Türkei: Journalist Öner zu Haftstrafe verurteilt

Der Journalist Gökhan Öner ist von einem türkischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm wurden seine Tätigkeiten für die per Notstandsdekret verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA vorgeworfen.

Gökhan Öner, Korrespondent der per staatlichem Notstandsdekret verbotenen kurdischen Nachrichtenagentur Dicle Haber Ajansı (DIHA), ist wegen „Organisationspropaganda” zu einer Haftstrafe von zehn Monaten verurteilt worden.

Öner wurden seine journalistischen Tätigkeiten als DIHA-Korrespondent zum Vorwurf gemacht, insbesondere ein Interview mit Kemal Koç, dessen Tochter Derya Koç, Kreisvorsitzende der HDP in Milas, im Februar 2016 in der nordkurdischen Kreisstadt Cizîr (Cizre) während der Ausgangssperren in einem der berüchtigten „Todeskeller” von türkischen Sicherheitskräften getötet wurde. So stellte der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift den über siebzigjährigen Kemal Koç als Mitglied der Zivilen Verteidigungseinheiten YPS (Yekîneyên Parastina Sivîl) dar, einer Organisation, die aus der Jugendbewegung YDG-H hervorgegangen ist.

Gökhan Öners Verteidiger Mazlum Demirbağ erklärte vor dem Strafgericht in Denizli zur Verteidigung seines Mandanten, dass dessen Aktivitäten im Rahmen journalistischer Tätigkeiten kriminalisiert würden und forderte die Einstellung des Verfahrens. Das Gericht widersprach dieser Darstellung und verurteilte den Journalisten wegen „Organisationspropaganda” zu einer Haftstrafe von zehn Monaten. Die Vollstreckung der Haftstrafe wurde für fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Von dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation” wurde Öner freigesprochen.

Gegen den Journalisten Gökhan Öner wurde im Mai des vergangenen Jahres ein Haftbefehl erlassen. Der ehemalige DIHA-Korrespondent war bei Hausdurchsuchungen am 28. April zusammen mit anderen Betroffenen in Denizli festgenommen und als einziger inhaftiert worden. Nach knapp drei Monaten in Untersuchungshaft wurde Öner am 27. Juli gegen Meldeauflagen freigelassen.

Was geschah in Cizîr?

Am 4. September 2015 verhängte die Türkei über Cizîr eine Ausgangssperre. Es war die erste einer langen, bis heute nicht abreißenden Kette von Ausgangssperren. Während dieser ersten Ausgangssperre griff der türkische Staat mit allen Kräften, die ihm dabei zur Verfügung standen, bis an die Zähne bewaffnet mit konventionellen Waffen, neun Tage lang die Stadt an. Eine Gruppe stellte sich ihnen damals entgegen. 21 Tote, Dutzende Verletzte und Hunderte zerstörte Häuser und Wohnungen hatte der neuntägige Angriff auf Cizîr zur Folge. Der Widerstand der Bevölkerung und die Reaktion der Öffentlichkeit führten dazu, dass die erste Ausgangssperre dieser Art nur neun Tage andauerte und es den Kräften des Staates, trotz des Einsatzes aller Art schwerer Waffen, nicht gelang, in die Gebiete, die sich im Widerstand befanden, einzudringen.

Zweite Belagerung in Cizîr

Am 14. Dezember 2015 begann die zweite Belagerung der damals etwa 115.000 Bewohner umfassenden Stadt in der Provinz Şirnex (Şırnak). 79 Tage lang bombardierte die türkische Armee Cizîr sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus. Die Polizei und das Militär nahmen ganze Viertel unter Feuer, zerstörten die Telefon-, Strom- und Wasserversorgung und kesselten mehrere tausend Menschen ein. Bewohner, die in den Kellern ihrer Wohnhäuser Schutz vor den Angriffen suchten, wurden vor den Augen der Weltöffentlichkeit bei lebendigem Leib verbrannt. In diesen 79 Tagen sind mindestens 259 weitere Menschen von türkischen Sicherheitskräften getötet worden. Wegen dieser brutalen Vorgehensweise gegen die Verletzten, die sich zu ihrem eigenen Schutz in den Untergeschossen der Gebäude verschanzten, werden die Keller „Keller des Grauens" genannt. Die Leichen von insgesamt 177 Menschen, darunter 25 Kindern, wurden aus den Trümmern in den Vierteln Cudî und Sur geborgen. Allein in drei Kellern, die der breiteren Öffentlichkeit bekannt sind, kamen jeweils 31, 62 und 50 Menschen ums Leben.