Armenisches Bataillon gedenkt Genozid-Opfern
In Gedenken an die Opfer des Genozids an den Armeniern, der sich heute zum 105. Mal jährte, fand in Rojava eine vom armenischen Bataillon „Şehîd Nubar Ozanyan“ ausgerichtete Zeremonie statt.
In Gedenken an die Opfer des Genozids an den Armeniern, der sich heute zum 105. Mal jährte, fand in Rojava eine vom armenischen Bataillon „Şehîd Nubar Ozanyan“ ausgerichtete Zeremonie statt.
Heute ist der 105. Jahrestag des Beginns des Völkermords an den Armeniern. Aus diesem Anlass hielten Kämpferinnen und Kämpfer des armenischen Bataillons „Şehîd Nubar Ozanyan“ in Rojava zu Ehren der fast 1,5 Millionen Opfer, die der Genozid unter Verantwortung der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reichs forderte, eine Militärzeremonie ab.
An dem Gedenken, das vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nicht öffentlich, sondern im engsten Kreis der Kämpfer*innen stattfand, nahmen auch Mitglieder von TKP-ML/TIKKO, Têkoşîna Anarşîst (TA), MLKP sowie die militärischen Verbände aus der vorwiegend christlich besiedelten Stadt Til Temir im Nordosten Syriens teil. Auch Aktivist*innen des „Armenischen Rates“, der sich noch in der Gründungsphase befindet, und einige wenige Menschen aus der unmittelbaren Umgebung des Bataillons-Standorts waren anwesend.
„Anhaltender Genozid“
In einer Ansprache sagte Monte Vartanian aus der Kommandantur des armenischen Bataillons: „Der Völkermord an den Armeniern ist eines der tragischsten und unvergessenen Ereignisse unserer Geschichte. Er ist eine offene und stets blutende Wunde in unserem Herzen und unserer Seele, ein Schandmal auf der Stirn des türkischen Staates und ein Moment des unendlichen Schmerzes, an den wir uns auch in tausend Jahren noch erinnern werden. Der 24. April ist ein Tag, der nicht endet, sondern stets aktuell ist. Wir definieren das Geschehene als einen anhaltenden Genozid. Denn wenn heute Hunderttausende Nachfahren der sogenannten ‚Schwertreste‘ – der beim Abschlachten übrig gebliebenen Überlebenden – ihre eigene Muttersprache nicht sprechen können, ihre Identität verloren haben und Namen von Menschen anderer Völker tragen, dann bedeutet es, dass der Genozid weitergeht. Auch das kurdische Volk, das nach wie vor vom türkischen Staat begangene Massaker erleidet, ist einem anhaltenden Genozid ausgesetzt.“
Viele Überlebende in Syrien arabisiert und kurdisiert
Der Bataillonskommandant Nubar Melkonian führte aus: „Ein Teil des armenischen Volkes starb infolge der Todesmärsche in die syrische Wüste, ein anderer Teil wurde in Internierungslagern ermordet. Mehr als hunderttausend armenische Frauen und Kinder in der heutigen Türkei wurden zunächst islamisiert, bevor sie türkisiert wurden.
Allein auf syrischem Boden wurden im Zuge des Genozids 1,2 Millionen Menschen bei Massakern und Todesmärschen getötet. Diejenigen, die das Glück hatten zu überleben, wurden von kurdischen und arabischen Stämmen sowie Familien als sogenannte Ziehkinder aufgenommen. Die meisten von ihnen wurden arabisiert, andere kurdisiert. Das macht einen Völkermord aus, und dieser Völkermord dauert an. Die andauernde Invasion des türkischen Staates kommt einem andauernden Völkermord gleich.
Der türkische Staat, der den Genozid an unserem Volk verübte, sollte sich aber immer wieder in Erinnerung rufen: Wir existieren immer noch, werden auch weiterhin existieren, uns vermehren und wir werden leben.“
Im Anschluss an die militärische Zeremonie zündeten die Kämpferinnen und Kämpfer in der nahegelegenen armenischen Kirche im Gedenken an die Opfer des Völkermords Kerzen an. Danach wurde ein Video mit Szenen von politischen, militärischen und kulturellen Schulungen, die seit der Gründung des Bataillons vor einem Jahr stattfanden, gezeigt. Nach einem gemeinsamen Essen endete die Gedenkfeier.
Ein armenisches Bataillon in Rojava
Das armenische Bataillon „Şehîd Nubar Ozanyan“ hat seine Gründung am 24. April 2019 im nordsyrischen Hesekê bekanntgegeben. Es ist benannt nach dem Armenier Nubar Ozanyan (Nom de Guerre: Orhan Bakırcıyan), der am 14. August 2017 in Raqqa als Kommandant der türkisch-kommunistischen Organisation TKP/ML-TIKKO im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gefallen ist.
Bei den Kämpferinnen und Kämpfern des Bataillons handelt es sich um Nachfahren von Genozid-Überlebenden, die aus Provinzen wie Amed (Diyarbakir), Riha (Urfa), Mûş (Muş), Bedlîs (Bitlis), Dîlok (Antep) und Êlih (Batman) in die syrische Wüste deportiert wurden. Das Bataillon beteiligt sich aktiv an der Verteidigung gegen die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei und ihrer islamistischen Milizen in den selbstverwalteten Gebieten Nord- und Ostsyriens.
Genozid an den Armeniern
Zwischen 1915 und 1918 wurden unter Verantwortung der jungtürkischen Regierung mehr als 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen und andere Christen ermordet. Mittlerweile haben mehr 30 Staaten das Geschehen als Genozid offiziell anerkannt, darunter auch Deutschland. Papst Franziskus nannte den Genozid, den die Armenier Aghet („Katastrophe“) nennen, den „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts”. Die Türkei spricht hingegen nur von Massenvertreibungen und von gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten noch rund zwei Millionen Armenier im Osmanischen Reich. Dieses befand sich im Niedergang, in Europa sprach man vom „kranken Mann am Bosporus“. Im Gegenzug wuchs der Nationalismus, der sich nicht zuletzt gegen die Armenier richtete. Sie waren häufig wohlhabender und gebildeter als ihre türkischen Landsleute. Zwischen 1894 und 1896 kam es zu Pogromen, bei denen bis zu 300.000 Menschen getötet wurden.
1908 übernahmen die sogenannten Jungtürken die Macht in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, und setzten den bisherigen Sultan ab. An seiner Stelle wurde ein Marionettenherrscher als Nachfolger installiert. 1913 putschte sich ein Triumvirat an die Spitze des Staates, bestehend aus Innenminister Talat Pascha (Mehmed Talaat Bey), Kriegsminister Ismail Enver und Marineminister Ahmed Cemal. Sie regierten das Reich faktisch als Diktatur.
Ab März 1915 wurden die armenischen Soldaten der osmanischen Armee entwaffnet, ein großer Teil von ihnen wurde umgebracht. Am 24. April 1915 verfügte Innenminister Talat Pascha die Verhaftung der armenischen Elite aus der osmanischen Hauptstadt Istanbul. Dieser Tag gilt als eigentlicher Auftakt des Genozids. Den anschließenden Massakern, Todesmärschen, der Hungersnot und Massendeportation in die syrische Wüste fielen mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer.