Angriffe, Embargo und Widerstand in Şehba

Im Kanton Şehba leben über 100.000 Flüchtlinge aus dem türkisch besetzten Efrîn. Sie werden vom türkischen Staat und seinen Milizen angegriffen und vom syrischen Regime unter Embargo gestellt. Dennoch leisten sie ungebrochen Widerstand.

Im März 2018 mussten hunderttausende Menschen aus Efrîn aufgrund der Angriffe des türkischen Regimes ihre Region verlassen und sind nach Şehba und Şêrawa geflohen. Die Region Şehba ist ebenfalls vom Krieg gezeichnet. Sie war 2016 in einem erbitterten Kampf dem IS und al-Nusra abgerungen worden. Die Dörfer und Städte der Region waren zerstört und die Mehrheit der Gebäude eingestürzt. In vielen Häusern liegen heute noch IS-Minen.

Hunderttausende Menschen aus Efrîn mussten sich auf diese zerstörte Region verteilen. Trotz der Schwierigkeiten machten sie keinen Schritt zurück und bauten ihr eigenes demokratisches und kommunales System in der Wüstenregion auf. Sie setzen ihren Kampf für die Rückkehr nach Efrîn fort. Die Menschen leben in verschiedenen Dörfern oder in Zeltlagern, die von der Bevölkerung Nordsyriens und der autonomen Selbstverwaltung errichtet wurden. In der Region Şehba leben über 100.000 Menschen aus Efrîn.

Der Ko-Vorsitzende des Generalrats von Efrîn, Mihemed Neso, sprach mit ANF über die Situation der Schutzsuchenden in der Region. Über die erste Zeit nach der Flucht berichtet er: „Die Bevölkerung von Efrîn war nach 58 Tagen des Widerstands gezwungen nach Şehba zu fliehen. Wir wollten uns nicht von Efrîn entfernen. Şehba lag Efrîn am nächsten. Natürlich ist Şehba auch unser Land. Dieser Boden wurde auch von unseren Kindern befreit. Aber es ist eine sehr schwere und schlimme Sache, ein Volk mit Gewalt von seinem Land zu vertreiben. Als unser Volk hierherkam, stand es großen Problemen gegenüber. Die Bevölkerung konnte ja nichts mitnehmen und ist nur mit den Kleidern am Leib geflohen. Hunderte von Menschen waren draußen, schliefen im Feld. Denn Şehba war ein Kriegsgebiet und sieben Jahre lang praktisch leer. Die Infrastruktur war zusammengebrochen und im Gelände und den Häusern lagen Sprengfallen des IS. Deswegen wurden als erstes, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben, diese zerstörten Gebäude gesäubert und die Menschen kamen darin unter. In einem Haus lebten fünf oder sechs Familien. Es war Winter und sehr kalt. Sie waren gezwungen, in diese Häuser zu gehen. Viele Kinder starben wegen Minen in diesen Gebäuden oder im Gelände. Es gab auch weder Trinkwasser noch etwas zu essen. Die Bevölkerung und unsere Räte arbeiteten an der Lösung dieses Problems. Die Menschen mussten sich zunächst einmal sammeln. Es ging darum, die Bevölkerung wieder zusammenzubringen, sich zu organisieren und die Kriegstraumata überwinden. Die Menschen, die bereits sieben Jahre Erfahrung mit Selbstorganisierung mitbrachten, organisierten Volksversammlungen in den Dörfern, Städten und Gemeinden, in denen sie sich befanden. Es wurden schnell Kommunen aufgebaut. Auf diese Weise konnte die Kriegspsychologie zumindest ein Stück weit überwunden werden. Auf all den Treffen stand vor allem eine Frage im Vordergrund: Wie können wir für unsere Gefallenen, die wir zurückgelassen haben, für unsere Kinder Vergeltung üben. Die Menschen erklärten, komme was wolle, davon werde man keinen Abstand nehmen. Auf dieser Grundlage hat unser Volk den Widerstand als seine Linie gewählt.

Mihemed Neso

127 Kommunen aufgebaut

Nachdem wir etwa 80 Prozent der Kommunen aufgebaut hatten, begannen wir mit der Bildung der Räte. In allen Gemeinden und Kreisstädten wurden eigene Rätesysteme aufgebaut. Wir haben jetzt 127 Kommunen. Auf der Ratsebene wurden zehn Komitees gebildet. Diese Komitees unterstützen die Räte in den Städten, Gemeinden und Dörfern. Sie werden nach Bedarf geschaffen. Das Spektrum reicht vom Aufbau von kommunalen Verwaltungen, dem Gesundheits-, Bildungs- und Sicherheitsbereich über die Grundversorgung der Bevölkerung bis hin zur Lösung von Problemen auf der Grundlage gesellschaftlicher Moral. Insbesondere das Sicherheitskomitee arbeitet mit größter Hingabe. Nach der Erfahrung von Efrîn ist es 24 Stunden täglich in der Selbstverteidigung tätig.

Kaum Hilfe von außerhalb

Am Anfang kamen ein paar zivile Hilfsorganisationen. Aber ihre Hilfe war auf den Gesundheitsbereich beschränkt und blieb auf ein oder zwei Dörfer beschränkt. Als sie kamen, hatten sie schon zwei bis drei Dörfer bestimmt und dort begrenzt medizinische Hilfe geleistet.

Wir sind hier in Şehba eingekreist. Drei Seiten sind vom türkischen Staat und seinen Milizen umstellt. Der Hass des türkischen Staates auf die Kurden dauert auch heute noch an. Jeden Tag wird unsere Region angegriffen. Die Orte, an denen unsere Bevölkerung lebt, werden ständig mit Mörsergranaten beschossen. Das betrifft die Dörfer in Til Rifat und insbesondere in Şêrawa: Aqibê, Meyasê, Sixunekê und Ziyaretê.

Das Embargo des syrischen Regimes macht das Leben schwer

Was uns am meisten Schwierigkeiten bereitet, ist das Embargo des syrischen Regimes gegen uns und der Zoll, der die Hilfe, die uns erreichen soll, massiv einschränkt. Uns fehlt der Grundbedarf, Gas, Diesel, Benzin und Medikamente. Das Regime hat an den Straßen aus Aleppo und Cizîrê Kontrollpunkte eingerichtet. Alle Hilfsgüter werden dort verzollt. Insbesondere was Medikamente betrifft, haben wir die größten Schwierigkeiten. Unsere Bevölkerung in Cizîrê hat für uns hier in Şehba Tonnen von Medikamenten gesammelt. Aber das Regime hat die Medikamente bei Minbic monatelang warten lassen und so waren sie abgelaufen, als sie endlich ankamen, und mussten weggeworfen werden. Das gleiche Problem haben wir, wenn Gemüse aus Aleppo kommt. Das muss ebenfalls verzollt werden. Deshalb ist alles, obwohl wir Flüchtlinge sind, sehr teuer. Die Tomaten zum Beispiel werden doppelt so teuer wie in Aleppo verkauft. Wir sind Bürger Syriens. Das Regime ist für diese Behandlung verantwortlich. Das Regime trennt die Völker Syriens. Dieses Volk hier hat am meisten für die Einheit Syriens gekämpft. Die Kinder des kurdischen Volkes haben sieben Jahre gegen den IS gekämpft und waren siegreich. Und heute versucht das Regime uns zu zersprengen.“