Öcalan: Ich erwarte ein Ende des Hungerstreiks
Abdullah Öcalan ruft in einem direkten Brief an die Aktivist*innen im Hungerstreik und im Todesfasten dazu auf, die Aktion zu beenden.
Abdullah Öcalan ruft in einem direkten Brief an die Aktivist*innen im Hungerstreik und im Todesfasten dazu auf, die Aktion zu beenden.
Die Rechtsanwält*innen des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan haben auf einer Pressekonferenz in Istanbul einen Brief ihres Mandanten vorgetragen, den dieser an die Aktivist*innen gerichtet hat, die sich im Hungerstreik und im Todesfasten befinden. In dem Brief heißt es:
„Werte Genossinnen und Genossen,
Im Rahmen der Ausführungen meiner beiden Anwält*innen rufe ich alle Freund*innen, die sich im Hungerstreik und im Todesfasten befinden, dazu auf, ihre Aktion zu beenden. Ich kann mit Gewissheit sagen, dass der auf meine Person gerichtete Zweck eurer Aktion sein Ziel erreicht hat. Ich möchte euch hierfür meine Liebe und meinen Dank zum Ausdruck bringen.
Ich hoffe ausdrücklich, dass ihr mich auch fortan mit der notwendigen Intensität und dem erforderlichen Willen begleiten werdet.
Mit unendlicher Liebe und Grüßen
22. Mai 2019, Gefängnis Imrali
Abdullah Öcalan“
Die türkische Regierung hat die Totalisolation von Abdullah Öcalan ein Stück weit aufgeweicht, seit einigen Wochen dürfen ihn seine Anwälte wieder besuchen. Eine der Hauptforderungen der Hungerstreikenden ist damit erfüllt. Es wird erwartet, dass alle Hungerstreiks eingestellt werden. Zu dem letzten Mandantengespräch auf der Gefängnisinsel Imrali hat das Verteidigerteam Abdullah Öcalans im Rahmen der heutigen Pressekonferenz eine umfassende Erklärung abgegeben. Im Folgenden geben wir das Statement wieder:
„Herr Öcalan betonte noch einmal die Bedeutsamkeit des Textes, den er zuvor mit der Öffentlichkeit geteilt hatte. Er brachte seine Zufriedenheit zu den Diskussionen über das Papier mit sieben Punkten zum Ausdruck, das von unseren vier Imrali-Mandanten am 2. Mai 2019 gemeinsam verfasst wurde. Öcalan ist der Ansicht, dass das grundlegende Bedürfnis der Türkei eine Debatte über gesellschaftlichen Konsens, demokratische Politik, demokratische Verhandlungen und ein würdevoller Frieden ist. Er sagte auch, er werde seinen Teil dazu beitragen, diese Punkte zu den Grundwerten der türkischen Politik zu machen. Er fügte hinzu, dass sich jeder der Hoffnung und der Atmosphäre in der Türkei bewusst sei, die durch den Ansatz und die Haltung im Jahr 2013 entstanden sind, und dass es weitere Auseinandersetzungen mit der damals verfassten Newroz-Deklaration geben sollte.
Wie bei dem vorherigen Besuch (am 2. Mai) erinnerte Öcalan daran, dass diese Mandantenbesuche nicht zu bedeuten haben, dass wir einen Verhandlungsprozess durchlaufen. Er sagte, seine Botschaften richteten sich an alle demokratischen Kräfte, die politischen Strukturen aller Bereiche in der Türkei und an den türkischen Staat. Dazu erklärte er: ‚Wir werden in 30-40 Tagen sehen, wie diese Kreise reagieren werden.‘ Näher ging er nicht darauf ein.
Das Sieben-Punkte-Papier, das am 6. Mai vorgestellt wurde, stellt auch einen Grundriss für die Problemlösung hinsichtlich Rojava, Syrien und der Demokratischen Kräften Syriens dar. Öcalan wiederholte seine Meinung zu diesem Thema und sagte, dass er eine positive Rolle für die Lösung der Probleme in Syrien - einschließlich der kurdischen Frage - im Rahmen eines vereinten Syriens spielen würde, sofern ihm die Gelegenheit geboten wird. Er betonte, dass seine Ideen und Lösungsvorschläge die Probleme in Syrien lösen könnten und dass die Grundrechte der Kurden und aller anderen Völker verfassungsmäßig garantiert werden müssten.
Es ist eine grundlegende Notwendigkeit, diese Diskussionen auf eine Weise zu führen, die zu tiefgreifenden und historischeren Ergebnissen führt, statt sie in die gewöhnliche politische Agenda einzuspannen. In diesem Sinne möchten wir daran erinnern, dass die Türkei und der Mittlere Osten weitreichende Probleme haben. Auch Öcalan sagte, dass diese Probleme mit rationalen, politischen und kulturellen Ansätzen gelöst werden könnten.
Die Isolation auf Imrali ist nicht nur ein ernstzunehmendes juristisches Problem, sondern auch in politischer Hinsicht ein Phänomen, das das Klima des Friedens in der Türkei untergräbt. Das Land hat die positiven Auswirkungen Öcalans miterlebt, als er seine Rolle als politisches Subjekt teilweise wahrnehmen und seine Lösungen für grundlegende Probleme vorstellen konnte. In den letzten vier Jahren der verschärften Isolation gegenüber Öcalan haben Krieg, Chaos und Krise in der Türkei und in der Region zugenommen, und der Pessimismus hat über alle sozialen Strukturen geherrscht.
Obwohl Abdullah Öcalan seine Meinung nur in begrenztem Umfang mitteilen konnte, haben wir in den vergangenen 20 Tagen erkennen können, dass die Hoffnung für eine andere und neue Perspektive hinsichtlich der Problemlösung aufkeimt. Beim jüngsten Treffen stellten wir klar fest, dass unser Mandant seinen Standpunkt eines demokratischen Dialogs im Rahmen eines würdevollen Friedens beibehalten hat und er zuversichtlich ist, was die Zukunft betrifft.
In diesem Sinne möchten auch wir unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die demokratische Öffentlichkeit Verantwortung übernehmen und den Prozess mitverfolgen sollte, um die rechtswidrige Haltung zu überwinden, die seit vielen Jahren im gesamten Imrali-Gefängnis an den Tag gelegt wird. Um sicherzustellen, dass der gesetzliche Rechtsanspruch konflikt- und diskriminierungsfrei erfolgt, obliegt es sowohl der rechtlichen als auch moralischen Verantwortung der Verwaltungs- und Justizbehörden.
Obwohl im Rahmen des Besuchs mehrere Themen erörtert wurden, war der wichtigste Tagesordnungspunkt der Hungerstreik und das Todesfasten. Beides hat eine kritische Phase erreicht.
Abdullah Öcalan bedankte sich für den Willen und das Engagement der Aktivisten und äußerte, es sei eine ehrenvolle Haltung. Gleichzeitig brachte er seinen Dank und seine Hochachtung den Müttern, die während des Hungerstreiks nicht von den Straßen wichen, zum Ausdruck. Hiermit senden wir seine besonderen Grüße an die Mütter der hungerstreikenden Gefangenen.
Während des Gesprächs bestand Öcalan auf seiner Forderung nach Beendigung des Hungerstreiks und des Todesfasten und verwies darauf, dass diese Aktionen ihr Ziel erreicht hätten.
Nach diesem Anruf glauben wir, dass die Hungerstreikenden die Aktion beenden werden. Unser Mandant erklärte, dass ihre geistige, körperliche und psychische Gesundheit wichtiger als alles andere sei. In diesem Sinne sei die demokratisch-politische Widerstandskultur der Ansatz, der verfolgt werden sollte. Am Beispiel von Mahatma Gandhi sagte Öcalan, dass ein Hungerstreik im Rahmen eines gesellschaftlichen Kampfes bedeutsam ist.
In diesem Zusammenhang schrieb Öcalan einen Brief an die Hungerstreikenden. Er bat darum, diesen Brief mit ihnen zu teilen. Diesen Brief, der uns nach dem Gespräch übergeben wurde, legen wir nun vor. Er wurde von Öcalan handschriftlich verfasst und unterzeichnet.“