Kommunen sind die kleinsten politischen Einheiten im System der demokratischen Konföderation in Nord- und Ostsyrien. Es sind Nachbarschaften, Stadtteile oder Dörfer, die sich zusammen organisieren. Es gibt kleine Kommunen von 50 bis 150 Haushalten und nach Auswertung der ersten Praxisjahre auch größere mit bis zu 600 Haushalten, je nach der Situation vor Ort. In der Stadt Qamişlo inklusive der Dörfer Girbawî und Tenuriyê sind inzwischen 178 Kommunen entstanden. In der Region Cizîrê, bestehend aus den Kantonen Qamişlo und Hesekê, gibt es zusammen 2056 Kommunen.
Ziel der Kommunen ist es, die Versorgung und Interessen der Gemeinschaft gemeinsam zu stemmen. Das betrifft die Strom- und Wasserversorgung, die Gestaltung des öffentlichen Raumes bis hin zur Bewältigung von sozialen Problemen. Jede Kommune bildet einen eigenen Rat mit Komitees für die verschiedenen Aufgabenbereiche. Sie wählt zwei Ko-Vorsitzende, eine Frau und einen Mann, sowie zwei Stellvertreter:innen. Die Kommunen arbeiten eng mit der Selbstverwaltung zusammen, und die Ko-Vorsitzenden der Kommune sind als Delegierte im Stadtrat vertreten.
Kommune Şehîd Yasir in Qamişlo | Foto: A. Bender
Die Kommune Şehîd Yasir im Viertel Qudour Bek, eine der Stadtteilkommunen in Qamişlo, besteht inzwischen aus 610 Familien, etwa 3.200 Personen mit zumeist kurdischen und arabischen Wurzeln. Fünf kleinere Kommunen wurden in ihr zusammengelegt. Die Kommune hat ein Gemeinschaftshaus, in dem sich ihre Mitglieder treffen, sich koordinieren oder auch Bildungsseminare durchführen. Es ist täglich von 7 Uhr bis 19 Uhr geöffnet.
Die Komitees der Kommunen
In den Kommunen haben sich über die Jahre verschiedene Komitees etabliert, in denen sich die Menschen engagieren. Die Ko-Vorsitzenden der Kommune Şehîd Yasir in Qamişlo, Redvan Reshid und Fethiye Mustafa, sowie die Zuständigen der Komitees erzählen von ihrer Arbeit:
Jede Kommune hat verschiedene Komitees, die alle eigene Aufgaben haben. Es gibt in der Kommune Şehîd Yasir das „Gerechtigkeitskomitee“ – es könnte auch Streitschlichtungs- oder Mediations-Komitee genannt werden. Seine Mitglieder sind zuständig, wenn es zum Beispiel zwischen zwei Familien ein Problem gibt. Sie versuchen, den Streit zu schlichten oder eine Lösung zu finden.
Das „Verteidigungs- und Sicherheitskomitee“ ist für die Sicherheit und auch für die Selbstverteidigung der Kommune zuständig, zum Beispiel wenn sich der Krieg verschärft oder bei Diebstählen und anderen Problemen. Ihm sind die Gesellschaftlichen Verteidigungskräfte (Hêzên Parastina Civakî, HPC) und die autonomen Frauenkräfte, die HPC-Jin, unterstellt. Das Komitee ist auch zuständig für die Ausbildung der Bevölkerung zur Selbstverteidigung.
Firyal Xelef, Leyla Kasim und Hasina Ramadan vom Gesundheitskomitee | Foto: A. Bender
Das „Gesundheitskomitee“ leistet Erste Hilfe bzw. medizinische Hilfe, bis ärztliche Hilfe von außerhalb oder die Person ins Krankenhaus kommt. Die Mitglieder sind immer ansprechbar, wenn es Verletzte oder Kranke in der Nachbarschaft gibt. Leyla Kasim vom Gesundheitskomitee berichtet, dass sie von Haus zu Haus gehen, um herauszufinden, welche Krankheiten es in der Kommune gibt. Sie dokumentieren ihre Ergebnisse, versuchen benötigte Medikamente zu besorgen und behandeln soweit sie es selbst können. Sie organisieren auch in Zusammenarbeit beispielsweise mit der Stiftung der freien Frau in Syrien (WJAS) oder mit Heyva Sor a Kurd, einer medizinischen Hilfsorganisation, Ausbildungen für Erste Hilfe und Krankenpflege. Zurzeit sammeln sie in der Nachbarschaft Geld für die Eröffnung einer Gesundheitsstation, mit einer Ärztin oder einem Arzt für Frauen, Kinder und innerer Medizin, da das am meisten benötigt wird.
Das „Frauenkomitee“ ist ein Ort nur für Frauen. Die Mitglieder organisieren Bildungsprogramme zur Stärkung von Frauen und sind ansprechbar, wenn Frauen Probleme haben. Sie arbeiten auf kommunaler Ebene mit den Frauenhäusern (Mala Jin) zusammen und sind die Basis der Frauenbewegung Kongra Star. Sie kümmern sich um die Interessen der Frauen, dass zum Beispiel Frauengesundheitsstationen oder Kindergärten oder auch Frauenkooperativen entstehen. Innerhalb der Kommunen sind die Frauen autonom organisiert und rufen eigene Treffen und Versammlungen ein, in denen sie über ihre Belange und Bedürfnisse sprechen. Sie haben ein Vetorecht bei Entscheidungen der Kommune, die Frauen betreffen.
Das „Komitee der Grundversorgung“ versucht, die Grundversorgung wie Strom und Wasser auf nachbarschaftlicher Ebene zu organisieren. Die Mitglieder sind mit den Menschen vor Ort vernetzt. Sie wissen, was benötigt wird, und unterstützen und erleichtern die Arbeit der autonomen Administration, zum Beispiel was den gemeinsamen Generator angeht oder die Organisierung und Koordinierung von Wasser.
Das „Ökonomiekomitee“ versucht, eine gemeinschaftliche Ökonomie aufzubauen, um Belange der Kommune finanzieren zu können. Der Ko-Vorsitzende des Komitees, Şiyar Altun, erzählt, dass sie sich gemeinsam Tiere und landwirtschaftliche Flächen angeschafft und ein Projekt gegründet haben, in dem sie Gemüse einlegen und Tomatenmark produzieren und auch verkaufen. Sie bieten auch Caterings für Institutionen an, um Geld für die Kommune zu organisieren.
Das „Bildungskomitee“ organisiert die Bildungsarbeit und Seminare zu verschiedenen Themen, auch zu politischen Fragen. Wenn sich die aktuelle Situation ändert oder es bestimmte Ereignisse gibt, die diskutiert werden müssen, holt das Bildungskomitee die Kommune zusammen.
Dann gibt es auch noch das „Jugendkomitee“, das die Interessen der Jugend koordiniert.
Das Leben hat sich verändert
Redvan Reshid sagt, dass sich viel verändert hat, seit es die Kommune gibt. Es hat sich eine Gemeinschaft gebildet, es gibt keine Diskriminierung, alle unterstützen und helfen einander, sind solidarisch untereinander, zum Beispiel wenn jemand krank ist oder zum Arzt gehen muss und kein Geld hat. Wenn Trauerzelte aufgestellt werden, um an kürzlich Verstorbene zu erinnern und um sie zu trauern, organisieren sie das gemeinsam. Das gab es vorher nicht. Vor der Gründung der Kommune wussten sie wenig voneinander, heute kennen sie sich. Die Zuständigen der Komitees sind auch Tag und Nacht für alle erreichbar.
Die Beteiligung der Nachbarschaft an der Kommune ist sehr gut, sehr unterstützend, weil die Menschen sehen, dass gemeinsame Belange organisiert und Probleme gelöst werden. Diese Unterstützung ist Teil der demokratischen Politik, um Teilhabe/-nahme zu lernen und das System zu unterstützen.
Auch für die Frauen hat sich viel verändert. Sie sind überall präsent, diskutieren die Änderungen und Entscheidungen erst unter sich und tragen dann ihre Entscheidungen in die gemeinsamen Gremien. Es gibt eigene Bildungsseminare und Anlaufstellen bei Problemen in der Partnerschaft oder Familie.
Ohne die Zustimmung der Kommune läuft nichts
Ahmed Ahmed und Mohammed Ali vom Bildungskomitee | Foto: A. Bender
Kommunen sind dafür verantwortlich, die Menschen der Kommune bei Gesetzesänderungen oder sonstigen Änderungen zusammenzuholen, zu informieren und Meinungen zu bilden. Ahmed Ahmed vom Bildungskomitee erzählt, sie wollen erreichen, dass die Menschen in der Nachbarschaft immer auf dem neuesten Stand sind. Neue Gesetze werden mit der Bevölkerung über die Kommunen diskutiert, und es werden Diskussionen über die aktuelle politische Situation in Nord- und Ostsyrien organisiert. Aber auch Preiserhöhungen wie kürzlich bei Diesel werden mit der Nachbarschaft besprochen und es wird erklärt, wie viel dafür bezahlt bzw. verlangt werden darf. Die Kommunen achten darauf, dass Eigentümer:innen von Generatoren, die dafür zuständig sind, Strom an die Nachbarschaften zu liefern, nicht zu viel Geld verlangen.
An einer kürzlich stattgefundenen Versammlung zur aktuellen Situation haben 500 Menschen teilgenommen. Aber sie erzählen auch, dass es weiterhin viel Aufklärung, Unterstützung und Bildung braucht, um die Arbeit der Kommunen weiter zu stärken und um Mitarbeit und Unterstützung zu bekommen. Ohne Kommunen läuft das System des demokratischen Konföderalismus nicht. Sie sind die Basis, und wenn die Kommunen mit einer Entscheidung der Autonomen Administration nicht einverstanden sind, kann diese sie nicht umsetzen, betont Ahmed.