Einem Hilfskonvoi des Kurdischen Roten Halbmonds (KRC) ist es seit Samstag nicht gelungen, die nordsyrische Provinz Aleppo zu erreichen. Das Regime mache es dem Konvoi aus zwei medizinischen Ambulanzen und mehreren Lastwagen unmöglich, in die vom Erdbeben schwer getroffene Region zu gelangen, teilte die Organisation mit. Aus Damaskus habe es zur Begründung geheißen, die Kolonne dürfe nur gegen die Überlassung von Hilfsmitteln und einem Krankenwagen nach Aleppo hineinfahren. Andernfalls werde es keine Durchfuhrgenehmigung geben. „Assad nutzt Nothilfe als politisches Instrument“, kritisiert Fee Baumann von „Heyva Sor a Kurd“ .
Zelte, Decken, Medikamente, Lebensmittel
Seit dem frühen Sonnabendnachmittag harren freiwillige Helferinnen und Helfer des Kurdischen Roten Halbmonds, medizinisches Personal und ein Suchteam vor Aleppo aus, um dringend benötigte Hilfsgüter wie Zelte, Decken, Medikamente, Lebensmittel und Wasser in das Katastrophengebiet zu bringen und Unterstützung bei Bergungs- und Rettungsmaßnahmen zu leisten. Die Hilfsgüter sind für Opfer in Aleppo, die auf lebenswichtige medizinische Versorgung angewiesen sind, sowie den angrenzenden Kanton Şehba vorgesehen, wo Tausende Familien aus den kurdischen Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê auf dringende Hilfe warten.
Bereits zweiter blockierter Hilfskonvoi
Es handelt sich bereits um den zweiten Konvoi aus dem Gebiet der nordostsyrischen Autonomieverwaltung, dem der Zugang in das Erdbebengebiet durch das Regime verweigert wird. Die erste Kolonne, zu der auch dutzende Tankwagen mit Kraftstoff gehören, wartet seit Donnerstag auf eine Genehmigung für die Durchfuhr. Auch hier werden die Behörden der Selbstverwaltung unter Druck gesetzt, einen Teil der Hilfsmittel an das Regime abzugeben. Die KRC-Partnerorganisation Cadus mit Sitz in Berlin, eine der wenigen internationalen Einrichtungen, die im Nordosten von Syrien Katastrophenhilfe leistet, zeigte sich entsetzt über die Blockade der Hilfslieferung nach Aleppo und Şehba. „Humanitäre Hilfe sollte ungehindert fließen können und nicht Gegenstand politischer Querelen und opportunistischer Versuche sein, vom Leid anderer zu profitieren“, sagte eine Sprecherin. „Wir fordern, dass der gesamte Konvoi und alle, die noch folgen, weiterfahren dürfen!“
Haltung der syrischen Führung „inakzeptabel“
Das fordert auch Fee Baumann. Die Haltung der syrischen Führung sei „inakzeptabel“, die Hilfe sei dringend nötig, so die internationale Mitarbeiterin von Heyva Sor a Kurd. Die Situation erfordere ein äußerst dringendes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, zumal auch alle anderen im Nordosten des Landes aktiven Hilfsorganisationen mit denselben „Auflagen“ belegt worden seien. Der Hilfskonvoi hat indes die Nacht in der Nähe des letzten Checkpoints auf dem Gebiet der Selbstverwaltung, etwa fünfzig Kilometer vor Aleppo verbracht. Man hoffe, es am Sonntag noch einmal probieren zu können, damit der Konvoi durchkommt und den Erdbeben-Betroffenen geholfen werden könne.
Zahl der Toten auf mehr als 28.000 gestiegen
Im türkisch-syrischen Grenzgebiet ereignete sich am Montag eine der schwersten Erdbebenkatastrophen der letzten Jahrzehnte, die verursachte Zerstörung hat apokalyptische Ausmaße. Zehntausende Menschen sind gestorben, Abertausende wurden verletzt, unzählige werden vermisst. Die Zahl der Todesopfer ist in beiden Ländern auf mehr als 28.000 gestiegen. Allein in der Türkei wurden inzwischen 24.617 Opfer geborgen, wie die Behörden in der Nacht mitteilten. Mindestens 3.574 Menschen starben nach offiziellen Angaben auf der anderen Seite der Grenze, Hilfsorganisationen gehen von weit mehr Toten aus.
Mindestens 200.000 Menschen in Aleppo obdachlos
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet mit 26 Millionen Erdbeben-Betroffenen und unzähligen Obdachlosen. In Syrien haben rund 5,3 Millionen Menschen durch das Erdbeben ihr Zuhause verloren. Allein in Aleppo wurden vorsichtigen Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen obdachlos. Nicht mit eingerechnet sind die Bewohnerinnen und Bewohner von Şêxmeqsûd und Eşrefiyê, die aus Angst vor Nachbeben nach Şehba geflohen sind. Bis Samstagfrüh zählte die Selbstverwaltung rund 2.500 Familien aus Aleppo, die in der wüstenähnlichen und mit einem Embargo des Regimes belegten Region untergekommen sind.