Anfang April versammelten sich die stellvertretenden Außenminister Syriens, der Türkei, Irans und Russlands in Moskau. Es ist die Rede von einer Annäherung zwischen den Regimen in Ankara und Damaskus. Gleichzeitig bemüht sich Saudi-Arabien um die Beendigung der Isolation der syrischen Regierung in der arabischen Welt und die vollständige Rehabilitation Baschar al-Assads in der Region – einschließlich der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga beim nächsten Gipfeltreffen in Riad. Offenbar versucht das Regime eine Rückkehr auf das diplomatische Parkett und eine Einigung mit der Türkei auch auf Kosten der türkisch besetzten Gebiete Syriens ins Auge zu fassen. Im ANF-Gespräch kritisiert der Ko-Vorsitzende der PYD, Salih Muslim, dass Damaskus bei den Gesprächen keine konkreten Bedingungen wie den Abzug der Türkei aus Syrien gestellt habe. Er warnt davor, sich nicht von möglichen Versprechungen Ankaras blenden zu lassen.
„Das syrische Regime ist kurdenfeindlich“
Muslim unterstreicht, dass das kurdische Volk die Vierertreffen zwischen Russland, Iran, der Türkei und Syrien aufmerksam verfolgen sollte. „Das syrische Regime steht den Kurden feindlich gegenüber. Die Türkei ist der strategische Feind des kurdischen Volkes. Die Herangehensweise Irans an die kurdische Frage ist nicht anders. Russland will alle diese Parteien im Sinne seiner eigenen Interessen zusammenbringen. Sie kommen an einem Tisch zusammen, um sich der Kurdinnen und Kurden Syriens zu entledigen. Ihr einziges und gemeinsames Problem ist die kurdische Existenz, die ihren Interessen zuwiderläuft. Ihnen geht es darum, die Selbstverwaltung, die hier in Nord- und Ostsyrien die Rechte der Menschen verteidigt, Einheit schafft und Leuchtturmprojekte verfolgt, zu beseitigen. Wenn Russland wirklich daran interessiert wäre, die Konflikte in Syrien zu lösen – wir haben seit 2012 Beziehungen – hätte es die Probleme mit dem Regime lösen können. Doch leider wurde dies bis dato nicht getan. Russland verfolgt einen pragmatischen Ansatz: Es handelt nach dem Motto: ‚Wie kann ich von den unterschiedlichen Seiten profitieren?‘ Die Staaten der Vierertreffen streben für Syrien keine Konfliktlösung an, sie arbeiten darauf hin, bestehende Probleme im Land zu vertiefen und neue zu schaffen. Wir hoffen, dass sie sich von diesem falschen Kurs abwenden werden.“
„Ein Bündnis aus Damaskus, Ankara und Dschihadistengruppen droht“
Muslim betont, dass die Konflikte zwischen den Regimen in Damaskus und Ankara sehr tiefgreifend sind: „Wir sprechen von Hunderttausenden Menschen, die ihr Leben verloren haben, und von Millionen, die fliehen mussten. Wir sprechen von der Zerstörung von 70 Prozent der Infrastruktur in den Dörfern und Städten Syriens. Die Türkei ist die Ursache für all dies. Sie hat weite Gebiete des Landes von Efrîn über Idlib bis Girê Spî besetzt und viele Dschihadistenmilizen, darunter auch Al-Qaida, dort stationiert. Die Türkei unterstützt diese Gruppen bis heute und hat diese Verbrecherbanden und ihre eigenen Truppen aufgestellt. All diese Handlungen stellen ein Komplott gegen die Kurden und die Selbstverwaltung dar. Diese vier Staaten sind sich in der kurdischen Frage einig. Wie könnte nun eine Einigung in anderen Fragen aussehen? Unserer Auffassung nach läuft es darauf hinaus, dass Damaskus zusammen mit Ankara und den Milizen der Türkei eine gemeinsame Kraft gegen die Selbstverwaltung bilden wird.“
„Wir haben gegen jede Art des Terrors gekämpft“
Muslim erinnert daran, dass die Menschen in Rojava bereits gegen sämtliche vom türkischen Staat unterstützten Gruppierungen gekämpft und die von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) besetzten Gebiete befreit haben. Der PYD-Politiker erklärt angesichts der Invasionspläne: „Das Vorhaben dieser Kräfte ist inakzeptabel. Wir ergreifen demgegenüber Maßnahmen. Sie denken, wenn sie die Kurden eliminieren, werden die USA aus der Region verschwinden. Die USA sind nicht wegen der Kurden hier. Sie sind aufgrund ihrer eigenen Interessen im Nahen Osten.“
„Damaskus fordert keinen Rückzug aus den besetzten Gebieten“
Salih Muslim weist darauf hin, dass Damaskus beim Diplomatentreffen in Moskau nicht wie in einigen Medien kolportiert, den Rückzug der türkischen Truppen aus der Besatzungszone zur Bedingung für Ankara gemacht habe. Tatsächlich hatte Assad Mitte März – und damit im Vorfeld des Vierertreffens – in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur RIA-Novosti davon gesprochen, dass „jeglicher Dialog“ mit seinem türkischen Amtskollegen davon abhänge, dass der Punkt erreicht werde, an dem die Türkei die Bereitschaft zeigt, „sich vollständig und bedingungslos“ aus dem syrischen Territorium zurückzuziehen. „Das heißt, dass Damaskus eine klare und glaubwürdige Roadmap vorgelegt haben will, wie ein Rückzug der türkischen Besatzer aus Syrien vonstattengehen soll. Für diesen Plan soll Russland bürgen. Diese Forderungen sind zwar richtig, aber die Erwartung, dass die Türkei, selbst wenn sie entsprechende Zugeständnisse machen würde, sich am Ende auch daran halten wird, ist ein Wunschtraum. Es gehört in Ankara zum außenpolitischen Paradigma, sich nicht an Vereinbarungen zu halten. Wir sind gewiss nicht dagegen, dass Syrien und die Türkei sich an einem Tisch treffen und gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhalten, aber das aktuelle Vorgehen ist nicht richtig. Dem Wort des türkischen Faschismus ist nicht zu trauen. Die Türkei sagt etwas, tut aber in Wirklichkeit etwas völlig anderes. Sie macht Versprechungen und hält sie nicht ein. Man sollte die Lehren aus den vergangenen Erfahrungen ziehen.“
„Wir unterstützen die Aufnahme von Beziehungen Syriens zur Arabischen Liga“
Der Ko-Vorsitzende der PYD erinnert daran, dass seine Partei, als das Syrien-Problem aufkam, eine Lösung des Konflikts in der Arabischen Liga gefordert hat. Muslim erklärt: „Heute haben sich alle Optionen geändert. Wir waren niemals gegen arabische Staaten und die Aufnahme von Beziehungen zu ihnen. Wir sind nicht dagegen, dass Syrien Mitglied der Arabischen Liga wird. Aber die Arabische Liga hat viel Feindschaft gesät und Blut vergossen, und das Regime in Damaskus hat bis heute keinen Schritt in Richtung Demokratie getan, weder in Bezug auf das Volk und die Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist, noch auf der internationalen Ebene. Das Regime rechnet fest damit, die Uhr auf das Jahr 2011 zurückstellen zu können. Warum hat die Arabische Liga Syrien dann 2011 von ihren Treffen ausgeschlossen? Die erneute Aufnahme kann gewiss erörtert werden, aber es müssten Bedingungen gestellt werden. Eine Bedingung sollte die Demokratisierung Syriens sein, die Respektierung des eigenen Volkes. Auch wir gehören zu Syrien. Wir haben weder Feindschaft noch Spaltung gewollt, nicht einen einzigen Tag. Wir verfolgen ebenfalls das Anliegen, dass die Arabische Liga geeint ist. Wir wollen, dass Syrien Beziehungen zu allen Mitgliedern hat, sei es zu Ägypten, Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wir sind nicht dagegen. Wichtig für uns ist, dass es Demokratie in Syrien gibt und dieses Land sein Volk respektiert. Lasst uns die inneren Probleme gemeinsam lösen. Als Teil von Syrien ist auch für uns der Regimewechsel und eine Demokratisierung wichtig.“