückung änderte dies nichts. In dieser Zeit emigrierten viele Sámi nach Alaska, aber auch in die sogenannte „Neue Welt“. Auch heute noch gibt es Organisationen in diesen Regionen wie etwa die „Sámi Saervi“ (Sámi Association) in Washington State oder das „Sámi Cultural Center of North America“.
Die Grenzziehung der Nationalstaaten, die nach und nach in Sápmi entstanden, beeinflussten die Geschichte der Sámi auf unterschiedliche Art und Weisen. Die Grenzen rissen Familien auseinander, zerteilten traditionelle Weidegebiete der Rentiere und erlegten den Sámi jede Menge Bürokratie auf. So durfte beispielsweise ab 1886 auf Weideflächen, die besteuert waren, nicht mehr gejagt oder gefischt werden.
Samischer Widerstand
Nach der Russischen Revolution 1917 verschwand ein Teil der Sámi auf russischem Gebiet für Jahrzehnte hinter dem „Eisernen Vorhang“. Zu Zeiten Lenins und dem Recht auf „nationale Selbstbestimmung“ verbesserte sich ihre Situation für eine Weile, doch unter Stalin kam es 1937 zu Massenexekutionen von 68 Sámi, die der Spionage und des Verrats verdächtigt wurden. Sie wurden 1988 rehabilitiert. Der Rest der Sámi wurde Opfer von Zwangskollektivierung und Umsiedlungen.
In Schweden begann mit dem 20. Jahrhundert ein weiteres grausiges Kapitel in der Geschichte der Sámi: mit der Institutionalisierung der „Rassenlehre“ wurden sie fortan systematisch vermessen. Ihre Knochen und Schädel wurden für „Forschungszwecke“ geraubt und in Museen ausgestellt. 1922 wurde das „State Institute for Racial Biology“ („Staatliches Institut für Rassenlehre“) an der Universität von Uppsala gegründet, welches bis 1958 (!) fortbestand. Doch damit nicht genug: Sámi-Frauen wurden jahrzehntelang zwangssterilisiert – die gesetzliche Grundlage hierfür wurde erst 1976 abgeschafft.
In dieser Zeit entwickelte Schweden die „Lapp skall vara lapp“-Politik (Sámi sollen Sámi bleiben), welche zum völligen Ausschluss aus der schwedischen Mehrheitsgesellschaft führte.
In Finnland und Norwegen hingegen setzten die Staaten vermehrt auf eine Politik der Assimilierung. Bildung wurde genutzt, um Kinder von ihrer Kultur zu entfremden und zu „guten Bürgern“ der modernen Nationalstaaten zu erziehen. Der Begriff „Norwegenisierung“ war geläufig. Sámi-Kinder wurden auf Internate geschickt, einige konnten ihre Eltern nur zwei Mal im Jahr treffen. Unabhängig davon, ob sie assimiliert wurden oder nicht: alle mussten weiterhin strukturelle Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Wohnen und Arbeit erleiden.
Während des Zweiten Weltkrieges waren Sámi gezwungen, für die kriegführenden Mächte gegeneinander zu kämpfen. Als die Niederlage für die Deutschen immer wahrscheinlicher wurde, verfolgten sie in der Finnmark eine Politik der „verbrannten Erde“ und brannten ein Gebiet so groß wie Dänemark sowie sämtliche Siedlungen darauf nieder.
Norwegen hatte wenig Interesse daran, dieses Gebiet wieder zu besiedeln, lagen dort doch jede Menge Bodenschätze verborgen. Der Staat konnte die Wiederbesiedelung durch Sámi jedoch nicht verhindern.
Sápmi - Das „Land der Samen“ | The Decolonial Atlas
Organisierung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzten die Sámi ihre Organisierung fort. 1956 wurde der Sámi-Rat von Norwegen, Schweden und Finnland gegründet. Vertreter:innen aus russischen Gebieten sind seit 1992 Teil des Rats. Der Sámi-Rat hatte großen Einfluss darauf, die Interessen und Rechte von Sámi zu erstreiten, strukturelle Veränderungen herbeizuführen und nationale Parlamente in allen vier Landesteilen zu etablieren.
Der Zugriff auf Land jedoch dauert an. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Sápmi einen Boom an Wasserkraftwerken. Allein in Schweden wurden ab 1951 dreizehn Wasserkraftwerke entlang des Lula-Flusses gebaut. 1968 gab Norwegen Pläne für den Bau eines Wasserkraftwerks am Áltá-Guovdageaidnu bekannt, welches zu Flutung des Dorfes Mazé führen würde. Der hartnäckige Widerstand vor Ort führte zum Erhalt des Dorfes, der Bau des Wasserkraftwerkes konnte jedoch nicht gekippt werden. In dieser Zeit, Ende der 70er Jahre, entstand eine breite Protestbewegung gegen die Pläne der Regierung, welche weit über die Communities der Sámi hinausging. 1975 gründete sich außerdem der „World Council of Indigenous People“ (Weltrat der indigenen Völker, kurz WCIP), in welchem Sámi eine wichtige Rolle spielten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt spielt Internationalismus eine wichtige Rolle in der Bewegung der Sámi.
Seit den 70ern entwickelte sich eine breite, diverse anti-koloniale Bewegung in Sápmi, welche vielfältige internationale Kontakt zu linken Gruppen aufbaute. Dabei ging es ihnen nie um einen eigenen Nationalstaat, wie Harald Gaski in seiner Einleitung zu „Sami Culture in a New Era“ schreibt:
„Die samische Politik war nie auf die Gründung eines eigenen samischen Nationalstaates ausgerichtet. Sie hat sich vielmehr auf die Schaffung von Rechten konzentriert, die das Überleben und die Entwicklung der Sami und ihrer Kultur in ihren angestammten Siedlungsgebieten sichern sollen. Selbst in Zeiten der aggressivsten Kolonisierung und Assimilierung sowie der gewaltsamen Christianisierung im 18. und 19. Jahrhundert haben sich die Sami auf ihre eigenen kulturellen Ausdrucksformen als innere Verteidigung gegen den Druck von außen besonnen.“
Heute
Auch heutzutage sehen sich Sámi trotz vieler Errungenschaften mit verschiedenen Problemen wie Rassismus, Militarismus, „grünem Kolonialismus“ und Rechtsstreitereien konfrontiert. Insbesondere seit dem NATO Beitrittsgesuch Finnlands und Schwedens ist eine zunehmende Militarisierung der Region zu verzeichnen. Erst kürzlich wurde groß in den Medien über die Entdeckung Seltener Erden in Schweden berichtet – dass sich diese auf indigenem Territorium befinden, wird dabei selten erwähnt.
Kerstin Andersson, Mitglied des Vorstands der Sami Human Rights Association, weist auch auf die negativen Auswirkungen der Windkraft auf die Rechte der Sámi hin und wirft das Konzept des „grünen Kolonialismus“ auf, d.h. wie Industrien wie Bergwerke, Windkraftprojekte und Batteriefabriken sich als klimafreundlich vermarkten wollen, um im Namen des Klimaschutzes samisches Land auszubeuten.
Die Verteidigung von Land und Kultur wird also auch weiterhin aktuell bleiben. Kämpferische Grüße nach Sápmi!
Zur Sprache: in dem Artikel werden vor allem die Bezeichnung auf Sámi verwendet, z.B. für Städte.
Weiterführende Links:
Sami Council: www.saamicouncil.net/en/the-saami-council
News und Informationen: www.samer.se
Interview mit Gabriel Kuhn und Maxida Märak: https://anarchy.radio/@thefinalstrawradio/episodes/liberating-sapmi-with-maxida-marak-and-gabriel-kuhn
„Liberating Sápmi“ Buch von Gabriel Kuhn: https://www.pmpress.org/index.php?l=product_detail&p=1051
Pile O‘Sápmi – Protest gegen staatliche Zwangsschlachtungen von Rentieren: https://www.pileosapmi.com/
Amnesty International Sápmi: https://amnestysapmi.se/
Dekoloniale Karte von Sápmi: https://decolonialatlas.files.wordpress.com/2021/02/sami-map1.png