Kouchner: Wir müssen uns gegen die türkische Besatzung stellen

In Amûdê findet ein Forum zur demografischen Veränderung und ethnischen Säuberung in Efrîn statt. Der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner erklärte auf dem Forum: „Wir müssen uns gegen die Gewalt durch die türkische Besatzung stellen.“

Seit Sonntag findet in der Stadt Amûdê im nordsyrischen Kanton Hesekê ein internationales Forum zur demografischen Veränderung und ethnischen Säuberung in Efrîn statt. An der vom Zentrum für strategische Untersuchungen-Rojava (NRLS) organisierten Konferenz nehmen viele Intellektuelle und Politiker*innen teil.

Die Eröffnungsrede zum Forum wurde für die Veranstalter*innen von Dr. Ehmed Sino gehalten. Anschließend wurden Dokumentationen der türkischen Angriffe auf Efrîn gezeigt. Bernard Kouchner, ehemaliger Außenminister Frankreichs und einer der Mitbegründer der internationalen Organisation „Ärzte Ohne Grenzen“, bewertete die Angriffe der Türkei auf Efrîn. Kouchner sagte: „Wir müssen uns gegen die Gewalt der türkischen Besatzung stellen. Wir sollten fragen, warum es so still ist um das, was hier insbesondere den Kurden angetan wird. Die Bevölkerung von Rojava ist uns wichtig, denn sie erleidet Rechtsverletzungen von all ihren Nachbarn.“

Kouchner kündigte an, sich nach seiner Rückkehr nach Frankreich ernsthaft für ein Ende der Mord-  und Vertreibungspraxis wie auch den ethnischen Säuberungen durch den türkischen Staat einzusetzen. Kouchner sagte, Russland, die USA, der Iran und andere Weltmächte wollten ihre Hegemonie im Mittleren Osten errichten, die Bevölkerung von Rojava sei von dieser Politik direkt betroffen. Kouchner betonte, dass er an der Seite der Bevölkerung von Rojava stehe.

Bericht zu Efrîn

Nezîr Salih vom NRLS trug in seinem Forumsbeitrag zunächst einige Rahmendaten zur Lage in Efrîn vor. In dem Bericht ist die Rede von systematischen Kriegsverbrechen und einer internationalen Ignoranz gegenüber den völkerrechtswidrigen Angriffen auf Efrîn. Salih berichtete von Angriffen auf die Infrastruktur, Dörfer und Dienstleistungseinrichtungen durch die türkische Armee. Auch die 400.000 in Efrîn befindlichen Schutzsuchenden wurden mit schweren Waffen angegriffen. Die Angriffe hatten zur Folge, dass tausende Zivilist*innen getötet oder verletzt und Zehntausende vertrieben wurden. Nach der Besetzung der Region durch die Türkei und ihre Milizen wurde die Zivilbevölkerung mit dem Ziel, sie entweder zu vertreiben oder zu assimilieren, ausgedehntem Terror ausgesetzt. Kurdischen Flüchtlingen wurde und wird weiterhin die Rückkehr nach Efrîn verweigert, in ihren Häusern wurden Familien der türkeitreuen Milizionäre angesiedelt. Die verbliebene Zivilbevölkerung muss noch immer Entführungen, Folter, Morde, Zerstörung von Land und Besitz und Plünderung erdulden. Diese Praxis zielt darauf ab, die Demographie der Region zu verändern. Vor den Angriffen erklärte der türkische Präsident Erdoğan, die Bevölkerung Efrîns sei zu 55 Prozent arabisch und zu 35 Prozent kurdisch. Real sind allerdings 65 Prozent der Bevölkerung kurdisch gewesen. Solch eine Argumentation lege die von Erdoğan beabsichtigte ethnische Säuberung der Region offen, sagte Salih. Dies stellt sowohl nach dem Romstatut als auch dem Genfer Protokoll von 1949 ein Kriegsverbrechen dar.

Kulturelle Zerstörung in Efrîn

Auch das kulturelle Erbe der Region Efrîn wurde schwer beschädigt oder zerstört. Das türkische Militär hat vor allem Schulen und historische sowie religiös bedeutsame Orte angegriffen. Unterschiedlichen Berichten zu Folge wurden zwischen 32 und 45 Schulen abgerissen, 318 Schulen, Institute oder Universitäten geschlossen. Über 50.000 Kinder haben keinen Zugang zur Schule. Mehr als 13 Schüler*innen wurden getötet. Der türkische Staat zwingt die Bevölkerung zur Bildung in türkischer und arabischer Sprache.

Am 26. Januar 2018 wurde der Ischtar-Tempel von Ayn Dara vollständig zerstört. Ebenso wurden andere wichtige historische Orte wie die Burg von Nebî Hûri bombardiert. In El Rai wurde die Kirche geplündert. Auch die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Julianos Kirche im Mor Maron wurde bombardiert und zerstört. Die dschihadistischen Milizen haben historische Orte, darunter auch Friedhöfe, geplündert und ihre Funde in die Türkei verkauft.

Viele Schulen in der Region sind in Kerker und Folterzentren umgewandelt worden. An vielen Orten wurden türkische Fahnen angebracht und Namen von Einrichtungen und Straßen turkisiert. Der zentrale Platz von Efrîn wurde in „Erdoğan-Platz“ umbenannt. Die Frauen werden gezwungen, sich zu verschleiern, außerdem wurden türkische Kulturzentren eingerichtet. All diese Maßnahmen dienen dem NRLS zu Folge der ethnischen Säuberung der Region von Kurd*innen und ihrer Identität. Die Efrîn-Sektion des NRLS hat zahlreiche Belege für die Handlungen des türkischen Staats gesammelt.