Der türkische Staat hält weite Teile Nord- und Ostsyriens besetzt. Die besetzten Gebiete sind durch Provinzgouverneure de facto an die türkische Administration angebunden und werden von den durch die Türkei befehligten Milizen beherrscht. Diese Gruppen bestehen zum Großteil aus den Überresten des IS, der ehemaligen Al-Nusra-Front, aber auch aus ganzen Dschihadistenmilizen wie Ahrar al-Sham oder Faylaq al-Sham. Unter ihnen kommt es regelmäßig zu Kämpfen um Beute, Territorium oder Plündergut. Es herrscht ein Klima des Schreckens. Entführungen, Folter und extralegale Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Diese Verhältnisse führen dazu, dass immer mehr der ursprünglichen Bewohner die Region verlassen müssen. An ihrer Stelle werden loyale Siedler untergebracht.
Assimilationspolitik in kurdischen Dörfern
Die verbliebene kurdische Bevölkerung wird zur Assimilation gezwungen. So liegen Berichte aus al-Bab und Cerablus vor, in denen von Zwangsversammlungen der Dorfbevölkerung durch den türkischen Geheimdienst MIT die Rede ist. Auf diesen Versammlungen wird unter dem Motto „Bildung“ den Einwohnern der Region eingetrichtert, sie seien gar keine Kurden, sondern eigentlich Turkmenen. Die jungen Leute werden gezwungen, sich den rechtsextremen oder islamistischen „turkmenischen“ Milizen anzuschließen. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere die Sulaiman-Shah-Brigade, die Sultan-Murad-Brigade und die dschihadistische „Islamische Partei Turkestan” eine wichtige Rolle.
IS-Dschihadisten mit türkischen Ausweisen
Auch gefangene IS-Dschihadisten berichteten immer wieder über die Aktivitäten von IS-Mitgliedern im Dienste der Besatzungstruppen in der Region. Dabei kommt es nicht selten zu schweren Übergriffen gegen die Bevölkerung. Am 18. November war es in al-Bab zu heftigen Protesten gegen solche Übergriffe gekommen.
Erzwungene Teilnahme an Türkisch-Unterricht
Geheimdienstvertreter setzen die Bevölkerung unter Druck, der berüchtigten Miliz „Islamische Partei Turkestan“ beizutreten. Gleichzeitig wird versucht, die kurdische und arabische Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen. In den Schulen, über denen türkische Fahnen wehen und Bilder Erdoğans hängen, wird zwangsweise Türkisch unterrichtet. Die türkische Lira wurde als Währung in der Region obligatorisch eingeführt.
Siedlungspolitik um Efrîn
Im vergangenen Jahr wurde außerdem ein turkmenischer Gürtel von Efrîn-Şera bis Efrîn-Bilbilê geschaffen. Dazu wurden loyale turkmenische Siedler aus Ost-Ghouta und anderen Regionen Syriens dort angesiedelt.
Kämpfe unter den Besatzungstruppen
Manche Dschihadistenmilizen, die jahrelang der Türkei treu an vorderster Front gedient haben, beginnen in letzter Zeit, Befehle zu verweigern und zu protestieren. Unter diesen Gruppen sind die SNA-Milizen Ahrar al-Sarqiya und Jaysh al-Sharqiya. Beide Gruppen befinden sich auf internationalen Terrorlisten und sind seit Jahren für schwerste Kriegsverbrechen verantwortlich. Der türkische Staat versucht die Gruppen loszuwerden, indem er sie zur Unterstützung des Muslimbruder-Regimes nach Libyen schickt. Viele Mitglieder dieser Milizen sind aber nicht bereit, in den aussichtslosen Kampf gegen den von Russland hochgerüsteten General Haftar zu ziehen, und stellen sich mittlerweile gegen ihre türkischen Auftraggeber.
Der türkische Staat hat in Orten wie al-Bab, Efrîn und Azaz seinen turkmenischen Milizen den Auftrag erteilt, diese beiden Gruppen aufzulösen, da sie Befehle nicht befolgt hätten. Daher kommt es in den letzten Tagen zu heftigen Gefechten zwischen den Milizen. Vor diesem Hintergrund ist auch der schwere Tanklastwagen-Anschlag vor wenigen Tagen in Efrîn zu verstehen, bei dem mehr als 40 Zivilist*innen starben. Auch in al-Bab, Cerablus und Efrîn kommt es immer wieder zu stundenlangen Gefechten.
Annexion wird vorbereitet
Hüseyin Velo aus al-Bab appelliert an die internationale Gemeinschaft, endlich etwas gegen die unmenschliche Politik der Türkei in der Region zu unternehmen: „Den Kurden und Arabern hier in der Region wird eine turkmenische Identität aufgezwungen. Es soll genau das gleiche wie damals in Hatay geschehen.“ Die demografische Struktur sei bereits zu Gunsten der Türkei verändert worden. Alle Personen, die sich als Turkmenen identifizieren, erhielten einen Arbeitsplatz, während die übrigen zum Hungern verurteilt seien.