Ezidin will als Zeugin an IS-Prozessen teilnehmen

Die Ezidin Sûrî Xelef hat zwei Söhne bei dem IS-Genozid in Şengal verloren und will bei den Prozessen in Nordostsyrien als Zeugin auftreten. Aktuell fehlt es jedoch noch an Kapazitäten, diese Prozesse ohne internationale Unterstützung zu stemmen.

Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) hat am 10. Juni angekündigt, ausländische IS-Mitglieder vor eigene Volksgerichte zu stellen. Vorangegangen waren jahrelange vergebliche Appelle an die Herkunftsstaaten, einen internationalen Gerichtshof für die Ahndung der vom „Islamischen Staat“ begangenen Verbrechen einzurichten. In den Gefängnissen der AANES sitzen mehr als zehntausend IS-Mitglieder aus über sechzig Ländern ein, etwa 60.000 IS-Familienangehörige befinden sich in Lagern wie dem Camp al-Hol.

„Bei ihrer Entscheidung, über Verbrechen auf eigenem Boden zu richten, war für die AANES ein wesentlicher Faktor, dass hier belastbares Beweismaterial und vor allem Zeugen, wie Überlebende der IS-Verbrechen, verfügbar sind“, schreibt Ibrahim Murad in einem Gastkommentar für die taz. Und tatsächlich melden sich immer mehr Menschen zu Wort, die als Zeug:innen an den Prozessen teilnehmen wollen. Eine von ihnen ist die Ezidin Sûrî Xelef, die zwei Söhne bei dem IS-Überfall am 3. August 2014 in Şengal im Nordirak verloren hat. Sie sagt, dass die erlebte Brutalität sie verfolgt und es schwierig sei, den Schmerz über den Verlust ihrer beiden Kinder zu beschreiben.

Das IS-Massaker in Şengal, das im Januar vom deutschen Bundestag als Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft anerkannt wurde, wird von den Ezid:innen als 73. Ferman in ihrer Verfolgungsgeschichte bezeichnet. Schätzungen nach fielen etwa 10.000 Menschen dem Genozid zum Opfer. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden vom IS entführt, mehr als 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und weitere Tausende werden bis heute vermisst.

Sûrî Xelef erlebte das Massaker im Dorf Siba Şêx Xidir. Sie erzählt, wie die Islamisten mit schwarzen Fahnen und Schwertern in den Händen in das Dorf einfielen. Die Bevölkerung sei geflohen und ihre Familie habe beschlossen, sich aufzuteilen und auf drei verschiedenen Wegen in die Berge von Şengal zu gelangen, um sich dort zu treffen. Ihre Söhne hat sie nie wiedergesehen: „Ich weiß nicht, ob meine beiden Söhne getötet oder entführt wurden. Vielleicht sind sie in der Wüste verdurstet."

Die Familien der Opfer seien bereit, an jedem Gericht teilzunehmen, um die Rechte ihrer Kinder einzufordern, sagt Sûrî Xelef. Bis heute sei das Schicksal Tausender Vermisster ungeklärt und der IS stelle weiterhin eine große Gefahr dar: „Ich werde als Opfer vor Gericht gehen und erzählen, was mir passiert ist. Ich werde ihnen die Zahl der Opfer und der Verletzten nennen. Das Schicksal unserer Frauen und Kinder ist immer noch unklar. In der Nacht, als der IS die Frauen entführte, gaben sie ihnen das Fleisch der Kinder zu essen. Welche Religion erlaubt das? Alle Religionen verurteilen diese grausame Tat."

Die Prozesse werden jedoch große finanzielle, logistische und rechtliche Ressourcen erfordern. Laut Murad Ibrahim fehlt es der AANES aktuell noch an Kapazitäten, diese Prozesse ohne internationale Unterstützung zu stemmen. Er fordert, dass die Mitgliedstaaten der EU der AANES im Einklang mit geltendem internationalem Recht die nötige Unterstützung gewähren und mit ihr zusammenarbeiten. „Es scheint, als sei man sich der Gefahr, die von den Lagern und Gefängnissen in Nord- und Ostsyrien ausgeht, nicht bewusst. Wenn die internationale Gemeinschaft das Problem weiter ignoriert, drohen besonders in Europa weitere Terroranschläge“, so Ibrahim Murad.