„250 IS-Mitglieder nach Europa geschickt“

Nach Angaben von Mihemed Casim El Hesen, der von der FSA zu den QSD übergelaufen ist, sind 250 IS-Mitglieder von Cerablus nach Europa geschickt worden.

Mihemed Casim El Hesen war Offizier der Freien Syrischen Armee, die neben anderen Gruppierungen an der von der Türkei gesteuerten Besatzungsoperation „Schutzschild Euphrat“ im Dreieck zwischen Cerablus, Azaz und Bab teilnahm. Anschließend schloss er sich den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) an.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) erklärte El Hesen, die Türkei unterhalte sehr enge Beziehungen zu islamistischen Gruppierungen wie dem IS und El Nusra.

Der 33-jährige Mihemed Casim El Hesen stammt aus Dêra Zor und war früher Polizist. 2012 hat er sich nach eigenen Angaben der FSA angeschlossen. Nach der Eroberung des Gebiets durch den IS und El Nusra sei er nach Hatay in die Türkei gegangen, anschließend nach Cerablus, wo inzwischen die türkische Armee und die „Schutzschild Euphrat“-Gruppierungen die Kontrolle übernommen hatten. „Dort war ich verantwortlich für den Kontakt zwischen den Stämmen, die aus Dêra Zor kamen, und den „Schutzschild Euphrat“-Kommandanten.“

Die Türkei habe von den Stämmen aus Dêra Zor gefordert, sich den „Schutzschild Euphrat“-Milizen anzuschließen und an den in Raqqa und Dêra Zor geplanten Operationen teilzunehmen. Dafür seien ihnen Anteile an den Gebieten versprochen worden. „Die Türkei machte ständig Antipropaganda gegen die QSD. Sie würden alle Araber hassen und wollten Syrien spalten, hieß es.“

Nach dem Einmarsch der Türkei in Cerablus und Azaz hätten sich die Widersprüche zwischen den „Schutzschild Euphrat“-Gruppierungen gehäuft, so El Hesen. Einige hätten sich in gewisser Weise unabhängig bewegt.

250 IS-Kämpfer nach Europa geschickt

Zu der Übernahme der zuvor IS-kontrollierten Stadt Cerablus durch die Türkei innerhalb von nur drei Stunden erklärt El Hesen: „Die Türkei hat die Übernahme vorher mit dem IS ausgehandelt. Auch Russland und das syrische Regime waren eingeweiht. Es fand ein Treffen zwischen russischen, syrischen und türkischen Zuständigen in Karkamış statt. Als die türkische Armee in Cerablus einmarschierte, wurden 250 ausgesuchte IS-Kämpfer über den Grenzübergang Karkamış in die Türkei nach Kilis und Antep gebracht. Einer der Verantwortlichen für den Transport war ich. Später habe ich erfahren, dass diese IS-Kämpfer nach Europa geschickt worden sind. Andere IS-Kämpfer wurden mit ihren Familien nach Bab, Hama und Raqqa gebracht.“

Kämpfe in Cerablus reines Szenario

Die angebliche Eroberung von Cerablus durch türkische Truppen sei ein reines Szenario gewesen, gibt El Hesen an. „In einem Dorf bei Cerablus eröffneten IS-Kämpfer das Feuer und verletzten drei türkische Soldaten. Bei diesem Gefecht handelte es sich entweder um ein Versehen oder um Absicht, um den Eindruck zu erwecken, dass Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und dem IS stattfinden. Darüber hinaus fanden keine Kampfhandlungen statt. Es waren auch gar keine IS-Mitglieder mehr dort.“

Plünderung und Unterdrückung

Mit der Einnahme von Cerablus und Azaz hätten Plünderungen, Unterdrückung und Folter durch die „Schutzschild Euphrat“-Gruppierungen eingesetzt, erzählt El Hesen weiter. „Täglich kamen Dutzende Menschen aus der Bevölkerung, um sich bei den türkischen Zuständigen darüber zu beschweren. Viele meinten, es sei schlimmer als unter dem IS. Die Türken hörten sie bloß an und unternahmen nichts. In den Schulen wurde mit Türkisch-Unterricht begonnen. Die Bevölkerung ging aus Protest vier Mal auf die Straße, aber die Türken machten einfach so weiter.“

Demografische Veränderungen

Von den „Schutzschild Euphrat“-Gruppen seien anstelle der geflohenen kurdischen und arabischen Bevölkerung Usbeken und Turkmenen angesiedelt worden, so El Hesen.

Außerdem seien Menschen aus Cerablus, Rai und Azaz, die in Lagern in der Türkei lebten, in Urfa und Antep militärisch ausgebildet und von dort aus in die von den „Schutzschild Euphrat“-Gruppierungen kontrollierten Gebiete gebracht worden. Für den Anschluss an eine der Gruppen sei ein Lohn von 200 Euro gezahlt worden.

Angriffe auf Efrîn

Viele Menschen seien vor dem türkischen Militär und den angebundenen Milizen nach Efrîn geflohen und würden jetzt unter den dortigen Angriffen leiden, so El Hesen. Das Leben in Efrîn und Minbic werde ansonsten jedoch positiv betrachtet: „Die Menschen erzählen sich gegenseitig, dass in der dortigen Leitung jede Bevölkerungsgruppe vertreten ist und ein kommunales Leben geführt wird. Ein solches System wünschen sie sich auch für ihre Herkunftsorte.“

Die Milizen würden einen gemeinsamen Angriff mit dem türkischen Militär auf Efrîn ablehnen, meint El Hesen: „Es haben zwei große Angriffe stattgefunden und die QSD haben sofort darauf reagiert. Es gab viele Tote bei den Milizen. Daher haben sie Angst. Sie sagen jetzt, dass die QSD nicht zu besiegen sei, weil diese nach Art der Guerilla kämpfen würde.“

Zu seinen eigenen Beweggründen, von der FSA zu den QSD zu wechseln, erklärt El Hesen: „Die FSA ist entstanden, um gegen das Regime zu kämpfen, aber jetzt dient sie dem türkischen Staat. Die Türkei benutzt die FSA nur für ihre eigenen Interessen und leistet dem IS viel mehr Unterstützung. Mir haben viele Verwandte und Bekannte erzählt, wie sich die QSD nach der Befreiung von Minbic, Raqqa und den ländlichen Gebieten von Dêra Zor gegenüber der Bevölkerung verhalten hat. Dadurch habe ich erkannt, wie es wirklich ist. Viele der Milizionäre und insbesondere die aus Dêra Zor wollen mit ihren Familien in die von den QSD kontrollierten Gebiete gehen. Ich habe mit 300 Milizionären gesprochen und ihnen erzählt, wie sich die QSD mir gegenüber verhält. Jetzt wollen sie alle kommen.“