Porträt: Elî Bekir – 35 Jahre ungebrochener Kampf

Seit 35 Jahren beteiligt sich Elî Bekir aus Rojava am Freiheitskampf. Zwei seiner Töchter sind gefallen. Er wurde vom Baath-Regime verhaftet und schwer gefoltert. Heute setzt er seinen Kampf in der Initiative der Angehörigen der Gefallenen fort.

Der kurdische Freiheitskampf und die Menschen aller Teile Kurdistans haben in den vergangenen 50 Jahren der apoistischen Bewegung eine tiefe und oft unverbrüchliche Verbindung geschlossen. Rojava und Nord- und Ostsyrien wurden bereits seit dem Ende der 1970er Jahre von der Bewegung beeinflusst. Mit der wachsenden Präsenz der PKK in Syrien reisten Kader der Freiheitsbewegung durch die Region, informierten die Menschen und machten Bildungsarbeit. Eine durchaus schwierige Situation, da das Baath-Regime auf der einen Seite die auf Camps beschränkte Präsenz der PKK als Unterpfand gegen die Türkei bis 1998 duldete, andererseits aber alles daran setzte, um eine Verbreitung der freiheitlichen Ideen der Bewegung in Syrien und vor allem in Rojava, wo Kurd:innen unter Bedingungen schärfster Ausgrenzung und Assimilation leben mussten, zu verhindern.


Ununterbrochener Kampf seit 1988

Menschen wie Elî Bekir, die jahrzehntelang aller Repression zum Trotz Organisierungs- und Bildungsarbeit in der Bevölkerung geleistet haben, ist es zu einem großen Teil zu verdanken, dass Rojava heute ein Leuchtfeuer der Basisdemokratie und Selbstverwaltung im Nahen Osten und weit darüber hinaus darstellt.

Der 64-Jährige stammt aus aus Dirbêsiyê in Rojava. Er lernte die kurdische Freiheitsbewegung vor 35 Jahren kennen, als er Hilfe für die Opfer des Massenmords von Helebce (Halabdscha) in Südkurdistan sammelte. Am 16. März 1988 waren mindestens 5.000 kurdische Männer, Frauen und Kinder im südkurdischen Helebce durch einen Giftgasangriff des irakischen Saddam-Regimes ermordet worden waren. Seitdem beteiligt sich Bekir ununterbrochen am Freiheitskampf und der Verteidigung der kurdischen Identität und Werte.

Tief beeindruckt von der Opferbereitschaft der Freiheitsbewegung

Im ANF-Gespräch beschreibt er seine Motivation, sich auf allen Ebenen für den kurdischen Freiheitskampf zu engagieren: „Für die apoistische Philosophie steht der Aspekt der Verteidigung der nationalen Werte des kurdischen Volkes im Vordergrund. Die Militanten, die ihr Leben im kurdischen Freiheitskampf gegeben haben, handelten nicht im eigenen Vorteil, sondern widmeten ihr Leben dem kurdischen Volk. Das hat mich tief beeindruckt. Deshalb bin ich der kurdischen Freiheitsbewegung seit dem Massaker von Helebce verbunden geblieben und habe mich seitdem als Milizionär beteiligt.“

Am Ende waren wir erfolgreich“

Sein Engagement rief bald das Assad-Regime auf den Plan. Bekir erinnert sich: „Die kurdische Freiheitsbewegung konnte sich in Syrien nicht frei bewegen. Jeder unserer Schritte wurde überwacht, und diejenigen, die aufflogen, wurden vom baathistischen Regime verhaftet und gefoltert. Ich bin einer derjenigen, die verhaftet wurden. Viele dieser Menschen sind immer noch verschwunden. Wir arbeiteten mit höchster Intensität. Jeden Tag gingen wir zu den Menschen, sprachen mit ihnen über den Freiheitskampf und die Ideen von Rêber Apo [Abdullah Öcalan]. Einige von uns unterrichteten heimlich die kurdische Sprache, während andere Organisierungsarbeit leisteten. Mit all unserem Engagement waren wir am Ende erfolgreich.“

Treffen mit Abdullah Öcalan

Bekir spricht über die Bedeutung von Abdullah Öcalan und erinnert sich an sein Treffen mit dem kurdischen Repräsentanten im Jahr 1995: „Keine Persönlichkeit in der kurdischen Geschichte hat je so für die kurdische Nation gekämpft wie Rêber Apo. Er hat sich nie gebeugt. Zum ersten Mal ging das Volk als eine Einheit auf die Straße. Es war ein reiner und uneigennütziger Kampf. Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft beteiligten sich. Studierende, Akademiker und gebildete Menschen hängten ihr persönliches Leben an den Nagel, verließen ihre Familien und gingen in die Berge und die Städte, um zu kämpfen. Natürlich unterstützte ich diese Idee, und ich war sehr neugierig auf Rêber Apo. Ich war verheiratet und hatte Kinder, aber es gab dennoch viel für mein Volk zu tun. Zu dieser Zeit gab es massive Repression, aber die Arbeit lief auf hohem Niveau ab. Es war nicht leicht, zu Rêber Apo zu gelangen. Manchmal konnte man tagelang nicht zu den Freunden (der PKK) gelangen, da das Baath-Regime die Straßen sehr streng kontrollierte. Es war schwer, dorthin zu kommen. 1995 teilten die Freunde schließlich mit, dass sie eine Gruppe aus der Bevölkerung zu Rêber Apo bringen würden. Ich war Teil dieser Gruppe. Es war mein Traum, einmal Rêber Apo zu sehen. Ich reiste mit einer Gruppe von etwa 25 Personen nach Damaskus und konnte ihn dort treffen. Wir konnten drei Stunden lang mit ihm sprechen, und er hat uns viele Perspektiven über die Familie, die Gesellschaft und die kurdische Nation mitgegeben. Wir alle waren regelrecht erschüttert, wir standen unter Schock, denn wir wurden mit sehr neuen Ideen konfrontiert. Er vergaß jedoch nie, den Menschen Wertschätzung zu schenken. Er kritisierte viel, beschrieb so aber unsere Realität und baute uns durch seine Antwort auf die Frage, wie es nun weitergehen solle, auf.“ Bekir beschreibt diese Zusammenkunft als einen Wendepunkt in seinem Kampf.

Zwei Töchter im Kampf gefallen

Bekir berichtet über seinen Kampf nach 1995: „Für diesen Kampf wurde Blut vergossen, es wurde das Blut unseres Volkes wurde vergossen. Unser Volk hat für jeden Schritt in diesem Kampf Opfer gebracht. Aber ein unfreier Mensch, unterscheidet sich nicht von einem toten Menschen. Damals habe ich mir meine Aktivitäten bis 1995 angeschaut und sie für unzureichend befunden. Ich erkannte, dass es keine wertvollere Arbeit gibt, als dem kurdischen Volk zu dienen, und beschloss, den Kampf gemeinsam mit meiner Familie fortzusetzen. Jedes meiner Kinder begann in verschiedenen Städten für die Freiheitsbewegung zu arbeiten und sich im kurdischen Freiheitskampf zu engagieren. Einige nahmen an kulturellen und künstlerischen Aktivitäten teil, andere am kurdischen Sprachunterricht. Gulistan und Rûken beschlossen, Guerillakämpferinnen zu werden, und weder ihre Mutter noch ich standen ihnen im Weg. Als sie fielen, hielten wir unser Haupt erhoben. Wir haben ihren Kampf bis zum heutigen Tag weitergeführt.“