Immer wieder ist das gleiche Muster zu beobachten: Die türkische Armee greift Rojava an und zeitgleich werden IS-Zellen aktiv und verüben Anschläge. Gefangene IS-Dschihadisten berichten immer wieder von ihrer Zusammenarbeit mit dem türkischen Geheimdienst MIT. Bei der letzten türkischen Großangriffswelle, die im November begann, bombardierte die türkische Luftwaffe Gefängnisse, um dort einsitzenden IS-Gefangenen die Flucht zu ermöglichen. Das PYD-Vorstandsmitglied Foza Yûsif hat sich gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya über die aktuellen Entwicklungen und weitere drohende Angriffe geäußert.
Yûsif berichtet in der Reportage im Zusammenhang mit den zunehmenden Drohnenangriffen: „Mit der Zunahme der türkischen Angriffe hat sich auch der IS mobilisiert. Aktuelle Informationen bestätigen die Zusammenarbeit zwischen dem IS und dem MIT. Der türkische Staat setzt den IS an Orten ein, an denen er selbst nicht aktiv sein kann. Es ist offensichtlich, dass der IS in letzter Zeit in Raqqa, Deir ez-Zor und vielen anderen Orten aktiv ist. Er hat seine Zellen in Gebieten wie Til Hemis und Til Berak aktiviert. Es ist deutlich erkennbar, dass die Türkei und der IS ihre Operationen parallel durchführen. Der türkische Staat greift von oben aus der Luft an, während der IS seine Schläferzellen einsetzt.“
Treffen finden auf Druck von Russland statt
Yûsif kommentiert auch die Gespräche zwischen dem Assad-Regime und der Türkei unter russischer Schirmherrschaft. Sie unterstreicht, dass die aktuelle Annäherung nicht auf Initiative Syriens, sondern auf Druck Russlands stattfindet. Das Regime wisse genau, dass die türkische Seite die Gespräche vor allem im eigenen Wahlkampf nutze und gar nicht daran denke, die besetzten Gebiete zu verlassen. Die PYD-Politikerin führt aus: „Erdoğan hat nicht die Absicht, die besetzten Gebiete zu verlassen. Deshalb geht die syrische Regierung bei diesen Gesprächen langsam vor. Russland wiederum ist wegen des Ukraine-Krieges an die Türkei gebunden. Deshalb will es die Gespräche aktivieren und vorantreiben. Meiner Meinung nach werden diese Gespräche nicht ohne weiteres zu Ergebnissen führen. Solange der türkische Staat die besetzten Gebiete nicht verlässt, wird die Regierung in Damaskus die Bedingungen der Türkei nicht einfach akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass es in anderen Bereichen keine Schritte geben wird. Unserer Meinung nach wird Syrien unter russischem Druck kleine Schritte unternehmen, aber solange die Besatzung anhält, wird die syrische Regierung keinen Vereinbarungen in strategischen Fragen zustimmen.“
Haltung der Selbstverwaltung ist klar
Foza Yûsif erklärt, Russland wolle, dass das Regime mit all seinen Institutionen und Kräften in die selbstverwalteten Gebiete zurückkehre. Das solle mit dem Druck der Türkei erreicht werden. Yûsif beschreibt: „Russland will die selbstverwalteten Gebiete von Damaskus abhängig machen. Die Haltung der Selbstverwaltung und der QSD (Demokratische Kräfte Syriens) ist klar: Wenn keine dauerhafte politische Lösung gefunden wird und die Rechte aller Völker nicht durch eine demokratische Verfassung garantiert werden, wird die Selbstverwaltung keinen Kompromiss akzeptieren."
„Bodenangriff nicht unwahrscheinlich, denn Erdoğan braucht einen Sieg“
Yûsif hält einen türkischen Bodenangriff für möglich und sagt: „Erdoğan befindet sich jetzt in einer sehr schwierigen Situation. Er wird alles tun, um die Wahlen zu gewinnen. Daher ist eine Invasion nicht unwahrscheinlich. Erdoğan braucht einen Sieg. Er glaubt, dass er, wenn er hier angreift, die Unterstützung der nationalistischen Kreise gewinnen würde. Natürlich wird ein solcher Krieg nicht dem Krieg in Efrîn oder Serêkanîyê ähneln. Es wird für uns in jeder Hinsicht ein Überlebenskampf sein. Wir befinden uns nicht in einer Situation, in der wir einen Schritt zurückgehen können. Das müssen alle berücksichtigen. Wir haben keine andere Möglichkeit als den Sieg. Es würde für uns zu einem Schicksalskrieg werden. Das ist unser Ansatz. Wir hoffen, dass sich niemand falsche Vorstellungen macht.“
Die Selbstverwaltung ist bereit
Yûsif betont, dass die Selbstverwaltung militärisch, politisch, diplomatisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich vorbereitet sei und alle Möglichkeiten in Betracht ziehe. Die PYD-Politikerin schließt mit den Worten: „Die Selbstverwaltung ist bereit, allen Angriffen zu widerstehen. Das lässt sich an der Haltung der Menschen deutlich sehen. Viele dachten, dass die Menschen während der Angriffe in Richtung der Grenzen fliehen würden, aber die Bevölkerung hat sich stark für die Selbstverwaltung eingesetzt und alle Pläne durchkreuzt.“