Bundesregierung zahlt 25 Millionen an Türkischen Roten Halbmond

Die Bundesregierung zahlt der türkischen Rothalbmond-Gesellschaft Kızılay 25 Millionen Euro für den Aufbau von Unterbringungen in der nordsyrischen Provinz Idlib. Die Organisation ist allerdings wegen einer Korruptionsaffäre hochumstritten.

Die Türkei will angeblich 25.000 Blockhäuser für Binnenflüchtlinge in der umkämpften Provinz Idlib im Nordwesten von Syrien bauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 25 Millionen Euro für dieses Projekt zugesprochen. Die Hilfe stellte sie kürzlich bei ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul in Aussicht. Am Freitag machte schließlich ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin die Bereitstellung der Summe an den Türkischen Roten Halbmond (Kızılay) bekannt. Die Bundesregierung unterstütze „die Bemühungen des türkischen Roten Halbmonds zu Bereitstellung von Notunterkünften für die Vertriebenen in der Provinz Idlib mit zusätzlichen 25 Millionen Euro“.

Geld von AKP-Unternehmen an salafistische Stiftung geschleust

Die Rothalbmond-Gesellschaft Kızılay ist allerdings in eine massive Korruptionsaffäre verstrickt, die auch die Familie Erdogan betrifft. Die Zeitung Birgün veröffentlichte am 29. Januar 2020 Dokumente, welche die Veruntreuung von acht Millionen US-Dollar durch Kızılay an die salafistische Ensar-Stiftung belegen. Das Geld an den Roten Halbmond spendeten die 2013 privatisierten Gasnetzbetreiber Başkentgaz in Ankara, jedoch unter der Auflage, es an die AKP-nahe Stiftung Ensar weiterzuleiten. Nach Auffassung von Birgün diente Kızılay als „Steuerschlupfloch“, um die Gelder an die Stiftung umzuleiten und die Spende absetzen zu können. Der Türkische Rote Halbmond erhielt für die Weiterleitung 75.000 US-Dollar in die eigene Kasse. Vor der Spende war Başkentgaz von der Torunlar-Holding, die sich im Besitz des Schulfreunds Erdogans und AKP-Magnaten Aziz Torun befindet, gekauft worden.

Familie Erdogan und die Ensar-Stiftung

Die Ensar-Stiftung bestätigte den Erhalt der Spende, und erklärt, sie habe diese „für den Kampf gegen FETÖ“ („Fethullahistische Terrororganisation“), also gegen Erdogans in Ungnade gefallenen Steigbügelhalter Fethullah Gülen genutzt. Mit den Geldern wurde ein 21-stöckiges Wohnheim in Manhattan für Kinder zum „Schutz vor „Fetö-Elementen“ errichtet. Die Ensar-Stiftung steht der AKP-Regierung und insbesondere der Erdogan-Familie nahe. Das Geld wurde von Ensar an eine andere Stiftung namens Turken weitergeleitet. Turken wurde von Ensar und Türgev gegründet. Letztere war von Erdogan selbst ins Leben gerufen worden. An der Spitze der Stiftung sitzt Erdogans Tochter Esra Albayrak, die Ehefrau des Finanzministers Berat Albayrak. Berat Albayrak war bereits über die Firma Powertrans in den Verkauf von IS-Öl verwickelt.

Ensar: Salafismus und sexualisierte Gewalt

Die 1979 mit dem Ziel, die „religiösen und moralischen Werte zu bewahren“ gegründete Ensar-Stiftung ist im Bildungssektor aktiv. Sie betreibt Bildungsinstitute und Wohnheime - in Istanbul sind es mehr als 25 - und war 2016 in einen massiven Missbrauchsskandal in ihren Einrichtungen verwickelt; ein 54-järiger Lehrer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er mindestens 45 Schüler*innen in Heimen von Ensar systematisch missbraucht hat. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Das AKP-Regime setzte alles daran, mögliche Fälle zu vertuschen. So erhält die Ensar-Stiftung nach wie vor lukrative Regierungsaufträge und kommunale Geldzuwendungen in Millionenhöhe. Die Familien- und Sozialministerin Sema Ramazanoğlu (AKP) versuchte den Missbrauch bei der Stiftung mit den Worten zu relativieren: „Dass es einmal zu einem solchen Vorfall kam, ist kein Grund, eine Einrichtung zu beschmutzen, die gute Dienste leistet.“ Auch der Türkische Rote Halbmond bezeichnet die islamistische Stiftung als „Wohltätigkeitsorganisation.“

Steuerhinterziehung für die AKP

Für Beobachter in der Türkei stellt die Spendenaffäre einen deutlichen Hinweis auf Korruption rund um die Familie Erdogan dar. So erklärt Ayse Yildirim von „Arti Gercek“: „Die Affäre hat ein komplexes Beziehungsgeflecht offengelegt, das letztlich auf den Präsidenten Erdogan und seine Familie verweist.“

Äußerungen des Kızılay-Vorsitzenden Kerem Kinik, - Steuervermeidung sei nicht dasselbe wie Steuerhinterziehung - in Bezug auf die Transferierung von Spenden eines AKP-nahen Unternehmens über den Türkischen Roten Halbmond an eine AKP-nahe Stiftung, haben Vorwürfe laut werden lassen, die Hilfsorganisation sei eine „Steuerhinterziehungs- und Steuervermeidungsschleuse“ für AKP-nahe Unternehmen. Nach Berichten von Birgün habe sich zwischen 2016 und 2019 das Spendenaufkommen der Rothalbmond-Gesellschaft um das 32-Fache erhöht.

Proteste gegen Transfer niedergeschlagen

In Ankara gingen Gewerkschaften heute öffentlich vor der Zentrale des Türkischen Roten Halbmonds gegen den Transfer von Geldmitteln an die Ensar-Stiftung auf die Straße. Die Demonstrant*innen wurden ziemlich schnell von der Polizei mit Schlägen und Tränengas angegriffen. Mindestens vier Personen wurden festgenommen. Anschließend wurde versucht eine Kundgebung vor dem Büro der Bildungsgewerkschaft Eğitim-Sen durchzuführen. Auch hier kam es zu einem Übergriff durch Sicherheitskräfte. Die Aktivist*innen wurden mit den Händen auf dem Rücken gefesselt und über den Boden geschleift.