Die „Humanitäre Sicherheitsoperation“ im Flüchtlings- und Internierungslager Hol im Nordosten von Syrien wird fortgesetzt. Mit Abschluss des zweiten Einsatzstages sind bisher insgesamt 23 Personen, die verdächtigt werden, zum Führungskreis der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in dem Camp östlich von Hesekê zu gehören, festgenommen worden.
Die Offensive in Hol war am frühen Sonntagmorgen mit dem Ziel der Zerschlagung von IS-Strukturen, die die Reorganisierung der dschihadistischen Terrororganisation vorantreiben, eingeleitet worden. An dem Einsatz sind etwa 6.000 Sicherheitskräfte und Angehörige der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ beteiligt. Die internationale Koalition gegen den IS unterstützt die Operation durch Luftüberwachung.
Frisch ausgehobener Tunnel entdeckt
Wie vom Asayîş-Sprecher Ali Hassan (Innere Sicherheitskräfte im Autonomiegebiet) zu erfahren war, ist die Durchsuchung von Sektor eins des Camps am Montagabend abgeschlossen worden. Bei den Razzien sei zahlreiches „technisches Equipment“ sichergestellt worden, in einem Zelt wurde ein frisch ausgehobener Tunnel entdeckt. Wohin die Unterführung führt, darüber machte Hassan keine Angaben.
Acht verschiedene Bereiche
Das Camp Hol besteht aus acht Bereichen. In den Bereichen eins, zwei und drei befinden sich Menschen aus Mosul und anderen Regionen im Irak, die 2014 vor dem IS geflohen sind. Im Bereich vier sind syrische Binnenvertriebene untergebracht. In den Bereichen fünf, sechs und sieben werden IS-Dschihadisten und ihre Angehörigen und im Bereich „Muhadschirat“ die Familien der ausländischen Dschihadisten festgehalten. Seit der Zerschlagung der Territorialherrschaft des IS im März 2019 wird das Camp insbesondere zur Unterbringung von Frauen und Kindern benutzt, die zuvor in Gebieten unter Kontrolle des IS lebten
Verletzte Schutzsuchende gefunden
„Darüber hinaus sind unsere Kräfte bei den Durchsuchungen der Zelte auf eine Vielzahl Flüchtlinge mit verschiedenen Verletzungen gestoßen. Sie gaben an, bei Übergriffen von IS-Schläferzellen verletzt worden zu sein. Aus Furcht vor weiteren Racheangriffen hätten sie es vermieden, das Sicherheitspersonal und Gesundheitsstationen aufzusuchen“, so Hassan. Im Rahmen der Zählung von Bewohnerinnen und Bewohnern seien die Ausweisdokumente von insgesamt 4.086 Frauen, Männern und über 15-Jährigen erneuert worden.
Mazlum Abdi: Länder sollen ihre Bürger zurücknehmen
Camp Hol gehört zu den gefährlichsten Orten der Welt und gilt als Symbol für die Verweigerung der internationalen Gemeinschaft, Verantwortung für die IS-Familien zu übernehmen. Seit Jahresbeginn sind mindestens 47 Menschen in dem Lager vom IS ermordet worden. Das mit über 62.000 Menschen vollkommen überbelegte Camp, in dem sich neben Flüchtlingen zehntausende Familienangehörige von IS-Dschihadisten aus 52 Nationen befinden, ist schon länger außer Kontrolle. Die von den türkischen Angriffen gebeutelte Selbstverwaltung wird mit der Versorgung und Kontrolle weitgehend allein gelassen, internationale Regierungen übernehmen nur in den seltensten Fällen Verantwortung für ihre Staatsbürger oder dessen Kinder. So kommt es nicht von ungefähr, dass das Lager als neue heimliche IS-Hauptstadt gilt und IS-Gesetze und Strafen auf brutalste Weise von Untergrundmilizen durchgesetzt werden.
Im Hinblick darauf hat der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, am Montag erneut an die Herkunftsländer der Internierten in Hol appelliert, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Außerdem fordert Abdi mehr humanitäre Unterstützung, um die IS-Gefahr zu bannen. Dazu müsse die Selbstverwaltung in den Themenfeldern Sicherheit, Politik, Wirtschaft und Aufbau unterstützt werden.
IKRK-Präsident: Politische Divergenzen verhindern Lösung für Hol
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, bezeichnete Camp Hol am Montag als einen „Ort, an dem die Hoffnung stirbt“. In dem Lager spiele sich eine große, „wenn nicht sogar die größte Kinderschutzkrise unserer Zeit ab“, sagte Maurer bei der Vorstellung eines Berichts über seine jüngste Syrien-Reise, die den Diplomaten auch nach Hol führte, in Genf. Es sei ein Skandal, dass die internationale Gemeinschaft es zulasse, dass das Lager und die dortige Situation weiterbestehen. „Die Gründe sind nicht etwa unüberwindbare humanitäre Probleme, sondern politische Divergenzen, die verhindern, dass eine dauerhafte Lösung für diejenigen gefunden wird, die im Nordosten Syriens gestrandet sind”, sagte Maurer. Die Staatengemeinschaft müsse sich endlich zusammenzuschließen, um praktische Lösungen für die Menschen in Camp Hol zu finden.