Die von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und den Volksverteidigungseinheiten (YPG) festgenommenen Mitglieder von Schläferzellen des türkischen Geheimdienstes MIT berichteten über ihr Vorgehen als Kontra-Einheiten für den türkischen Staat. Sie erzählen von Bombenanschlägen vor allem auf Kurd*innen, aber auch auf andere Bevölkerungsgruppen, von Entführungsoperationen in Verkleidung der QSD, durch die Geld erpresst wurde, und wie der türkische Staat Sprengstoff zu ihnen schmuggelte.
Neben der Unterstützung von dschihadistischen Gruppen wie al-Nusra oder dem Islamischen Staat (IS) setzt der türkische Staat auch auf eigene Schläferzellen in Nord- und Ostsyrien. Ein wichtiges Ziel dieser Strukturen scheint es zu sein, das Bevölkerungsmosaik Nord- und Ostsyriens zu zerbrechen und die verschiedenen ethnischen, kulturellen und religiösen Identitäten gegeneinander aufzubringen. Besonderen Wert wird darauf gelegt, die arabische und die kurdische Bevölkerung in Konflikt zu bringen. Dazu sollen insbesondere Attentate auf wichtige Persönlichkeiten arabischer Stämme dienen. Ein weiteres Mittel sind Entführungen, Folter und Erpressungen durch in Uniformen von YPG, QSD oder der Selbstverteidigung gekleidete Agenten. In den letzten Tagen konnten viele in solche Aktivitäten verwickelte MIT-Agenten und ihre Kollaborateure festgenommen werden.
Einer dieser Mitglieder von Schläferzellen, die in den letzten Tagen festgenommen worden waren, ist Ammar Mihemed al-Hadi. Er sagte aus, dass er auf Befehl eines MIT-Agenten namens Abu-Nasser, der selbst in Riha (Urfa) lebt, sechs Angriffe in Raqqa durchgeführt habe. So habe er eine Person entführt und gefoltert. Er berichtete, wie ein Verwandter von Abu-Nasser, Bahar AaaAbdulrezaq al-Mahmoud, aus der Türkei über al-Bab Sprengstoff und Waffen transportierte.
Ehemaliges Al-Nusra-Mitglied
Ammar Mihemed al-Hadi sagte weiter aus, er habe zu Beginn des Syrienkriegs eine Gruppe namens Succor al-Jazeera gegründet und sich dann dem syrischen Al-Qaida-Ableger al-Nusra angeschlossen. Als der IS kam, sei er nach Istanbul gegangen. Er habe anschließend zwei Jahre in Istanbul-Esenyurt an verschiedenen Stellen gearbeitet. „Ich hatte einen Freund, der bereits nach Deutschland gereist war. Er hieß Abud. Ich wollte mit seiner Hilfe nach Deutschland gelangen. Abud brachte mich mit Abu-Nasser zusammen. Ich vermute, es handelte sich um seinen Cousin, der in Urfa lebte. Der wollte, dass ich gegen Geld verschiedene Aktionen in Syrien durchführe.“
Mit Angriffen auf Kurden beauftragt
Al-Hadi berichtete, er habe den Vorschlag „wegen des Geldes“ angenommen. „Abu-Nasser brachte mich bei Azaz nach Syrien und ich ging nach Raqqa. Es hieß, ich sollte Aktionen vor allem gegen die Kurden durchführen. Einer namens Başar brachte mir Sprengstoff. Ich sollte pro Aktion 3000 Dollar erhalten. Aber sie wollten auch Aufnahmen von den Aktionen haben.“
Drei Bombenanschläge in Raqqa
Al-Hadi ist nach eigenen Angaben für drei Explosionen in Raqqa verantwortlich, drei weitere wurden verhindert: „In der ersten Aktion brachte ich eine Bombe an einer hohen Brücke in Salah Habiye an. Ich habe die Explosion auch aufgenommen, aber niemandem ist etwas passiert. Bei der anderen Aktion wollte ich eine Bombe an einer Brücke in West-Raqqa anbringen, aber der Sprengstoff wurde entdeckt. Eine weitere Bombe legte ich am Dschamilja-Weg im Stadtzentrum. Aber sie wurde von einem Kind bemerkt und explodierte nicht. Dann brachte ich wieder eine Bombe an einer Brücke an. Dort nahm ich ein Militärfahrzeug ins Visier. Es handelte sich um ein Fahrzeug der Gruppe Abu Isa.
Neue Aufgabe: Entführungen und Lösegelderpressung
Al-Hadi berichtete, er habe zwar mit dem türkischen Staat 3000 Dollar pro Aktion vereinbart, aber nur 800 erhalten. „Später hat uns Abu Nasser einen anderen Auftrag erteilt. Eine Person namens Jumaa Abdullah in Raqqa sollte Geld von einer Person namens Abu Ali Salim haben, deswegen sollten wir ihn entführen. Ich kenne Abu Ali Salim nicht persönlich, aber ich weiß, dass er Verbindungen zum türkischen Geheimdienst hat. Abu Nasser sagte, er würde uns neben Geld auch bald Waffen und Wärmebildferngläser schicken.
„Wir haben Uniformen der QSD angezogen und Jumaa Abdullah enführt“
Wir sind dann zu fünft losgegangen und haben Jumaa Abdullah entführt. Um uns entspannt bewegen zu können und den Verdacht in eine andere Richtung zu lenken, haben wir Uniformen der Demokratischen Kräfte Syriens angezogen und ihn entführt. Wir haben ihn einen Tag bei uns festgehalten, dann hat sich ein anderer Händler bei Abu Ali Salim gemeldet, er sagte uns, die Schuld sei beglichen und wir sollten Jumaa Abdullah freilassen. Abu Ali Salim hatte von Jumaa Abdullah 200.000 Dollar erhalten.“
Sprengstofftransport im Tanklastwagen
Der gefasste Bashar Abdulrezaq al-Mahmoud erzählte: „Abu Nasser hat mit mir Kontakt aufgenommen, er wollte, dass ich Sprengstoff von Bab nach Raqqa bringe. Abu Nasser ist der Bruder meines Schwiegervaters und wohnt in Urfa. So habe ich ihn kennengelernt. Ich weiß, dass er für den MIT arbeitet. Ich habe einen Tanklastwagen. Als ich Benzin nach al-Bab transportierte, gab er mir die Nummer einer Person dort. Ich habe Kontakt mit ihr aufgenommen und Waffen und Sprengstoff nach Raqqa gebracht.“
600 Dollar für jeden Transport
Für jeden Transport habe er 600 Dollar erhalten, erklärte er. Wieder taucht in seinen Aussagen der Name Abu Ali Salim als Mitglied protürkischer Milizen auf. Er fährt fort: „Abu Nasser war früher in der FSA in Raqqa gewesen. Dann sagt er, er werde in die Türkei zum Arbeiten gehen. Er reiste über Idlib in die Türkei. Ich bin mir sicher, dass er mit dem türkischen Geheimdienst arbeitet. Denn diese Bomben stammten aus türkischer Produktion. Auch Abu Ali Salim war bekannt dafür, mit dem türkischen Staat zu arbeiten. Abu Nassers echter Name ist Abu Isa Itelj.“
Aufgrund der Aussagen von Mihemmed al-Hadi und Bashar Abdulrezaq al-Mahmoud wurden dutzende Personen von den QSD festgenommen und große Mengen Waffen und Sprengstoff beschlagnahmt.
Fortsetzung folgt.