Die PYD-Politikerin Hediye Yusif hat sich gegenüber ANF zu den Angriffen der Türkei auf Rojava und der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus geäußert. Sie hält sich in Şehba auf, einem Kanton östlich von Efrîn, in dem Hunderttausende Menschen nach der türkischen Invasion vor zwei Jahren Zuflucht gesucht haben.
„Im Mittleren Osten findet ein andauernder Krieg statt. Zusammen mit dem vom Krieg verursachten Tod, den Plünderungen und der Flucht legt das Virus praktisch das ganze öffentliche Leben lahm. Mit der Verbreitung des Virus im Mittleren Osten werden viele Länder weiter geschwächt werden. In diesen Ländern wird jetzt alles blockiert, was sich vorher gegen das kapitalistische System gestellt hat.
Der Iran zum Beispiel steht unter einem Wirtschaftsembargo. Jetzt hat er auch noch mit dem Virus zu kämpfen. Wir hatten vorhergesehen, dass es aufgrund der militärischen, politischen und gesellschaftlichen Blockade des Iran zu einer sozialen Explosion kommen wird. Das haben wir vermutet. Eine soziale Revolution im Iran war möglich, denn es gab einen massiven gesellschaftlichen Druck. Nun wurde im Iran durch das Virus die gesamte Politik lahmgelegt und das Land wird massiv geschwächt werden.
Die Türkei hat die Probleme des Mittleren Ostens verschärft
Die Türkei hat geglaubt, ihr neoosmanisches Projekt durch eine Vertiefung der Probleme des Mittleren Ostens verwirklichen zu können. So hat sie die Syrienkrise verschärft. Sie hat in ihrem eigenen Land den Terror gefördert und Dschihadisten ausgebildet. Diese sind nach Syrien und in andere Länder geschickt worden. Sie sind ganz offiziell in Libyen eingerückt. Die Türkei befindet sich zurzeit in einer großen Krise, die sich weiter vertiefen wird. Wie soll sie jetzt Stärke demonstrieren? Natürlich wird sie weiterhin versuchen, die Krise durch Krieg und Gewalt zu überwinden. Das Coronavirus hat sich jedoch in der ganzen Türkei ausgebreitet, in Syrien steckt sie in einer Sackgasse, in Idlib hat sie massive Probleme und in auch Libyen hat sie eine Niederlage erlitten. Deswegen ist auch die Türkei im Moment sehr schwach.
Dennoch greift sie Nord- und Ostsyrien an. Sie greift die Zivilbevölkerung von Girê Spî, Serêkaniyê und Efrîn an. Die Vertreibung und die gezielte Veränderung der demografischen Struktur dauern an. Die Angriffe auf Şehba gehen weiter. In Nordkurdistan werden die gewählten Kommunalverwaltungen angegriffen. Die AKP versucht sich mit Gewalt an der Macht zu halten. Während die ganze Welt gegen das Coronavirus kämpft, bekämpft die Türkei die eigene Bevölkerung und lässt sie einsperren. Die Türkei ist in Libyen, Syrien und dem Mittleren Osten am Ende. Die AKP ruiniert die Türkei auf der Bühne des Mittleren Ostens. Die Welt appelliert an die Türkei, den Krieg in Libyen, Syrien und gegen die QSD einzustellen, aber der türkische Staat setzt seine Angriffe fort, um seine Macht nicht zu verlieren.
Wir stehen mitten im Dritten Weltkrieg
Als Völker von Nord- und Ostsyrien befinden wir uns mitten im Dritten Weltkrieg. Seit neun Jahren bauen wir das Modell der Demokratischen Nation auf und haben in diesem Kampf große Erfolge errungen. Unsere lösungsorientierte Politik ist allgemein bekannt. Aber der türkische Staat bombardiert auf Befehl der AKP immer noch unser Land und ermordet die hier lebenden Menschen, Kinder werden getötet. Wir sind gleichzeitig mit dem Angriff der Türkei und der Coronakrise konfrontiert.
Auch das Regime hat bisher in Nordsyrien nicht unternommen
Vor wenigen Tagen ist in Syrien der erste Coronafall bekannt geworden und das syrische Regime hat erste Maßnahmen getroffen. Mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation sind sechs Gesundheitsstationen in Syrien eingerichtet worden. Nordostsyrien ist von der Zentralregierung jedoch niemals als ein Teil des Landes behandelt worden. Die Region war immer nur Verhandlungsmasse in den Beziehungen zur Türkei.
Wir befinden uns in einem ländlichen Gebiet vor Aleppo. Die Maßnahmen, die in Aleppo ergriffen wurden, müssen auch diese Region einschließen. Aber davon ist nicht die Rede. Bisher ist für Nord- und Ostsyrien rein gar nichts unternommen worden. Wir versuchen die Maßnahmen, die in Nordostsyrien beschlossen worden sind, mit unseren eingeschränkten Möglichkeiten auch in Şehba zu implementieren. Wir haben versucht, das Betreten und Verlassen der Region zu kontrollieren. Aber die Grenzen stehen unter der Kontrolle des Regimes, an einigen Orten werden sie auch von iranischen Truppen überwacht. Die Grenzen von Şehba sind für alle offen, nur für uns nicht. Erst nach mühevollen Verhandlungen mit den militärischen Kräften an den Kontrollpunkten konnten wir durchsetzen, dass dort Gesundheitsteams zugelassen werden.
Seit vier Tagen herrscht eine Ausgangssperre in Şehba. Aber unsere Möglichkeiten sind sehr gering und wir konnten nur wenige Güter nach Şehba bringen. Um die Region zu versorgen, müssen wir hohe Zölle an das Regime bezahlen. Das erschwert die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen. Da der Staat die Preise nicht kontrolliert, ist alles unglaublich teuer geworden. Dennoch haben wir alle Kräfte mobilisiert, um die Gesundheit der Menschen zu schützen.
Das kurdische Volk muss die Menschen in Şehba unterstützen
Wir haben drei Gesundheitszentren für Coranafälle eingerichtet und Reinigungs- und Desinfektionsmittel an die Bevölkerung ausgegeben. Aber diese Maßnahmen sind völlig unzureichend. Diese Region war ein Kriegsgebiet und ist für jede Krankheit ein guter Nährboden. Im Boden liegen Chemikalien, unter Ruinen liegen Leichen. Um dieses Risiko zu mindern, versuchen wir auch das Gelände zu desinfizieren.
Wir haben überall Kriseninterventionsteams aufgestellt. Allerdings haben wir hier fünf große Flüchtlingslager. Dort herrscht große Ansteckungsgefahr.
Als Flüchtlinge in Şehba appellieren wir an alle internationalen Gesundheitsorganisationen, die Bevölkerung zu unterstützen. Wir appellieren auch an das kurdische Volk, uns Hilfe zukommen zu lassen.