Aldar Xelîl, Vorstandsmitglied der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), hat sich im zweiten Teil des ANF-Interviews zu den Konflikten in Minbic und anderen Orten im Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien, zur Rolle des türkischen Geheimdienstes MIT und des syrischen Muhabarat und zu der Erklärung des syrischen Vizeaußenministers über die türkische Unterstützung des IS geäußert.
Die Angriffe auf das Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien sind intensiviert worden. In Minbic und Şedadê sollten Provokationen angezettelt werden, das umsichtige Vorgehen der Sicherheitskräfte konnte jedoch eine Ausweitung der Vorfälle verhindern. Wie kommt es zu den Angriffen auf Nordostsyrien und wer steckt dahinter?
Die Völker Syriens haben das Pech, einen Nachbarn wie den türkischen Staat unter Erdogan zu haben. Er hat seit Beginn der Revolution in Syrien auf das Land zugegriffen und interveniert. Diese Intervention hat zu sehr negativen Konsequenzen geführt. Dazu zählt, dass eine politische Lösung verhindert wird. Der türkische Staat hat aus der Opposition in Syrien dschihadistische Banden gemacht. Mit seinem Eingreifen hat er das bedrängte Regime in Damaskus auf den Beinen gehalten, als es kaum noch Widerstand leisten konnte. Die Rolle des türkischen Staates ist also sehr schlecht.
Bis jetzt ist es die türkische Regierungskoalition aus AKP und MHP gewesen, die in Syrien Krieg gegen die für Demokratie und Freiheit kämpfenden Kräfte geführt hat. Ohne das Eingreifen der Türkei wäre es den Völkern Syriens vielleicht sogar möglich gewesen, untereinander und mit Damaskus eine Lösung zu finden. Aufgrund der türkischen Intervention kann weder Damaskus einen Schritt setzen noch wird es den oppositionellen Kräften erlaubt. Wer nicht auf den türkischen Staat hört, wird angegriffen. Auch wir werden wie die oppositionellen Kräfte angegriffen, weil wir nicht akzeptieren, was Erdogan sagt. Demokratische Kräfte werden angegriffen.
Geheimdienste schaffen Konflikte
Die Türkei hat Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî besetzt. Damit begnügt sie sich jedoch nicht und greift überall dort an, wo sie Widerstand vermutet. Dass sie mit jedem Angriff auf die globale Agenda kommt, erschwert die Angelegenheit für sie. Momentan liegt der Fokus auf künstlich hergestellten Konflikten. Das geschieht von zwei Seiten aus. Erstens wird der MIT zum syrischen Regime vorgeschickt, um für den türkischen Staat zu erklären: „Wenn du eine demografische Veränderung machst und nicht mit den Vertretern von Nordostsyrien verhandelst, stehe ich hinter dir und lasse deinen Sturz nicht zu. Ich werde nicht wie früher gegen dich kämpfen.“ Erdogan ist 2011/2012 für den Sturz des Assad-Regimes eingetreten. Das tut er inzwischen nicht mehr.
Zweitens wird versucht, die Völker der Region gegeneinander aufzuhetzen. Unser Projekt basiert auf der Idee einer demokratischen Nation, in der alle Völker Rechte haben. Erdogan will das Gegenteil. Er will ein friedliches Zusammenleben verhindern und die Völker sich gegenseitig bekriegen lassen. Deshalb zettelt er Konflikte an.
Wie gehen der türkische MIT und der syrische Muhabarat vor, wenn sie Chaos in der Region stiften wollen?
Zwischen dem syrischen Regime und dem türkischen Staat sind geheimdienstliche Verbindungen entstanden. Es wird versucht, bei arabischen Stämmen und bekannten Persönlichkeiten der Suryoye anzusetzen, um die Ruhe in der Region zu zerstören. Auf der einen Seite werden Schläferzellen gebildet, auf der anderen Seite werden als Methode des Spezialkriegs Falschinformationen verbreitet. Mit der psychologischen Kriegsführung soll die gesellschaftliche Hoffnung auf Erfolg gemindert werden. Die durch den Krieg entstandenen Schwierigkeiten im Leben werden gegen die Revolution benutzt. Beispielsweise gibt es nicht wie früher Grenzübergänge, Handel und Außenbeziehungen. Dadurch ist eine Krisensituation entstanden. Die Türkei will das über ihre Spezialkriegsinstitutionen als großes Problem inszenieren.
Gesellschaftliche Spaltung konnte abgewehrt werden
Auf gleiche Weise sollen Konfliktsituationen zwischen den Völkern der Region angezettelt werden, insbesondere zwischen dem kurdischen und dem arabischen Volk. Daran arbeitet der MIT. Die Völker haben jedoch die Wirklichkeit in der Praxis seit 2011 erlebt. Ihre Überzeugung von diesem Projekt hat sich entwickelt, die Ergebnisse sehen sie positiv. Deshalb fallen sie nicht so schnell auf Intrigen herein. In Minbic, Deir ez-Zor und Şedadê ist es zu Problemen gekommen. Diese Art von Problemen gibt es in jedem Land. Auch in Nordostsyrien kann aufgrund von Fehlern und Schwächen zwischen der Leitung und der Bevölkerung gelegentlich eine solche Situation entstehen. Der MIT und der Geheimdienst des Regimes haben direkt in diese Situation eingegriffen und wollten darüber Auseinandersetzungen und Chaos hervorrufen. Dass diese Machenschaften von Erdogan und dem syrischen Regime ihr Ziel nicht erreicht haben, ist der Umsicht der Autonomieverwaltung und der Sicherheitskräfte sowie der Initiative wichtiger Persönlichkeiten aus den beteiligten Gruppen zu verdanken. Damit konnten Chaos und eine gesellschaftliche Spaltung abgewehrt werden.
Der stellvertretende syrische Außenminister Bashar Jafari hat erklärt, dass der Raub von Öl und Erdgas durch den IS von Erdogans Sohn persönlich organisiert worden ist und der MIT Sarin-Gas aus Libyen nach Syrien gebracht hat. Auch Sedat Peker hat dazu Informationen veröffentlicht. Warum wird das Schweigen zu den Verbrechen des türkischen Staates in diesen Regionen nicht gebrochen? Und was hat die Vertreter des syrischen Regimes veranlasst, gerade jetzt eine solche Erklärung abzugeben?
Der türkische Staat hat überall interveniert. Er hat die Al-Nusra-Front gegründet, den IS gefördert, ihn mit Waffen versorgt und geheimdienstlich und logistisch unterstützt, Pläne und Projekte entworfen und das Angriffsziel benannt. Ob Jafari das jetzt sagt oder nicht, es ist allgemein bekannt. 2014 haben alle gesehen, wie der türkische Staat den Islamisten beim Kampf um Kobanê das Grenzgebiet überlassen hat und Autobomben in Kobanê und Girê Spî explodiert sind. Er hat offene Unterstützung geleistet. Das ging auch durch die Medien, es war kein Geheimnis. Auch was der türkische Staat in Aserbaidschan, Armenien, Libyen, im Mittelmeer, in Syrien und Irak unternimmt, ist vor aller Augen. Es ist also nichts Neues.
Dass das syrische Regime das jetzt thematisiert, hängt mit den geheimdienstlichen Beziehungen zusammen. Zwischen Hakan Fidan und dem syrischen Geheimdienst besteht Kontakt, aber im Moment gibt es aufgrund der Idlib-Frage Widersprüche zwischen Erdogan, Russland und dem syrischen Regime. Die syrische Erklärung ist erfolgt, um Druck beim Thema Idlib auszuüben oder eine Agenda zu setzen. Der zweite Grund ist, dass das syrische Regime sich bei den arabischen Ländern und auch innerhalb Syriens als „Beschützer arabischen Bodens“ profilieren will.
In der Politik ist eine solche Situation nicht ungewöhnlich. Wenn es gegen das demokratische Projekt und Freiheit geht, finden beide Seiten wieder zusammen. Aktuell geht es auch um die internationale Ebene. Die Genfer Verhandlungen und die Gespräche über eine syrische Verfassung sind ausgesetzt, der Syrien-Beauftragte der Vereinten Nationen hat die Hoffnung verloren. Auch deshalb wollen alle ausspielen, was sie in der Hand haben, um Druck auf die Gegenseite auszuüben. Sie wollen die eigene Ausgangsposition für den kommenden Prozess verbessern.