Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (UN) hat die Reaktion des syrischen Regimes auf die Erdbeben im Februar scharf kritisiert. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad habe bei der raschen Bereitstellung lebensrettender Hilfe für die Opfer umfassend versagt, sagte Paulo Pinheiro, Vorsitzender der Kommission, am Montag in Genf.
Unmittelbar nach dem Erdbeben Anfang Februar in der türkisch-syrischen Grenzregion habe die Führung in Damaskus eine ganze Woche benötigt, um grenzüberschreitende Hilfe aus der Türkei zu genehmigen, kritisierte die Untersuchungskommission, die im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates arbeitet. Es stünden zudem Vorwürfe im Raum, wonach sowohl das Regime als auch Extremistengruppen die grenzüberschreitende Hilfe für die betroffenen Gebiete absichtlich behindert oder verweigert hätten, sagte Kommissionsmitglied Hanny Megally. Dazu zählte etwa der syrische Al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der die Provinz Idlib und weite Teile des ehemaligen kurdischen Kantons Efrîn im Nordwesten des Landes beherrscht.
UN beklagen andauernde Gewalt in Syrien
Die Kommission warf jedoch auch der internationalen Staatengemeinschaft Versäumnisse vor. Die Syrerinnen und Syrer hätten sich von denjenigen verlassen und vernachlässigt gefühlt, die sie in ihrer Not beschützen sollen, heißt es in dem Bericht. Versäumnisse warf Pinheiro aber auch direkt den UN vor. Der Organisation sei es auch nach zwölf Jahren Krieg in Syrien nicht gelungen, einen Waffenstillstand auszuhandeln, kritisierte er und beklagte die andauernde Gewalt durch das syrische Regime sowie andere „Konfliktparteien“.
Dass der Flughafen von Aleppo nach einem Luftangriff Israels vor knapp einer Woche zeitweise außer Betrieb genommen wurde, war laut den UN für die humanitäre Hilfe „ziemlich kritisch“. „Diese Art von Aktionen trägt auch nicht dazu bei, das Wohlergehen und die Interessen der Zivilbevölkerung nach diesem schrecklichen Ereignis zu schützen“, sagte UN-Expertin Lynn Welchman und sprach von Bombardements anderer Konfliktparteien, die ebenfalls nicht „hilfreich“ seien.
Damit dürften unter anderem Luft- und Bodenangriffe der Türkei gemeint sein, die sich gegen Katastrophengebiete in der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens gerichtet hatten. Die Kommission fordert in ihrem Bericht eine Einstellung aller Gewalt und teilte mit, diese Angriffe zu untersuchen. Geprüft würden zudem weiterhin willkürliche Inhaftierungen, Folter und Entführungen durch das syrische Regime sowie durch extremistische Milizen. Die Experten gingen zudem Berichten nach, denen zufolge HTS Zivilpersonen von Erschießungskommandos hinrichten lässt.
Über 15 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen
Die Vereinten Nationen schätzen, dass rund fünf Millionen Menschen im syrischen Teil des Erdbebengebiets eine Grundversorgung mit Unterkünften und anderen Hilfsgütern benötigen. Bereits vor den Erdbeben vom 6. Februar seien mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen – mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn des Krieges vor zwölf Jahren.