Warum der Krieg schon längst begonnen hat!

Internationalistinnen in Rojava teilen angesichts der zugespitzten Situation ihre Eindrücke vor Ort: „Der Krieg ist schon da, wir müssen nicht mehr auf ihn warten. Er ist bereits vor unserer Haustür.“

Die aktuellen Ereignisse in Rojava und Nord-Ostsyrien spitzen sich weiter zu. Wir sind einige Internationalistinnen, die seit einiger Zeit hier vor Ort sind, und unsere Eindrücke in dieser momentanen Situation mit euch teilen wollen.

Seit einigen Wochen spricht Erdoğan wieder verstärkt davon, Nord-Ostsyrien angreifen zu wollen. Diese Drohungen werden immer konkreter. Heute haben die USA und die Türkei nach Verhandlungen eine gemeinsame Durchsetzung der lang diskutierten Sicherheitszone in Nordsyrien verkündet. Unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß diese „Sicherheitszone“ verwirklicht werden soll, ist weiterhin unklar. Die türkische Armee hat ihre Kräfte entlang der Grenze immens verstärkt und ist jeden Moment bereit für einen Angriff. Die USA hat bereits zahlreiche Militärbasen innerhalb Nordsyriens. Was genau wird nun passieren?

Faschistisches Projekt der Türkei

Wenn wir uns die Erfahrungen aus Afrin und die aktuelle Lage in den Bergen Kurdistans, sowie auch anderen Teilen Başurs (Nordirak) anschauen, wird deutlich, dass es sich nicht nur um einen Krieg in Nord-Ostsyrien handelt, sondern um ein weit größeres faschistisches Projekt der Türkei unter Unterstützung anderer imperialistischer Kräfte. Diese Angriffe an anderen Orten Kurdistans dienen dazu, Rojava zu schwächen und die zu erwartenden Angriffe auf Nord-Ostsyrien vorzubereiten. Das Ziel ist neben der neo-osmanischen Expansionspolitik Erdoğans vor allem die Zerstörung der Selbstverwaltungsstrukturen sowie der autonomen Organisierung der Frauen.

Rojava: Lange Zeit ein Zufluchtsort

Aber was bedeutet die Situation für die Menschen hier? Es werden keine Gebiete einfach aufgegeben werden. Wenn die Türkei den Norden Syriens besetzen will, dann wird die Bevölkerung Widerstand leisten und es wird einen großen Krieg geben. In Gesprächen mit den Menschen hier wird noch einmal deutlich, dass viele Menschen bleiben werden, egal was nun passiert. Besonders für Menschen, die vorher aus Afrin vertrieben wurden, ist klar, dass sie ihren Lebensraum nicht ein weiteres Mal verlassen wollen. Es ist auch klar, dass die angespannte politische Situation, die größtenteils auf der Ebene internationalen Kräftemessens ausgehandelt wird, sich vor allem auf die hier lebenden Menschen auswirkt. Die drohenden Angriffe sind in jedem unserer momentanen Gespräche präsent. Viele Leute machen sich Sorgen, dennoch werden sie Widerstand leisten. Neben der Möglichkeit der Zerstörung des basisdemokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Projekts der Demokratischen Konföderation Nord-Ostsyrien würde der Krieg bedeuten, dass viele Menschen sterben, ihre Häuser zerstört und sie ihre Lebensgrundlage verlieren würden. Besonders Rojava war lange Zeit für viele Menschen einer der wenigen Zufluchtsorte vor Angriffen des IS und anderen zerstörerischen Kräften. Zuflucht kann ein Kriegsort kaum mehr sein.

Ein Angriff auf uns alle

Auch das Zusammenleben und die gemeinsame Organisierung von Menschen verschiedenster Bevölkerungsgruppen und Religionen sind in Gefahr. Es könnte bedeuten, dass die Lebensgrundlage einer gesamten Bevölkerung genommen und diese für den Mittleren Osten und die ganze Welt richtungsweisende Alternative zur imperialistischen Teile-und-Herrsche-Politik zerstört wird.

Dies ist ein Angriff auf uns alle. Auf uns, die sich in voller Hoffnung auf ein alternatives Leben an unterschiedlichen Orten dieser Welt organisieren. Auf uns, die tagtäglich für die Realisierung einer Utopie, einer anderen Welt und eines anderen Lebens kämpfen. Es ist ein Angriff auf das Leben an sich und auf die Menschlichkeit.

Wofür wir kämpfen wollen

Es ist auch ein weiterer Angriff des Patriarchats auf feministische Kämpfe und die gesellschaftliche Befreiung der Frau. Es wird versucht, einer Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Selbstbestimmung von Frauen als ihre Grundlage zu nehmen, zu zerstören. In unserer Zeit hier haben wir so viele Frauen getroffen, welche sich mit ihrer Liebe und ihrer Energie am Aufbau der selbstverwalteten (Frauen-)strukturen beteiligen und sich damit gemeinsam stärken und befreien.

Das, und vieles mehr ist es, wofür wir kämpfen wollen.

Lasst uns nicht warten

Der Krieg ist schon da, wir müssen nicht mehr auf ihn warten. Er ist bereits vor unserer Haustür.

Lasst uns weiter unsere Beziehungen ausbauen und unsere Kämpfe miteinander verbinden. Lasst uns selber aktiv werden, Menschen dazu anhalten nicht mehr wegzuschauen und die Infos einfach über sich ergehen zu lassen. Seid aktiv auf eure eigene Art und Weise und handelt. Dabei heißt handeln nicht nur reagieren, sondern auch aufbauen. Lasst uns nicht warten! Lasst uns gemeinsam kämpfen, hier in Rojava, in Deutschland, in Europa, an allen Orten der Welt!