Dokumentation über Femizid-Überlebende bei FIFDH ausgezeichnet

2015 wurde die Kurdin Mutlu Kaya als Favoritin für einen Gesangswettbewerb in der Türkei gehandelt – bis ihr von einem besessenen Stalker in den Kopf geschossen wurde. Ein Film über ihren Kampf zurück ins Leben wurde nun auf dem Genfer FIFDH gewürdigt.

Die Medien in der Türkei rissen sich um die Geschichte vom Mädchen aus dem „Kurdengebiet“, das zu arm zum Studieren war, doch dann über Nacht zum Star wurde, und dem das ganze Land zu Füßen lag. Für Mutlu Kaya wurde dieser „Traum“ war, aber es gab kein Happy End.

2015 stand die damals 19-jährige Mutlu Kaya aus Amed (tr. Diyarbakır) kurz vor dem Einzug ins Finale des Talentwettbewerbs „Schöne Stimme” des Privatsenders Fox. Mitten in den Vorbereitungen für einen neuen Auftritt wurde die junge Frau vor ihrem elterlichen Haus im Kreis Erxenî (Ergani) mit einem Kopfschuss schwer verletzt. Bei dem Täter handelte es sich um einen bessesenen Stalker, dessen Heiratsantrag sie abgelehnt hatte. Er hatte sie zuvor mehrfach belästigt, bedroht und sogar entführt, weshalb ihre Familie ihn angezeigt und eine einstweilige Verfügung beantragt hatte. All das hatte aber nichts gebracht.

Bei dem versuchten Femizid erlitt Mutlu Kaya lebensbedrohliche Verletzungen. Sie verlor ihr Sprechvermögen und ihre Bewegungsfähigkeit und musste dies in einer jahrelangen Rehabilitation wieder aufbauen. Während ihres Kampfes zurück ins Leben und ihrer Versuche, ihre Gesangskarriere wieder voranzutreiben, wurde die Familie erneut von patriarchaler Gewalt heimgesucht. Diesmal traf es Mutlus Schwester Dilek Kaya. Sie wurde im März 2020 im Alter von 35 Jahren von einem türkischen Unteroffizier, dessen Avancen sie nicht erwiderte, erschossen.

Mutlu Kaya ist heute engagierte Aktivistin für Frauenrechte und kämpft gegen Gewalt an Frauen. Sie ist zudem ein äußerst beliebter TikTok-Star und greift das Thema Femizid in Videos und in einem Protestsong auf. Die Dokumentation „Benim Adım Mutlu“ – „My Name is Happy“ (Mutlu bedeutet auf Türkisch „glücklich“) von Ayşe Toprak und Nick Read erzählt ihre inspirierende Geschichte und wurde nun auf dem Internationalen Filmfestival und Forum für Menschenrechte (FIFDH) in Genf mit zwei Preisen ausgezeichnet. Neben dem Preis der Jugendjury erhielt die Dokumentation auch den von der philanthropischen Organisation StoryBoard Collective vergebenen StoryBoard Impact Award im Wert von 10.000 Schweizer Franken.


„Benim Adım Mutlu“ begleitet Mutlu Kaya und ihre musikalische Familie durch ihre turbulenten Prüfungen, ihren Kampf um Genesung und ihren Widerstand für Gerechtigkeit, gegen die Normalisierung von patriarchaler Gewalt in der Türkei und darüber hinaus. Intime Aufnahmen der Familie Kaya werden durch Archivmaterial mit Ausschnitten aus der Talentshow und Nachrichten zu diesem dringenden Thema ergänzt.

Der Mann, der Mutlu Kaya töten wollte – Veysi Ercan – wurde 2016 von einem türkischen Gericht wegen Mordversuch zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er aufgrund einer Zweidrittel-Regelung nur neun hätte absitzen müssen. Doch Veysi Ercan befindet ist faktisch frei. 2020 wurde er im Zuge einer Corona-Amnestie für drei Jahre in den offenen Vollzug aufgenommen. Die Reststrafe wurde zu Bewährung ausgesetzt – das bedeutet, dass er sich bis 2025 unter Auflagen in Freiheit befindet.