Bedran Çiya Kurd hat sich als Vertreter der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) im ANF-Interview zu den möglichen Entwicklungen nach dem Austausch der Söldnertruppen in der türkischen Besatzungszone geäußert.
Der Al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hat inzwischen Efrîn eingenommen und ist bis Minbic vorgerückt. Wie bewerten Sie die Entwicklungen in der Region?
Die Entwicklungen in Efrîn und den anderen Gebieten sind sehr umfassend und vielschichtig. Nach der Einigung mit dem syrischen Regime in Idlib sollen die HTS-Söldner im Krieg gegen die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in der Autonomieregion eingesetzt werden. Dieses Szenario ist Teil des Abkommens zwischen Ankara und Damaskus und soll außerdem der Eliminierung von kleineren Gruppen dienen, mit denen die Türkei Konflikte hat. Darüber hinaus soll die Umwandlung der türkischen Besatzungszone in ein islamistisches IS-Emirat vorangetrieben werden.
Diese Situation kann zu sehr ernsten und gefährlichen Veränderungen führen, die sich direkt auf die Bemühungen für eine politische Lösung und eine Einigung in Syrien auswirken. Es handelt sich um eine Initiative des türkischen Regimes, um diesen Bemühungen einen tödlichen Schlag zu versetzen. Wir sind mit einem vom türkischen Staat vorangetriebenen Projekt konfrontiert, das über Besatzung und Bevölkerungsaustausch durch Vertreibung auf einen Völkermord abzielt. Wir beobachten das Geschehen und gehen davon aus, dass die Lage in der kommenden Zeit noch eindeutiger werden wird. Das Schweigen der internationalen und regionalen Mächte bedeutet, dass sie dem türkischen Projekt zustimmen.
HTS ist als terroristische Organisation eingestuft
HTS befindet sich auf der Liste terroristischer Organisationen. Warum wird dazu geschwiegen, wenn dieser Al-Qaida-Ableger Gebiete in Nordsyrien einnimmt?
Wie gesagt hat die Türkei einen Plan erstellt, der auf das syrische Regime und den Umgang mit den Gruppierungen, die die türkische Politik in Syrien unterstützen, ausgerichtet ist. Auch Ahrar al-Sham wird als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Türkei unterstützt diese Organisation trotzdem. Sie kümmert sich nicht um die internationale Rechtsprechung und Vereinbarungen. Die Besatzung selbst ist ein gravierender Verstoß gegen das Völkerrecht. Das gilt auch für die Unterstützung international geächteter Organisationen.
In den von der Türkei besetzten Gebieten kommt es ständig zu Auseinandersetzungen, bei denen Zivilpersonen getötet werden. Wer muss was unternehmen, damit das aufhört?
Zunächst müssen die Ursachen dafür richtig analysiert werden. Die Geschehnisse sind das Ergebnis der türkischen Besatzung und der Unterstützung islamistischer Gruppen. Damit sind wir momentan konfrontiert. Möglicherweise werden jetzt einige dieser Gruppen eliminiert. Diese Gruppen haben auf die Türkei gesetzt und könnten jetzt derselben Politik zum Opfer fallen, für die sich haben instrumentalisieren lassen. Die einzige Lösung ist die Beendigung der türkischen Besatzung und der Rückzug aller Truppen, einschließlich der als Söldner eingesetzten Gruppen. Die Türkei verhindert eine Lösung für Syrien. Um ihre Präsenz in Syrien zu beenden, müssen die internationalen Mächte und die Öffentlichkeit aktiv werden. Leider gibt es keine derartigen Initiativen, weil die türkische Politik in der Region auch von vielen weiteren internationalen Faktoren abhängt. Die Präsenz der Türkei in Syrien bedeutet die Fortsetzung von Chaos und Zerstörung. Es wäre eine Lösung, wenn sich die Bevölkerung in Syrien zusammenschließt und einigt.
Der HTS-Transfer wird zu neuen Kämpfen führen
Anführer der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) sagen, dass die Gefechte auf ein Abkommen zwischen Russland und Türkei zurückgehen. Es gibt Informationen, dass mit dem Transfer von HTS-Truppen nach Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî die Besetzung weiterer Gebiete der Autonomieregion vorbereitet wird. Was können Sie dazu sagen?
Es gibt viele Meinungsäußerungen und Analysen zu diesem Thema. Wir verfolgen die Entwicklungen. Die Veränderungen in Efrîn werden zweifellos auch die Situation in den anderen besetzten Gebieten beeinflussen. Der HTS-Transfer in die besetzten Gebiete wird zu neuen Kämpfen führen.
Und was werden Sie tun?
Unsere Lage ist nicht anders als bei den vorangegangenen Entwicklungsprozessen. Wir sind mit einem neuen Besatzungsplan der Türkei konfrontiert, allerdings haben sich die Rollen verändert. Nach wie vor sind wir entschlossen, Efrîn und die anderen besetzten Regionen zu befreien.