Til Temir befindet sich seit Tagen unter dem pausenlosen Feuer der Invasionstruppen. Die Stadt und der Landkreis sind auch als Klein-Syrien bekannt, denn viele der ethnischen und religiösen Komponenten Syriens finden sich in der Stadt und ihren Dörfern wieder. In Til Temir leben Suryoye, Armenier, Kurden und Araber zusammen.
Gegründet von Genozidüberlebenden
Til Temir – auf Kurdisch: Girê Xurma – wurde von Suryoye, die das Semile-Massaker zwischen 1933‒1935 überlebten, gegründet. Die Suryoye errichteten am Ufer des Xabûr (Habur) die Maryam-al-Azra-Kirche und viele Dörfer.
Strategische Lage
Die aufgrund ihrer Lage strategisch sehr bedeutsame Stadt gehört zum Kanton Hesekê und ist von der Großstadt nur etwa 30 Kilometer entfernt. Die Distanz nach Serêkaniyê (Ras al-Ain) beträgt 40 Kilometer. Der Landkreis Til Temir besteht aus 180 Siedlungen und wird von der Schnellstraße M4, einem wichtigen Angriffsziel der Invasionstruppen, durchquert. Die Nachrichtenagentur ANHA sprach mit einigen Einwohner*innen der Stadt.
„Wir haben unsere Einheit gegen die Angriffe gestärkt“
Şemun Keko aus Til Temir erzählt: „Bis 2015 lebten wir als Kurden, Armenier, Araber und Suryoye friedlich zusammen. Dann begann der ‚Islamische Staat‘ uns anzugreifen. Der IS versuchte Zwist unter den Bevölkerungsgruppen zu sähen. Aber trotz aller Angriffe wurde unsere Einheit nur noch stärker. Die Angriffe des IS konnten uns nicht voneinander trennen. Alle Völker hatten Gefallene. Mit dem Projekt der autonomen Selbstverwaltung organisierten wir uns selbst noch intensiver und unternahmen wichtige Schritte.“
„Ein Symbol des Bevölkerungsmosaiks“
Mihemed Seyid hat 58 Jahre seines Lebens in Til Temir verbracht. Die Völker in Til Temir haben alles Gute und Schlechte miteinander geteilt, erklärt Seyid und betont, dass dadurch ein starkes Band zwischen den Völkern entstanden sei: „Vor der Revolution unterdrückte das Regime die Völker hier. Die Kinder konnten ihre eigene Muttersprache nicht sprechen. Dieser Druck richtete sich vor allem gegen die kurdischen Kinder. Die kurdische Bevölkerung konnte ihren Kindern nicht einmal kurdische Namen geben. Es wurde Kurden nicht einmal erlaubt, in ihrem eigenen Namen Häuser zu errichten. Ich wurde in der Schule immer wieder misshandelt, weil ich Kurdisch gesprochen hatte. Nach der Ausrufung der autonomen Selbstverwaltung wurde hier ein Rat mit 33 Mitgliedern gegründet. Sie stammen aus allen Völkern. Dies ist ebenfalls ein Symbol des Mosaiks.
„Wir werden die Pläne der Besatzer scheitern lassen“
Wir lebten hier in Ruhe und Frieden. Der türkische Staat hat uns nichts als Plünderungen und Massaker gebracht. Wir werden uns gegen diese dreckigen Angriffe verteidigen und ihnen einen Strich durch all ihre Pläne machen.“ Seyid erinnert an den Widerstand gegen die brutalen Angriffe des IS und von al-Nusra und fährt fort: „Jetzt greifen sie ein weiteres Mal an. Ihr Hauptziel ist, unseren Frieden und unsere Einheit zu zerstören. Wegen des Bluts unserer Gefallenen haben sie keinen Erfolg.“
25.000 Schutzsuchende in Til Temir
Nach der Invasion des türkischen Staates flohen 25.000 Menschen nach Til Temir. Die Schutzsuchenden leben unter schwierigen Bedingungen in den Schulgebäuden der Stadt. In jedem Klassenzimmer leben etwa vier Familien zusammen. Die Schutzsuchenden in den Schulen berichten von dem Leid, dass sie erlebt haben. Immer wieder ist zu hören, dass hier vor den Augen der Welt ein Massaker stattfindet.
„Wir werden nach Serêkaniyê zurückkehren“
Ayşe Mihemed aus Serêkaniyê sagt: „Wir leben hier in einer Schule. Es ist sehr schwierig. Wir wollen unser Land zurück. Wir werden bis zum letzten Tropfen Blut in unserem Körper kämpfen, um nach Serêkaniyê zurückzukehren. Wir akzeptieren die Präsenz des türkischen Staates und seiner Banden in Serêkaniyê nicht. Wir fürchten Erdoğans Drohungen nicht. Wir bleiben an der Seite der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD).“
Die gesamte Familie in der Verteidigung
Die 22-jährige Suryoye-Kämpferin Ninwa Dîlan berichtet, dass ihre Mutter, ihr Vater sowie ihre beiden Brüder im Militärrat der Suryoye kämpfen. Der Militärrat hat auch eine wichtige Rolle im Kampf gegen den IS gespielt. Ninwa von den Frauenverteidigungskräften der Suryoye sagt: „Unsere Kräfte wurden zur Verteidigung aller Frauen auf der Welt gegründet. Als der Seyfo-Genozid an den Suryoye stattfand, hatten wir keine Frauenverteidigungskräfte. Heute haben wir diese Kräfte und wir bekämpfen alle Besatzer. Es gab viele Angriffe auf die assyrischen, armenischen und Suryoye-Frauen. Der IS hat bei seinen Angriffen die Suryoye-Frauen ermordet. Ein Beispiel dafür ist die Gefallene Wîdat Dawût. Şehîd Wîdat leistete gegen den IS bis zum Ende Widerstand. Wir nahmen unseren Kampf auf, um für Şehîd Wîdat Rache zu nehmen. Wir werden eine Wiederholung des Seyfo nicht zulassen. Die assyrischen, chaldäischen, armenischen Kämpfer*innen werden den türkischen Staat aufhalten.“ Ninwa ruft alle Suryoye und Armenier*innen auf, sich zu bewaffnen und Land und Würde zu verteidigen.