Salih Muslim: Öcalans Rolle darf nicht ignoriert werden

„Dass Abdullah Öcalan eine maßgebliche Rolle für die Lösung der Probleme Syriens und des Mittleren Ostens spielt, ist auch unser ausdrücklicher Wunsch“, erklärt Salih Muslim, Sprecher der Partei der demokratischen Einheit (PYD).

Nach einem Appell des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan haben tausende politische Gefangene und Aktivist*innen vor drei Tagen ihren Hungerstreik gegen die Haftbedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali eingestellt. Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hatte in einem Brief erklärt, das Ziel des Hungerstreiks sei erreicht, nachdem die Regierung seinen Anwälten wieder Besuche im Gefängnis gestattet hatte. In dem von Öcalan handschriftlich verfassten Appell, der am Sonntag von seinem Verteidigerteam im Rahmen einer Pressekonferenz in Istanbul verlesen wurde, heißt es: „Ich kann mit Gewissheit sagen, dass der auf meine Person gerichtete Zweck eurer Aktion sein Ziel erreicht hat.”

Die Anwälte äußerten sich zudem zum letzten Gespräch mit ihrem Mandanten, das am 22. Mai stattfand. Demnach hat Öcalan angeboten, eine positive Rolle für die Lösung der Probleme in Syrien - einschließlich der kurdischen Frage - im Rahmen eines vereinten Syriens zu spielen, sofern ihm die Gelegenheit geboten wird. Öcalan betonte außerdem, dass seine Ideen und Lösungsvorschläge die Probleme in Syrien lösen könnten und unterstrich die Notwendigkeit, dass die Grundrechte der Kurden und aller anderen Völker Syriens verfassungsmäßig garantiert werden müssten.

„Dass Abdullah Öcalan eine maßgebliche Rolle für die Lösung der Probleme Syriens und des Mittleren Ostens spielt, ist auch unser ausdrücklicher Wunsch“, erklärte nun Salih Muslim, Sprecher der Partei der demokratischen Einheit (PYD), im ANHA-Interview. Der von Leyla Güven initiierte Widerstand gegen die Isolation sei historisch. „Dieser Widerstand hat bewirkt, dass der türkische Staat seine eigenen Gesetze umsetzt“, so Muslim weiter.

„Wir kämpfen für eine demokratische Nation“

Öcalan gehe es um die Verteidigung des rechtmäßigen Anspruchs der Völker. „Sein Paradigma ist ein Erbe an die Völker des Mittleren Ostens. Aus diesem Grund bezeichnen ihn die Menschen der Region als Repräsentanten der Völker. Wir haben uns das Paradigma Öcalans angeeignet. Um das Erbe aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, die Verteidigung des in Nord- und Ostsyrien umgesetzten Projekts der Demokratischen Nation zu gewährleisten. Im gleichen Sinne müssen die Grundrechte der Völker garantiert werden. Unser gesamter Kampf gilt diesem Ziel. Die Botschaft Abdullah Öcalans behandeln wir in diesem Rahmen“, erklärte Muslim.

„Öcalan kann das Ruder herumreißen“

Der 68-jährige Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass Öcalan eine aktive Rolle bei der Lösung der Probleme in Syrien spielen wird, sollte er die Möglichkeit erhalten. „Alle Staaten, die bisher vermeintliche Versuche unternommen haben, die Probleme Syriens zu lösen, handelten nach ihren eigenen Interessen. Diese Tatsache stellt ein Hindernis für die Entwicklung von Lösungen dar. Doch Öcalan kann mit seinen demokratischen Ideen, Bewertungen und Vorschlägen das Ruder herumreißen“, ist sich Muslim sicher.   

„Für eine nachhaltige Lösung darf die Rolle Öcalans nicht ignoriert werden“

Die Aktionen und Proteste für die Aufhebung der Isolationspraktiken auf Imrali hätten gezeigt, dass das Herz des kurdischen Volkes auf Imrali schlägt, betonte Muslim. „Insofern sollten alle, die sich nach einer nachhaltigen Lösung und Stabilität in Syrien und dem Mittleren Osten sehnen, die Rolle Öcalans nicht ignorieren“, forderte Muslim.  

Im Gegensatz zur Türkei berücksichtige Nord- und Ostsyrien sicherheitsrelevante Bedenken der Nachbarstaaten. Gleiches erwarte man von Ankara. Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen Hamili Yıldırım, Ömer Hayri Konar und Veysel Aktaş hatten in einem am 6. Mai vorgestellten Sieben-Punkte-Papier auf die dringende Notwendigkeit demokratischer Verhandlungen für die Lösung der gesellschaftlichen Fragen in der Türkei und im Mittleren Osten hingewiesen. Nicht durch Krieg, sondern durch „Soft power”, also mit Intelligenz und politischer und kultureller Stärke, statt mit physischer Gewalt, sollten die Probleme in der Region angegangen werden. In der Erklärung gehen die vier auch zur Situation in Nordsyrien ein und äußern ihre Hoffnung, dass dort die politische Frage mittels Verhandlungen, durch verfassungsrechtlich garantierte Rechte und auf Grundlage eines dezentralen Staatsmodells gelöst werden. Für die Lösung der Probleme bestehe ein starker Bedarf an einer Methode demokratischer Verhandlungen, jenseits jeglicher Polarisierung und Konfliktkultur.

„Für die Türkei ist der beste Kurde weiterhin der tote Kurde“

Der Vorschlag der Imrali-Gefangenen sei eine deutliche Botschaft an die türkische Regierung, kommentierte Salih Muslim. „Weder haben wir jemals versucht, einen Staat anzugreifen, noch haben wir Feindseligkeiten akzeptiert. Doch die Türkei handelt weiterhin nach ihrem Prinzip ‚Der beste Kurde ist der tote Kurde‘. Diese Mentalität sollte endlich aufgegeben und der Wille des kurdischen Volkes respektiert werden. Die Angriffe des türkischen Staates, die Besatzung in Nordsyrien und die andauernden Drohungen verdeutlichen, dass unsere Bedenken von der Türkei mit Füßen getreten werden“, sagte Muslim.