Die Türkei beginnt - ähnlich wie in Dscharablus, Efrîn, Azaz und al-Bab - die Annexion von Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) zu institutionalisieren. Abdullah Erin, der Gouverneur der nordkurdischen Provinz Riha (Urfa), hat auf einer gestrigen Pressekonferenz die Ernennung von türkischen Beamten als Landräte in Serêkaniyê und Girê Spî bekanntgegeben. Aus den beiden Städten und dem Umland an der türkischen Grenze sind zuvor etwa 300.000 Menschen vom AKP-Regime vertrieben worden. Der türkische Staat siedelt jetzt Personen aus verschiedenen Gebieten an Stelle der geflüchteten Bevölkerung dort an.
Aufbau einer Besatzungsverwaltung
Der Gouverneur von Riha erklärte auf der Pressekonferenz: „Die Versorgung mit Trinkwasser, Energie, Medizin und Infrastruktur hat begonnen und die Menschen kehren schnell nach Hause zurück.“ Er räumte ein, dass der türkische Staat eine dauerhafte Präsenz in der Region plant.
Am gleichen Tag erklärte Hami Aksoy als Sprecher des türkischen Außenministers: „Wir behalten uns das Recht vor, die Operation Friedensquelle fortzusetzen. Wie unser Präsident gesagt hat, werden wir Syrien nicht verlassen, bis es nicht vom letzten Terroristen gesäubert ist.“
Die aktuelle Phase ist durchaus mit den Geschehnissen 1938 in Hatay vergleichbar. Damals wurde die Region zuerst auf Druck der Türkei zu einem „unabhängigen Staat“ erklärt und anschließend von der Türkei annektiert. Der Annexion war eine massive Siedlungspolitik vorausgegangen, um ein Referendum über die Einverleibung Hatays zu gewinnen. In Nordsyrien findet nun ein ähnlicher Prozess statt. Das AKP-Regime versucht, „Turkmenen“ von überall aus der Welt in Girê Spî und Serêkaniyê anzusiedeln.
Ansiedlung von „Turkmenen“
In diesem Zusammenhang fand am 24. Oktober 2019 im türkisch besetzten Azaz ein Treffen unter dem Namen „5. Kongress des Rats der Turkmenen in Syrien“ statt. Der türkische Staat rief auf dieser von ihm organisierten Zusammenkunft die „Turkmenen“ zur „Rückkehr“ in die besetzten Gebiete auf. An dem Treffen nahm auch der stellvertretende türkische Außenminister Yavuz Selim Kıran teil. Er erklärte dort: „Die Turkmenen müssen weiter gestärkt werden. Wir werden weiterhin unseren entschlossenen Kampf dafür fortsetzen, ihnen hier ein sicheres Gebiet zur Verfügung zu stellen und dieses Gebiet den wahren Besitzern der Region und den Vertriebenen zurückzugeben.“
Der Vorsitzende des von der Türkei kontrollierten „Rats der Turkmenen in Syrien“, Muhammed Vecih Cuma, erklärte: „Wenn es ein sicheres Gebiet gibt, sind wir bereit, sehr schnell und in Massen in unser Heimatland zurückzukehren. Wir sind bereit, unser Schicksal in die Hand zu nehmen.“
Die sogenannte Übergangsregierung
Der türkische Staat hat eine „Syrische Übergangsregierung“ gebildet, an deren Spitze Abdulrahman Mustafa steht. Diese Übergangsregierung legitimierte die Verbrechen der Sultan-Murad-Brigade mit der Behauptung, die Kritik resultiere aus der Beunruhigung der internationalen Gemeinschaft über ihren Erfolg.
Vier Parteien vereint
Der türkische Parlamentspräsident Mustafa Şentop sandte eine Gratulationsbotschaft an das Treffen, auf dem die Nationale Turkmenische Partei Syriens, die Syrisch-Turkmenische Massenpartei, die Syrisch-Turkmenische Nahda-Partei und die Vefa-Partei das genannte Bündnis schmiedeten. An der Sitzung haben Delegierte aus Aleppo, Latakia, Tartous, Idlib, Hama, Homs, Damaskus, Golan und Raqqa teilgenommen. Auf dem Treffen wurde die Abgrenzung „turkmenischen“ Territoriums in Syrien diskutiert, sogar eine Fahne und eine Hymne wurden verbreitet
Die Milizen des türkischen Staates
Der türkische Staat stationierte an strategischen Stellen im nordsyrischen Grenzgebiet Gruppen, die behaupten, sich aus „Turkmenen“ zusammenzusetzen. Dabei handelt es sich um die Sultan-Murad-Brigade, die Sultan-Suleiman-Shah-Brigade, die Fatih-Sultan-Mehmet-Brigade, die Muntassir-Billah-Brigade und die Samarkand-Brigade. Die aus Arabern bestehenden Gruppen werden hingegen an die Front geschickt, um gegen die Völker Rojavas zu kämpfen und die Kurden zu vertreiben.
Die Mehrheit der Mitglieder der an der Grenze stationierten Gruppen kommt aus Usbekistan, Turkmenistan, Turkistan, Tadschikistan oder stammt wie die Uiguren aus Zentralasien oder dem Kaukasus. Sie wurden aus diesen Regionen nach Syrien gebracht und werden an der Grenze angesiedelt. Diese Gruppen befinden sich im Moment in Idlib, Jabal Akrad, Jabal Turkman, am Grenzübergang Bab al-Hawa, in Ayntarib, in den Landkreisen Cindirês, Raco, Bilbilê und Şera in Efrîn, sowie am Grenzübergang Bab al-Salama in Azaz. Inzwischen setzt der türkische Staat diese Gruppen auch östlich des Euphrat ein und hat bereits damit begonnen, sie in dem fünf Kilometer breiten Streifen an der Grenze sowie in Girê Spî und Serêkaniyê anzusiedeln. Die Grenzposten von Girê Spî und Serêkaniyê wurden bereits an diese Milizen übergeben.
Umsiedlung von Menschen aus Zentralasien nach Rojava
Bereits wenige Wochen nach der Besetzung von Serêkaniyê und Girê Spî hat die „Türkisierung“ der Region begonnen. Nach aktuellen Informationen hat die Generaldirektion der türkischen Migrationsbehörde begonnen, die Umsiedlung von Familien aus den „Turkstaaten“ in Zentralasien in die beiden nordsyrischen Städte vorzubereiten.
In Istanbul, Hatay, Dîlok (Antep) und Riha hat die Generaldirektion für Migration, koordiniert vom türkischen Geheimdienst MIT, damit begonnen, in Unterbringungen für Geflüchtete die Umsiedlung in den besetzten Korridor von Serêkaniyê nach Girê Spî vorzubereiten.
Nach aktuellen Informationen trifft sich der MIT mit radikalen Islamisten, die aus sogenannten Turkstaaten wie Ostturkestan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Aserbaidschan und sogar aus Afghanistan in die Türkei migriert sind, um sie von der Umsiedlung zu überzeugen.