Auf dem Weg nach Efrîn – „Em natirsin! Wir haben keine Angst”!

Mitglieder der Internationalistischen Kommune von Rojava berichten von ihren Erfahrungen auf dem Weg nach Efrîn und der Bombardierung durch das türkische Militär.

Es ist der 21. Februar, früh am Morgen, als wir unsere Reise nach Efrîn beginnen. Es ist die zweite Reise dieser Art: Menschen aus allen Kantonen Rojavas / Nordsyriens kommen zusammen, um in einem zivilen Konvoi bis nach Efrîn zu gelangen. Eine Aktion, um die Solidarität und den gemeinsamen Widerstand auszudrücken, Einheit in der Verteidigung gegen die türkischen Angriffe zum Ausdruck zu bringen und zu zeigen, dass das, was gerade in Efrîn geschieht, keine Legitimität hat, sondern ein Angriff auf die Integrität des Volkes und des Landes ist.

 

Stadt für Stadt versammeln sich die Menschen in Gruppen und teilen sich in verschiedene Autos und Busse auf. Wir sind in einem Bus mit einer Gruppe von achtzehn Frauen - Mütter, Töchter, Großmütter, Studentinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen, irgendwo zwischen sechzehn und siebzig Jahren. Sie singen und tanzen im Bus, rufen Slogans und winken mit grünen, roten und gelben Flaggen aus den Fenstern. Wir hören und teilen viele Geschichten auf dem Weg.

Wir treffen Cihan, Mutter von fünf Kindern, deren Tochter Gulan bei einem türkischen Angriff in Efrîn getötet wurde, einen Tag nachdem Avesta Xabur gestorben war. Sie möchte ihre Solidarität mit den Menschen in Efrîn zeigen, und sie möchte ihre Tochter in Erinnerung behalten. „Wir werden nach Efrîn gehen, wir gehen zusammen, und wir haben keine Angst“, ist die Botschaft, die wir mit uns tragen. Wenn wir mit dem Konvoi durch die Dörfer fahren, sehen wir, wie die Verteidigung von Efrîn die Menschen vereint. So viele Leute vor ihren Häusern stehen zu sehen, glücklich und aufgeregt über den Konvoi, die vorbeifahrenden Busse begrüßend, gibt uns eine Menge Kraft für diese Reise.

Am Abend erreichen wir Kobanê. Die Menschen von Kobanê versammeln sich bereits um die große Arin-Mirkan-Statur am Eingang des Stadtzentrums, um den Konvoi zu begrüßen. Eine halbe Stunde lang strömen alle aus, eine kurze Demonstration, Freunde und Familie aus dem Konvoi treffen und Fotos mit der Statur von Arin Mirkan machen, die zum Symbol des Kobanê-Widerstands geworden ist.

Für die Nacht bleiben wir hier. Die Menschen von Kobanê haben organisiert, dass wir den Rest des Abends in verschiedenen Familien verbringen können. Zusammen mit drei Frauen aus Derik und Qamişlo verbringen wir die Nacht im Haus von Halimes Familie. Sie war während des Krieges gegen den IS in Kobanê und arbeitet seit drei Jahren in der Asayish. Sie, ihr Mann, ihre vier Kinder, ihre Mutter und die Familie ihres Bruders leben in einem kleinen und einfachen Haus, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Wir sitzen zusammen um den Ofen, trinken Tee, essen zu Abend, reden über Kobanê, Efrîn, den Krieg, alte Zeiten, unsere Familien, die Zukunft. Emira, die ältere der beiden Töchter, arbeitet an ihren Hausaufgaben und zeigt uns stolz ihre Handschrift in kurdischer und arabischer Sprache. Um sechs Uhr machen wir uns wieder auf den Weg, verabschieden uns von Halimes Familie und versprechen, dass wir uns bald wieder besuchen. Zurück in die Busse, um nach Efrîn weiterzufahren.

Ungefähr fünfzig Busse sind jetzt Teil des Konvois und verlassen Kobanê in Richtung Minbic, vorbei an Dörfern, Gärten, Feldern und weiterem Land. Wieder ist es ein Tag voller Gesang, Tanz und vielen Gesprächen. Es ist unglaublich, die Energie und den Willen der Menschen zum Widerstand zu sehen, angesichts der Tatsache, dass wir in eine Region des offenen Krieges fahren. Am Nachmittag passieren wir die Grenze zu dem vom syrischen Regime kontrollierten Gebiet, vorbei an den leeren Dörfern und zerstörten Häusern in der Nähe von al-Bab. Kinder spielen auf der Straße, Menschen arbeiten auf den Feldern, Trümmerhäuser nach dem Krieg gegen den IS, die Checkpoints voller syrischer Flaggen mit Bildern von Bashar al-Assad und seinem Vater Hafez, sogar iranische Flaggen wehen an einigen militärischen Gebäuden am Rande der Straße.

Irgendwann am Abend erreichen wir Efrîn und überqueren schließlich den Kontrollpunkt, der das Ende des regimekontrollierten Gebiets markiert. Jede und jeder ist aufgeregt, wir stehen von unseren Sitzen auf und singen immer wieder die Lieder des Widerstands. Dann hören wir von weit her das tiefe Grollen einer Explosion. Es muss weit weg sein, aber wir fühlen den Druck und sehen die Lichter der Explosionen hinter den Silhouetten der Hügel. Sara, die junge Frau auf dem Platz neben uns, rückt näher an ihre Mutter heran. Ein paar Frauen im Bus rufen: „Wir haben keine Angst! Mögen sie uns erschrecken, mögen sie ihre Bomben werfen, aber wir haben keine Angst! Biji berxwedana Efrîne!“

Es gibt weitere Angriffe mit Granaten - die Autos und Busse schalten ihre Lichter aus, langsam fahren wir weiter, dann halten wir an. Schweigen und noch ein Grrrrm. Es sind hauptsächlich die Mütter, die ruhig bleiben und die anderen beruhigen. Irgendwann steigen wir aus und verlassen die Busse, es ist draußen sicherer, zwischen den Bussen und der Mauer, die die Bergseite der Straße markiert. Ein weiterer grrrrm neben uns, nur ein wenig den Berg hinauf, aber dieses Mal ist es der Klang eines Luftangriffs. Wir drücken uns näher an die Wand, während die Steine dem Druck der Explosion nachgeben und auf die Straße neben uns fallen. Dicht an der Wand warten wir und nehmen die Hand der Freundinnen neben uns. Weiter gehen die Explosionen, neben der Mauer warten wir, bis es wieder ruhig wird.

Später folgen wir der Straße hinunter zum Dorf. Wieder warten wir an der Mauer eines Hauses, bis wir uns weiter bewegen können. Eine Familie im Dorf lädt uns zu sich ein, um uns Schutz zu geben. Eine nach der anderen gehen wir, verstecken uns vor Drohnen unter den Olivenbäumen. Während andere Gruppen bis zur Stadt weiterziehen, können wir heute Abend bei der Familie bleiben. Wir Frauen sind alle zusammen in einem Raum, liegen unter den Decken und reden bis spät in die Nacht.

Als wir morgens vor die Tür gehen, treffen wir auf die Morgensonne, grüne Hügel in einer weiten Landschaft, den Obstgarten mit Olivenbäumen vor der Tür, Tausende von kleinen, violetten Blumen überall im Gras. Es ist, als ob diesem Land nie etwas geschehen wäre. Eine Stunde später packen wir unsere Sachen zusammen und bedanken uns noch einmal bei den Dorfbewohner*innen, dass sie uns diese Nacht bewirteten. Wir verlassen das Dorf, Gruppe für Gruppe, Bus für Bus, Richtung der Stadt Efrîn.
Wir erreichen den zentralen Platz Efrîns, wo viele Zelte aufgestellt sind. Die Menschen versammeln sich hier seit dem frühen Morgen, tanzen, rufen Slogans, bereiten Tee und Kaffee für alle vor. Hier treffen wir sie wieder, die Freund*innen, die wir während der Reise kennengelernt haben, glücklich, alle lebendig und in gutem Zustand zu sehen. Also hier sind wir, in Efrîn.

Weitere Berichte der Internationalist*innen in Efrîn finden sich unter: https://internationalistcommune.com/blog/