Gedenken an David Graeber in Qamişlo

An der Rojava-Universität in Qamişlo ist an David Graeber erinnert worden. Der anarchistische Aktivist und Anthropologe starb Anfang September im Alter von 59 Jahren in einem Krankenhaus in Venedig.

An der Rojava-Universität in der nordostsyrischen Stadt Qamişlo ist am Sonntag David Graeber gedacht worden. Der US-amerikanische Anarchist und Kulturanthropologe war Anfang September im Alter von 59 Jahren in einem Krankenhaus in Venedig an inneren Blutungen verstorben. An der Veranstaltung nahmen Weggefährt*innen des libertären Denkers, Vertreter*innen der Autonomieverwaltung und viele Menschen aus der Bevölkerung teil. Von einem an der Bühne angebrachten Transparent blickte neben dem Konterfei Graebers auch das Antlitz des kürzlich in Hamburg an einem Krebsleiden verstorbenen, langjährigen Vorsitzenden der Kurdistan-Hilfe e.V., Robert Jarowoy, auf das Publikum. 

Das Gedenken wurde mit einem Film über das Wirken von Graeber eingeleitet. Anschließend folgte eine bewegende Rede von der kurdischen Politikerin Foza Yûsif, Vorstandsmitglied der PYD (Partiya Yekîtiya Demokratîk, deut. Partei für eine demokratische Einheit). Yûsif bezeichnete Graeber als „verdienten Freund Öcalans und des kurdischen Volkes“ und sagte: „Er kämpfte mit seinen Ideen für die Revolution von Rojava, für die Frauen. David Graeber besuchte Rojava zwei Mal und lernte die durch Öcalans Ideen geschaffenen Errungenschaften aus der Nähe kennen. Er hatte eine aufrichtige Beziehung zur Bevölkerung der Region und unterstützte die Rojava-Universität mit seinen Ideen.“ Yûsif grüßte in diesem Sinne auch alle internationalistischen Kämpfer*innen in Rojava. Nach ihrer Rede traten verschiedene Kulturgruppen auf.

Filmvorführung beim Gedenken an David Graeber 

Der Theoretiker David Graeber hat etliche wichtige wissenschaftliche und aktivistische Beiträge zu sozialen Bewegungen geleistet. Er prägte den Begriff der „Bullshit Jobs” - Arbeit ohne gesellschaftliche Relevanz. Sein gleichnamiges Buch hatte 2018 auch in Deutschland Aufmerksamkeit erregt. Darin argumentiert der Autor, der an der London School of Economics and Political Science lehrte, dass bis zu 40 Prozent der Arbeit, die heute in den westlichen Industriegesellschaften getan wird, überflüssig seien. Manager, Beamte und Juristen würden an ihren Arbeitsplätzen lediglich die Zeit totschlagen. In seinem Buch „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“ kritisierte er den theoretischen Aufbau der Wirtschaftswissenschaften und entlarvte Axiome der modernen Wirtschaftsschaffen über die Entstehung des Marktes als Glaubenssätze des Neoliberalismus.

Foza Yûsif (r.) während ihrer Rede

Mit Kurdistan und der Revolution in Rojava verband Graeber neben seiner eigenen Geschichte als Sohn eines Spanien-Kämpfers vor allem auch den libertären Geist der Ideologie Öcalans. In dem Buch „Das freie Leben aufbauen – Dialoge mit Öcalan”, das vergangenen Herbst in der International Initiative Edition im Unrast-Verlag erschien, beleuchtet auch David Graeber verschiedene Aspekte der Theorie und Praxis des einflussreichen kurdischen Denkers, die zur Revolution in Rojava führten. In dem Text „Öcalan als Denker: Über die Einheit von Theorie und Praxis als Form des Schreibens” konzeptualisiert er die Schriften Öcalans über die Mythologie und schafft es so, das Diskussionsniveau weiter anzuheben.