Fackelmarsch zum Ende des Zuckerfests
In der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien wurde das diesjährige Zuckerfest erneut im Zeichen des Gedenkens und der Solidarität begangen. Während vielerorts traditionell die Friedhöfe für Gefallene besucht und Kerzen an den Gräbern entzündet wurden, war dies für die Menschen am Tişrîn-Staudamm in diesem Jahr nicht möglich. Stattdessen organisierten sie am Abend des Feiertags einen Fackelmarsch, um ihrer gefallenen Angehörigen und Weggefährt:innen zu gedenken und ein Zeichen der Einheit zu setzen.
Seit dem 8. Januar leisten Menschen aus der Region an der strategisch wichtigen Talsperre Tişrîn Widerstand gegen die wiederholten Angriffe der türkischen Armee und ihr nahestehender islamistischer Milizen. Der Staudamm, der am Euphrat liegt, ist nicht nur von großer infrastruktureller Bedeutung, sondern auch ein Symbol des Widerstands gegen Besatzung und Gewalt.

In einer Region, in der kaum eine Familie vom Verlust durch Krieg verschont geblieben ist, ist das Gedenken an die Gefallenen tief in der gesellschaftlichen Kultur verankert. Etwa 14.000 Menschen haben in Nordostsyrien ihr Leben im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), die Al-Nusra-Front und gegen die türkische Besatzung verloren. Entsprechend gehört es zur Tradition, an hohen Feiertagen wie dem Zuckerfest die Gräber dieser Gefallenen zu besuchen, Blumen niederzulegen und Kerzen oder Fackeln zu entzünden. Dabei werden Süßigkeiten verteilt, und man wünscht sich gegenseitig Frieden und Hoffnung.

Die Menschen am Tişrîn-Staudamm, die sich derzeit in einer Phase des aktiven Widerstands befinden, konnten die Gräber ihrer Angehörigen nicht persönlich aufsuchen. In einem stillen, aber kraftvollen Akt des Gedenkens veranstalteten sie einen nächtlichen Fackelmarsch auf dem Gelände der Talsperre. Die flackernden Lichter der Fackeln wurden dabei zu Symbolen des Gedenkens, der Entschlossenheit und der Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. „Unsere Herzen sind bei unseren Gefallenen“, erklärte eine Teilnehmerin der Mahnwache. „Auch wenn wir ihre Gräber heute nicht besuchen können, tragen wir ihr Andenken in uns weiter. Ihr Opfer ist unser Kompass in Zeiten der Unsicherheit.“

Mit dem Fackelmarsch sendeten die Teilnehmer:innen auch eine klare Botschaft der Einheit: Trotz der ständigen Bedrohung von außen lasse sich die Bevölkerung Nordostsyriens nicht spalten. Der Ruf nach Frieden und Freiheit werde auch an einem von Krieg gezeichneten Ort wie Tişrîn laut und hörbar – besonders an einem Tag, der im Zeichen von Hoffnung und Zusammenhalt steht. Das diesjährige Zuckerfest in Nordostsyrien war damit nicht nur ein religiöser Feiertag, sondern auch ein Tag des kollektiven Erinnerns, des Widerstands und der stillen Hoffnung auf ein Ende von Besatzung und Gewalt.
Fotos © ANHA